Was bedeutet die Zinserhöhung durch die EZB?

Nach der Zinserhöhung der EZB vom 7. April übertreibe der Markt mit seinen Erwartungen zur Straffung der Geldpolitik in der Eurozone, so Chefökonom Léon Cornelissen.

19.04.2011 | 09:36 Uhr

Die Zinserhöhung um 25 Basispunkte des Hauptzinssatzes der EZB von 1 % auf 1,25 % vom 7. April kam nicht überraschend. Jean-Claude Trichet, der Präsident der EZB, hatte bereits im März signalisiert, dass im April mit einem Zinsschritt zu rechnen sei.

Tatsächlich hatte die Zentralbank kaum eine Alternative zur Erhöhung der Zinssätze, nachdem sie sich selbst mit aggressiver Rhetorik unter Zugzwang gesetzt hatte. Wären die Zinssätze niedrig geblieben, hätte nicht nur Jean-Claude Trichet sein Gesicht verloren, sondern auch die EZB ihre Glaubwürdigkeit.

Aber war die Zinserhöhung – die erste offizielle Zinserhöhung in der Eurozone seit drei Jahren – tatsächlich notwendig? Jean-Claude Trichet kommentierte die Zinserhöhung damit, dass diese „angesichts der steigenden Risiken für die Preisstabilität gerechtfertigt sei“.

Die EZB konzentriert sich auf die Headline-Inflation
Dieses Argument wird durch die Konzentration der EZB auf die Headline-Inflation erleichtert, die im Jahresvergleich im März bei enttäuschenden 2,6 % lag. Die Kerninflation, bei der die Preisschwankungen von Nahrungsmitteln und die Energiekosten nicht berücksichtigt werden, blieb bei komfortablen 1,0 %.

Die EZB erkannte auch, dass Inflationserwartungen zunehmen. Dies gefiel ihr nicht. Die EZB ist besorgt, dass sich die höhere Inflation durch höhere Ölpreise und Rohstoffpreise durch höhere Löhne verfestigt. Sie spürte eindeutig die Notwendigkeit, mit der Peitsche zu drohen, um solche Effekte zu bekämpfen.

Nach der Erhöhung der Zinssätze in China, Indien, Polen und Schweden hat die EZB nun eine Politik umgesetzt, die in scharfem Kontrast zu der Politik der Fed steht. Die US-Zentralbank zögert immer noch, die Zinsen zu erhöhen und verfolgt weiterhin eine Politik der quantitativen Lockerung.

Die Politik der EZB steht auch in scharfem Gegensatz zu der abwartenden Haltung der Bank of England, durch die die britischen Politiker einen Teil der enormen Staatsverschuldung des Landes durch Inflation abbauen können. Jean-Claude Trichet war entschlossen, ein solches Signal nicht zu senden.

Signal von Jean-Claude Trichet an Sarkozy, Merkel und andere
Tatsächlich steckt hinter der Zinserhöhung in der Eurozone rein politisches Kalkül. Die EZB hat keine besonders hohe Meinung von der Art und Weise, wie die europäischen Politiker auf die Staatsschuldenkrise in der Eurozone reagierten.

Insbesondere gefällt es der EZB nicht, als letzter Käufer von Staatsschulden aufzutreten, eine Rolle, die die Zentralbank nur widerwillig akzeptiert hat. Die Ablehnung der Politiker, den europäischen Stabilitätspakt (ESM) zu unterstützen, der Staatsschulden aufkaufen soll, war eine weitere bittere Pille für die EZB.

Die Zinserhöhung kann somit als versteckte Drohung an die Politiker interpretiert werden, dass die EZB sie nicht immer wieder aus dem Schlamassel holen wird.

Da die EZB den Auftrag hat, die jährliche Inflation in der Eurozone mittelfristig „unter maximal“ 2 % zu halten, konnte man daraus schließen, dass eine Zinserhöhung nicht ganz unbegründet war. Selbst bei Berücksichtigung dieser Aspekte bin ich der Ansicht, dass die EZB eher reagierte als unbedingt notwendig.

Effekte einer zweiten Inflationsrunde minimal
Die Inflation in der Eurozone entwickelt sich nicht so, dass unbedingt hätte gehandelt werden müssen. Es sind kaum Effekte einer zweiten Inflationsrunde zu erkennen. Die Entwicklung der Löhne in Deutschland kann nicht als störend betrachtet werden. Tatsächlich entwickeln sie sich genau entsprechend den Produktivitätstrends in Deutschland.

Damit nicht genug. Es gibt noch andere Faktoren, die, insgesamt gesehen, die EZB hätten überzeugen können, weiter abzuwarten. Erstens haben die Peripherieländer der Eurozone Probleme. Zweitens ist die globale makroökonomische Situation zurzeit ungewiss, da die Ölpreise steigen und Japan mit Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Drittens dürften die wachsenden Spannungen im Nahen Osten nicht verschwinden.

Vor diesem Hintergrund wäre es angemessen, wenn die Zentralbank vor einer Zinserhöhung eine Pause einlegen würde. Tatsächlich hätte die EZB auch andere Wege beschreiten können. Sie hätte beispielsweise die Menschen auf eine Zeit mit höherer Inflation vorbereiten können. Stattdessen entschied sie sich für eine Zinserhöhung.

Die Erwartungen, dass die Zinssätze in der Eurozone steigen, hatten bereits dazu beigetragen, den Einfluss der höheren Rohstoffpreise durch den stärkeren Euro zu kompensieren.

Wie die Aufwertung der Währung in der Eurozone die Inputpreise gesenkt hat, ist hier gut zu erkennen. Im vergangenen Monat stiegen die Rohstoffpreise, die in US-Dollar abgerechnet werden, um 2,5 %. In Euro umgerechnet, blieben die Preise jedoch unverändert. Jean-Claude Trichet hat mit seiner Rede über die Währungssicherheit somit die Wirtschaft vor höheren Rohstoffpreisen geschützt, allerdings auf Kosten schrumpfender Exporte.

Spanien scheint für den Moment sicher
Obgleich die Zinserhöhung mehr oder weniger unvermeidlich war, ist der Zeitpunkt unglücklich gewählt, denn sie kommt nicht einmal 24 Stunden nachdem Portugal schließlich erklärte, es müsse wie Griechenland und Irland den EU-Rettungsschirm in Anspruch nehmen, um die sich verschärfende Finanzkrise im Land zu bewältigen. Es wurde ein offizieller Antrag auf einen Notkredit von 60 bis 80 Milliarden Euro gestellt.

Die Gefahr dabei liegt darin, dass höhere Darlehenskosten zu einer Aufwertung des Euro führen und die Staatsschuldenkrise noch verschärfen. Vor diesem Hintergrund ist eine Zinserhöhung von 25 Basispunkten nur ein moderater Schritt. Jede Volkswirtschaft sollte in der Lage sein, eine solche Erhöhung zu verkraften – selbst Spanien, der in der Regel als nächster der üblichen Verdächtigen betrachtet wird, das den Sicherheitsschirm in Anspruch nehmen muss.

Zumindest für die Gegenwart jedoch scheint sich Spanien von den Peripherieländern abgekoppelt zu haben. Spanien hält seine Budgetvorgaben ein und ergreift einige Maßnahmen auf der Angebotsseite. Die Anleihemärkte sind der Ansicht, dass Spanien sicher ist, zumindest jetzt. In der Tat war die Zinserhöhung der EZB nur möglich, weil für Spanien keine Ansteckungsgefahr durch Portugal besteht.

Aber auch für die spanische Volkswirtschaft ist die Zinserhöhung der EZB alles andere als hilfreich, da die Volkswirtschaft in der Tat Probleme hat. Einmal muss die Krise der Sparkassen gelöst werden. Wie viel dürfte das kosten? Die Frage dabei ist, ob die Regierung über die Selbstbeherrschung verfügt, ihr Budget nicht zu überschreiten.
Vor allem aber scheint es unvermeidlich zu sein, dass Griechenland und Irland ihre Verbindlichkeiten irgendwann umschulden müssen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass auch Portugal dazu gezwungen sein wird. Was passiert dann? Die portugiesische und die spanische Volkswirtschaft sind ziemlich stark verflochten.

Die Staatsschuldenkrise in der Eurozone könnte somit längerfristig schnell wieder aufflammen, aufgrund der Ansteckungsgefahr bei einer Staatsumschuldung, aufgrund der Wachstumsdifferenzen in der Region oder aufgrund fehlender politischer Unterstützung für den Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM). Rechnen wir lieber nicht damit, dass das Risiko einer Zahlungsunfähigkeit von Staaten der Eurozone in naher Zukunft verschwindet.

Zukünftige Politik nicht entschieden - Markt preist jedoch zu viel Zinserhöhung ein
Die kritische Frage ist jetzt jedoch, wie die zukünftige Entwicklung der Zinssätze in der Eurozone aussehen wird. Ist die EZB bereit, eine Serie von Zinserhöhungsschritten zu beginnen? Die Auskunft der Zentralbank ist nicht eindeutig. Jean-Claude Trichet sagte am Donnerstag, dass die zukünftige Richtung der Geldpolitik noch nicht entschieden sei: „Wir haben heute nicht entschieden, dass dies der erste Schritt einer Reihe von Zinserhöhungen ist.” Gleichzeitig vermerkte er, dass die Geldpolitik weiter den „Gegebenheiten Rechnung tragen werde“.

Eine gemischte Nachricht, aber kaum die Fanfare für eine energischere Geldpolitik. Und Jean-Claude Trichet hörte sich auf der Pressekonferenz auch nicht besonders energisch an. Bei den Übernacht-Swap-Raten sind bereits drei weitere Zinserhöhungen in diesem Jahr eingepreist. Damit würden die offiziellen Zinssätze auf 2 % steigen.

Eine so aggressive Zinspolitik erwarten wir jedoch nicht. Wir gehen nicht davon aus, dass die nächste Zinserhöhung vor dem Sommer ansteht; wahrscheinlich wird die nächste Zinserhöhung erst im September folgen. Danach dürfte die nächste Zinserhöhung in der Eurozone wahrscheinlich Anfang 2012 verkündet werden. Mehr wäre eine Überraschung.

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