US-Aktien: Gewinne und Bewertungen entscheidend

Negative Nachrichten zur makroökonomischen Lage sind eine wenig hilfreiche Ablenkung von den wesentlichen Faktoren, meint Jay Feeney, CIO von Robeco Investment Management in Boston. Er rechnet damit, dass der anhaltende Anstieg der Unternehmensgewinne die Kurse von US-Aktien nach oben treiben wird.

11.10.2010 | 14:02 Uhr


Das anhaltende Gewinnwachstum in den USA dürfte in den nächsten Monaten eine solide Wertentwicklung des US-Aktienmarktes unterstützen - trotz schwacher makroökonomischer Daten und negativer Meldungen aus der ganzen Welt, sagt Jay Feeney. "Es gibt eine goldene Regel, auf die sich Anleger verlassen können: Die Entwicklung der Aktienkurse hängt letztlich von der Ertragslage der Unternehmen ab."

Die Performance des US-Aktienmarktes war in den letzten Monaten ausgesprochen wechselhaft. Von März 2009 bis April 2010 erzielten US-Aktien hervorragende Gewinne, bevor sie erneut abrutschten. Obwohl es seitdem wieder einige Phasen mit stetigen Zuwächsen gab, wurden die Hochstände vom Frühjahr 2010 bislang nicht erreicht.

So brach etwa der S&P 500 von einem Höchststand im April bei 1.217 Punkten zeitweise um 16 % auf einen Tiefstand von 1.022 Punkte ein und erreicht aktuell wieder 1.140 Punkte - im historischen Vergleich eine sehr starke Korrektur.

Macroökonomisches Bild erschien negativ
Was waren die Ursachen für den Rückgang? Die makroökonomischen Daten für die USA waren zumeist negativ. So stieg die Arbeitslosigkeit weiter an und lässt die Erholung im Immobiliengeschäft immer noch auf sich warten. Zusätzlich drückten in den vergangenen Monaten neue Negativmeldungen auf die Stimmung der Anleger: die Schuldenkrise einiger EU-Randstaaten, Sorgen um eine möglicherweise strenge Bankenreform, die Gefahr einer "harten Landung" der chinesischen Wirtschaft und die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko.

Diese makroökonomischen, langfristigen Probleme dominierten die Marktstimmung und drängten eine klar positive Nachricht in den Hintergrund: Die US-Unternehmen erwirtschaften wieder anhaltend solide Gewinne - und es sieht danach aus, dass sie weiter steigen.

"Unserer Ansicht nach ist die Marktschwäche die Folge einer überzogenen Reaktion auf die negativen Meldungen, die in ihrer Gesamtheit private und institutionelle Anleger verängstigt haben", so Feeney.

Globale Ereignisse müssen im richtigen Zusammenhang gesehen werden
Natürlich darf man das Geschehen im Rest der Welt nicht ignorieren. Denn es nimmt sowohl auf die Ertragskraft der Unternehmen als auch auf das Niveau von Zinsen und Risikoprämien Einfluss. Dies wiederum sind Faktoren, die Auswirkungen darauf haben, welche Kurs-Gewinn-Verhältnisse angemessen erscheinen. Gleichzeitig ist das allgemeine Risikoniveau weiterhin hoch. Die hohe - und weiter wachsende - Verschuldung vieler Staaten lässt für die Zukunft steigende Zinssätze und zunehmende Inflation erwarten. Zugleich stehen Industriestaaten wie die USA in Bezug auf künftiges Wachstum vor erheblichen Herausforderungen.

Doch laut Feeney müssen auch diese Faktoren aus dem richtigen Blickwinkel betrachtet werden. "Solche Meldungen lenken normalerweise und im günstigsten Fall nur von den wesentlichen Faktoren ab. Denn es ist schwierig, wenn nicht gar unmöglich, zwischen solchen makroökonomischen Themen und der Gewinnsituation der Unternehmen oder anderen wichtigen Bewertungsfaktoren wie Zinssätze und Risikoprämien einen klaren Zusammenhang zu finden", erklärt er.

Kreative Zerstörung schafft neue Anlagechancen
Konzentriert man sich zu sehr auf solche Makrothemen, führt Feeney weiter aus, kann es leicht passieren, dass ein entscheidender Mechanismus des Kapitalismus in Vergessenheit gerät: die "kreative Zerstörung", die in Krisenzeiten ihren Lauf nimmt.

"Dieses Phänomen verändert das Umfeld so fundamental, dass eine Fülle neuer Chancen entsteht und die Basis für künftiges Wachstum geschaffen wird", erklärt er. Für Anleger komme es deshalb darauf an, die aufkommenden Chancen richtig zu erkennen.

Solche Veränderungen fanden in den letzten Jahren auch innerhalb der Unternehmen selbst statt, die mit massiven Kostensenkungen schnell auf die Rezession reagiert haben. So wurden Betriebsausgaben und Investitionen in das Anlage- und Umlaufvermögen teils dramatisch reduziert, sodass die Unternehmen dem Abschwung mit hohen Cashflows meistern konnten.

"Fundamental gesehen ist der Markt heute in einem deutlich besseren Zustand als vor einem Jahr", stellt Feeney fest.

Nüchterner Blick auf harte Zahlen gefragt
Feeney geht davon aus, dass die Unsicherheit noch eine Weile anhalten dürfte. Deshalb empfiehlt er Anlegern, sich auf die harten Zahlen zu konzentrieren: "In diesem nervösen Klima müssen Anleger ganz nüchtern vorgehen, also rein objektiv alle Zahlen und Fakten abwägen. So können Abwärtsrisiken und Aufwärtschancen unter Berücksichtigung von Gewinnen und Bewertungen rational beurteilt werden".

Und diese Zahlen und Fakten für eine solche objektive Einschätzung sind ermutigend. Denn die Gewinne sind auf dem besten Weg, historische Rekorde zu brechen - möglicherweise schon innerhalb der nächsten 12 Monate. Bereits im ersten Quartal 2010 wurden so hohe Gewinne verbucht wie seit mehr als 30 Jahren nicht mehr, und 80 % der Unternehmen im S&P 500 übertrafen die Analystenschätzungen. Der Gewinn pro Aktie erreichte im Durchschnitt 19,50 US-Dollar; hochgerechnet auf das Gesamtjahr ergäbe das 78 US-Dollar.

Übertrieben starke Bewertungsrückgänge
Gleichzeitig sind die Bewertungen auf einem attraktiven Niveau. Wegen der Konzentration des Marktes auf Makrofaktoren werden die Gewinnmöglichkeiten weiterhin unterschätzt, weshalb die EPS-Konsensprognosen sehr stark eingepreist wurden. Gleichzeitig sind die Risikoprämien derzeit ungerechtfertigt hoch. "Das schafft die Basis für höhere Anlagerenditen, denn die Bewertungen sind übertrieben stark zurückgegangen", so Feeney.

Tatsächlich beträgt das Verhältnis von Kursen zu den über fünf Jahre normalisierten Gewinnen im S&P 500 derzeit 14,4 - der Durchschnitt seit 1963 liegt bei 16,8.

Interessantes Potenzial für Kursgewinne
Dies lässt ansehnliches Aufwärtspotenzial erkennen. Schon ein nominales Gewinnwachstum um 4,5 % (deutlich unter dem langfristigen Durchschnitt von 7 %), die aktuelle Risikoprämie von 6 % und Gewinne pro Aktie um die 80 US-Dollar (was er für sehr gut erreichbar hält) würden laut Feeney einen Stand des S&P 500 zwischen 1.200 und 1.300 Punkten rechtfertigen; der obere Wert entspräche einem Zuwachs um 14 % gegenüber dem aktuellen Niveau.

"Die kumulierten Anlagerenditen der letzten zehn Jahre waren enttäuschend. Unserer Ansicht nach versprechen Statistiken wie diese aber, dass die nächsten Jahre besser werden", erklärt Feeney.

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