Walter Liebe, Senior Investment Advisor bei Pictet Asset Management, spricht im Interview über die Attraktivität und die Risiken des chinesischen Onshore-Anleihemarkts.
24.07.2015 | 12:45 Uhr
FundResearch: Sie beschäftigen sich mit dem Thema Renminbi-Onshore-Anleihen. Was ist daran so attraktiv im Vergleich zu den bisher gängigen Dim-Sum-Anleihen?
Walter Liebe: Zunächst einmal müssen wir den Hauptunterschied zu den „Dim-Sum-Anleihen“ ansprechen, also zu den Anleihen, die in Hong Kong in Renminbi aufgelegt werden und die man häufig auch Offshore-Anleihen nennt. Dieser Markt hat nur ein begrenztes Volumen von ca. 120 Milliarden US-Dollar, auch das Angebot an Emittenten ist begrenzt. Der inländische chinesische Anleihemarkt („onshore“) ist im Gegensatz hierzu riesig. Mit einem Marktvolumen von knapp sechs Billionen US-Dollar ist er der drittgrößte Anleihemarkt der Welt, hinter den USA und Japan, noch vor Deutschland. Bisher war dieser Anleihemarkt für ausländische Anleger nur sehr eingeschränkt zugänglich, weshalb sich das Renditeniveau noch nicht auf das „internationale“ Tiefzinsniveau eingependelt hat. Der Dim-Sum-Markt, der keine Zugangsbeschränkungen hat und daher von ausländischen Investoren bevölkert wird, besitzt ein viel niedrigeres Renditeniveau.
FundResearch: Wie können Pictet-Kunden von diesem Markt profitieren?
Walter Liebe: Wie erwähnt, ist der Onshore-Anleihemarkt nicht einfach für jeden Anleger zugänglich. Man benötigt eine Zulassung als qualifizierter Auslandsinvestor (RQFII Status) sowie eine Anlagequote, um dort investieren zu können. Seit einigen Jahren werden solche Lizenzen und Quoten zunehmend an internationale Asset Manager vergeben. Pictet Asset Management ist seit Herbst 2014 im Besitz einer Anlagequote und konnte daher im März 2015 den Pictet-Chinese Local Currency Debt Fonds zulassen. Doch die juristische Genehmigung zur Investition ist natürlich noch keine hinreichende Bedingung für einen Anlageerfolg. Da der chinesische Anleihemarkt praktisch komplett in chinesischer Sprache stattfindet (Handel, Reportings, Researchmaterialien), ist eine lokale Expertise und die Beherrschung der Sprache unerlässlich, um den Markt im Griff zu behalten. Aus diesem Grund haben wir vor einem Jahr ein dreiköpfiges Team in Hong Kong aufgebaut, das aus Mandarin-Muttersprachlern mit langjähriger Erfahrung im Management chinesischer Anleihen besteht.
FundResearch: Wie sehen Strategie und Portfolioallokation des Fonds im Detail aus?
Walter Liebe: Der Markt funktioniert bislang völlig anders als westliche Anleihemärkte. Die Renditen sind mit etwa 4,5 Prozent jährlich zwar recht ordentlich, aber die Renditeunterschiede zwischen Emittenten sehr guter Qualität und weniger guten Schuldnern sind vergleichsweise gering. Das liegt unter anderem daran, dass mehr als 90 Prozent der ausstehenden Anleihen ein Rating von einer der drei lokalen chinesischen Ratingagenturen besitzen, während die internationalen Ratingaganturen wir Moody’s, S&P oder Fitch praktisch keine Rolle spielen. Es ist eine Herausforderung, dass die inländischen Ratingagenturen eine andere Bewertungssystematik haben, so dass viele Emittenten mit staatlichem oder quasistaatlichem Hintergrund ein Top-Rating von „AAA“ erhalten, egal wie gut ihre Unternehmenszahlen sind. Es findet also bislang keine ausreichende Sanktionierung von schlechter Kreditqualität statt. Insofern muss sich ein Asset Manager wie Pictet eine eigene Meinung zu den „realistischen“ Ratings bilden und nur solche Anleihen ins Portfolio nehmen, die einen ausreichenden Schutz vor Schieflagen bieten. Derzeit besteht das Portfolio zu etwa 80 Prozent aus „regierungsnahen“ Anleihen, wovon allerdings nur die Hälfte klassische Staatsanleihen sind, der Rest sind Staatsunternehmen und Regionalanleihen. Die verbleibenden 20 Prozent des Portfolios bestehen aus Unternehmensanleihen des privaten Sektors.
FundResearch: Emerging Market Debt ist seit Jahren ein großes Thema. Wie hat es sich verändert? Was müssen Anleger heute beachten?
Walter Liebe: Natürlich spielen die Schwellenländer nach wie vor eine bedeutende Rolle in den Anlegerportfolios. Was sich verändert hat, ist dass sich die Euphorie bezüglich der Emerging Markets deutlich abgekühlt hat. Dies hat sicherlich auch damit zu tun, dass diese Ländergruppe derzeit eine Art Schwächeperiode erlebt, nach eineinhalb Jahrzehnten stürmischen Wachstums. Aber wir interpretieren dies als Wachstumspause, nicht als das Ende der Entwicklung der Schwellenländer. Daher sehen wir auch für die Rückzahlungsfähigkeit der Staaten keine nennenswerte Einschränkungen.
FundResearch: Worauf führen Sie die sich abschwächende Euphorie zurück?
Walter Liebe: Was in den letzten drei Jahren die Stimmung getrübt hat, war die Entwicklung der Währungen. Diese neigen bereits seit 2011 gegenüber dem US-Dollar zur Schwäche und nicht erst seit der Diskussion um eine US-Zinserhöhung. Unserer Ansicht nach ist die Abwertung der Schwellenländer-Währungen aber gleichzeitig Teil der Lösung, da sie die Exporte ankurbeln werden. Wir sind fast so weit, die Wende vor uns zu haben. Anleger sollten sich überlegen, welche Art von Schwellenländer-Investment sie tätigen möchten. Aktien? Anleihen? Auf US-Dollar lautende Anleihen oder solche in Lokalwährungen?
FundResearch: Was ist Ihre Meinung?
Walter Liebe: Lokalwährungsanleihen bieten unserer Ansicht nach eine sehr attraktive Rendite, allerdings sorgt die Fremdwährungskomponente für höhere Schwankungen, die nicht jedem Anleger zusagen. Ein wichtiger Punkt ist auch, dass die Betrachtungswährung eine große Rolle spielt. Während in US-Dollar gerechnet die lokalen Schwellenländeranleihen seit 2013 mehr als 20 Prozent verloren und wir nahe der Tiefstände sind, haben wir in Euro gerechnet seit 1,5 Jahren schon eine ansehnlich positive Wertentwicklung verzeichnen können.
FundResearch: Welchen Einfluss haben die aktuellen Geldpolitiken der großen Zentralbanken auf Schwellenländer-Anleihen und was passiert, wenn die Fed die Zinsen anhebt?
Walter Liebe: Die Geldpolitik der Fed spielt eine sehr große Rolle für die Entwicklung von Schwellenländerinvestments. Als Ben Bernanke im Mai 2013 ein Ende der ultralockeren Geldpolitik auch nur andeutete, reagierten die Kapitalmärkte regelrecht panisch, obwohl zu diesem Zeitpunkt noch gar nichts geschehen war. Seitdem bestimmt das Timing einer ersten Zinserhöhung in den USA die Märkte. Jeder fürchtet sich davor und es ist Konsens, dass höhere US-Zinsen schlecht für risikoreiche Anlagen sind. Andererseits haben die Märkte den Beginn des Zinserhöhungszyklus bereits lange in den Kursen berücksichtigt. Daher wird der tatsächliche Beginn – ähnlich wie der Start der Tapering-Periode Anfang 2014 – die Kurse weniger stark bewegen als dies viele befürchten. Wir rechnen für September mit dem ersten Schritt der Fed, aber die Zinsschritte werden sehr vorsichtig und abwartend sein, mit langen Pausen zur Datenbeobachtung.
FundResearch: Erwarten Sie Reaktionen der Zentralbanken in den Schwellenländern?
Walter Liebe: Die Zentralbanken der Schwellenländer, die seit Jahresanfang schon zahlreiche Zinssenkungen zur Ankurbelung der schwächelnden Emerging Markets vorgenommen haben, werden unserer Meinung nach ihre Geldpolitik nicht mehr weiter so stark lockern. Denn wenn die Fed gleichzeitig die Zinsen nach oben fährt, würde dies den Druck auf die Schwellenländer-Wechselkurse zurückbringen, wegen der Verringerung der relativen Zinsunterschiede. Gleichwohl können die Renditen für EM-Lokalwährungsanleihen auch bei gleichbleibenden Leitzinsen sinken, da sie mit etwa 6,7 Prozent pro Jahr recht hoch sind und die Inflationsraten in den Schwellenmärkten zurückgehen. Das sollte für Kursgewinne bei den Anleihen führen, zusätzlich zu den laufenden Zinsen.
(PD)
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