Trübsal an den Aktienmärkten durch nachlassendes Wachstum

Das Wachstum in den Schwellenländern verlangsamt sich, und in den entwickelten Märkten wird es wohl wenig positive makroökonomische Überraschungen geben. Deshalb sind die Aussichten für Aktien bescheiden, so Chefstratege Ronald Doeswijk.

26.05.2011 | 09:59 Uhr

Besser wird es nicht. So schätzt zumindest Ronald Doeswijk die momentane Verfassung der Weltwirtschaft ein. Von nun an wird die Lage wohl schwieriger werden. Offenbar lässt die Wachstumsdynamik rund um den Globus bereits nach.

Aus folgendem Grund: Die Zentralbanken in den Schwellenländern nehmen das Thema Inflation allmählich ernst und drehen an der Zinsschraube. Oft sind die restriktiven Maßnahmen sogar unerwartet scharf. Diese Schritte wirken, denn die Konjunktur kühlt sich ab.

Zugleich läuft die Wirtschaft in den entwickelten Märkten so gut, wie man es realistischerweise erwarten darf - das zeigen die guten Zahlen zum Produzentenvertrauen.

All das hört sich nicht nach einem großen Problem an. Aber dieses recht rosige Bild hat leider auch eine Schattenseite: Es ist schwer vorstellbar, dass die makroökonomischen Zahlen so robust bleiben können, wie sie jetzt sind. „Es steht zu bezweifeln, dass es weitere positive makroökonomische Überraschungen gibt. Negative Überraschungen hingegen sind durchaus denkbar. Daher dürften die Märkte in den kommenden Monaten glanzlos bleiben“, meint Doeswijk.

Vor diesem Hintergrund bleibt das Financial Markets Research-Team bei seiner vorsichtigen Haltung, die es im April eingenommen hat. Die bevorzugten Anlageklassen des Teams sind Unternehmensanleihen (Credits und High Yield) und Rohstoffe, hingegen bewertet das Team Aktien und Immobilien neutral. Staatsanleihen und Bargeld werden weiter als unattraktiv gesehen.

US-Konjunktur trotz nachlassender Dynamik stabil
Sehen wir uns genauer an, was die Weltwirtschaft im Einzelnen bremst. „Großbritannien, die Eurozone, Japan und China – sie alle wirken als Hemmschuhe, aber aus ganz unterschiedlichen Gründen“, beobachtet Doeswijk. Zu beachten ist, dass die USA in dieser Liste der schwächelnden Volkswirtschaften fehlt.

Es stimmt zwar, dass die Dynamik der US-Wirtschaft nachlässt, obgleich der Dollarkurs weiter im Sinken begriffen ist. Zudem ist der ISM-Index außerhalb des verarbeitenden Gewerbes rückläufig, und das BIP hat im 1. Quartal mit einem Plus von nur 1,8 % (auf Jahresbasis) – gegenüber 3,1 % im 4. Quartal 2010 – die Erwartungen enttäuscht.

Dennoch ist die Geschwindigkeit dieser Verlangsamung nach Doeswijks Ansicht alles andere als bedrohlich. Zudem waren die jüngsten Zahlen des ISM-Einkaufsmanagerindex robust. „Alles in allem hat die US-Wirtschaft es geschafft, sich trotz gestiegener Energiekosten stetig zu entwickeln“, sagt er.

Die britische Konjunktur tritt auf der Stelle
Aber was ist mit den vier Volkswirtschaften, die laut Doeswijk als Hemmschuh für das weltweite Wachstum wirken?In Großbritannien lag das BIP-Wachstum im ersten Quartal bei enttäuschenden 0,5 %. Das karge Wachstum macht kaum den schneebedingten Einbruch im 4. Quartal 2010 wett. Unterdessen deutet der deutliche Rückgang des Dienstleistungs-PMI im April darauf hin, dass Einschnitte im Staathaushalt die Wachstumsdynamik hemmen. „Die britische Wirtschaft zeigt allgemein ein schwaches Bild“, so Doeswijk.

Aber ein Trost bleibt: Die Inflation (EU-harmonisiert) ist im März von 4,4 % auf 4,0 % gefallen. Folglich kann die Bank of England ihre Leitzinsen noch eine Weile unverändert lassen.

Keine Annäherung der Wachstumsraten in der EU
Nun zur Eurozone: „Nichts deutet darauf hin, dass sich die Wachstumsraten in der Region annähern“, sagt Doeswijk. Noch ist die Wirtschaft im Kern der Eurozone auf Expansionskurs, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis die restriktivere Geldpolitik - und damit einhergehend ein stärkerer Euro - Wirkung zeigt.

Ganz anders in der Peripherie. Die neuesten PMI-Zahlen aus Griechenland liegen unter 50, in Spanien ist der Index auf fast 50 gefallen, und die Staatsschuldenkrise dauert an. Während Portugal ein Rettungspaket mit dem IWF und der EU vereinbart hat, scheint eine bevorstehende Umschuldung für Griechenland immer wahrscheinlicher.

Spanien unternimmt alle Anstrengungen, sich von anderen Ländern der Randzone zu distanzieren, wird dabei aber durch die restriktivere Geldpolitik der EZB behindert. Die EZB hat zwar im April - wegen der verschlechterten Inflationsdaten - ihre Leitzinsen erstmals in drei Jahren angehoben, die Zentralbank ließ aber erkennen, dass sie es mit weiteren Zinserhöhungen nicht eilig hat.

Perspektive für Japan verschlechtert
Das dritte Land ist Japan, wo die Folgen des Erdbebens für die Konjunktur noch schlimmer als befürchtet waren. Im März ist die Industrieproduktion um mehr als 15 % gegenüber dem Februar eingebrochen, viel stärker als die allgemein erwarteten 10,6 %.

Zugleich ist der private Konsum um 8,5 % gegenüber dem Vorjahr gesunken. Da die japanische Zentralbank ferner feststellt, dass die einheimischen Verbraucher ihre Ausgaben reflexartig weiter gesenkt haben, ist eine Rückkehr zur Deflation offenbar unvermeidlich.

Institutionen wie die OECD prognostizieren eine klassische V-förmige Erholung, wie sie typischerweise auf eine Naturkatastrophe folgt. „Aber das ist alles andere als sicher“, sagt Doeswijk. „Ein Unsicherheitsfaktor ist das Kernkraftwerk Fukushima. Das größte Fragezeichen schwebt aber über der Finanzierung des Wiederaufbaus.“

Allein die direkten Kosten der Katastrophe dürften sich auf 16 bis 25 Billionen Yen belaufen. Der japanischen Regierung wird wohl nichts anderes übrig bleiben, als für einen Großteil dieser Kosten zu aufzukommen. Die japanische Staatsverschuldung liegt bereits bei über 200 % des BIP, und das primäre Haushaltsdefizit soll 2011 nach Schätzungen 7 % erreichen. Vor diesem Hintergrund kann die neuerliche Warnung von S&P über die Kreditwürdigkeit des Landes nicht überraschen.

„Alles in allem sind wir weiter sehr vorsichtig, was die mittelfristigen Aussichten der japanischen Wirtschaft angeht“, warnt Doeswijk.

Konjunkturdämpfende Maßnahmen in China greifen
Zu guter Letzt: China. In diesem Schwellenmarkt greifen die Maßnahmen zum Abkühlen der Konjunktur – zumindest in einem gewissen Maße. Das zeigt etwa die Tatsache, dass der chinesische Einkaufsmanagerindex im April von 53,4 auf 52,9 gefallen ist. Nach wie vor Kopfzerbrechen bereitet die Inflation mit 5,4 % (auf Jahresbasis) im März. „Für die chinesische Zentralbank hat das Zügeln der Inflation höchste Priorität“, so Doeswijk. Weitere Schritte sind wahrscheinlich.

Auch in anderen Schwellenmärkten steigen die Leitzinsen. Alle Zentralbanken in den drei anderen BRIC-Staaten (Brasilien, Indien und Russland) haben ihre Leitzinsen unlängst angehoben. Weitere Zinserhöhungen in Schwellenmärkten scheinen unausweichlich.

Aussichten für Aktien noch neutral
In diesem Umfeld ist für das Financial Markets Research-Team weiter Wachsamkeit geboten. Die Prognosen für Aktien bleiben neutral. „Von Aktien sollte man sich in den nächsten Monaten nicht zu viel versprechen. Aber die Risikoprämien werden nach unserer Überzeugung über 12 Monate gesehen positiv sein", so Doeswijk.

Doch es gibt auch positive Seiten: Die Konjunktur ist nach einer schweren Rezession immer noch auf Erholungskurs, und es finden wieder vermehrt Fusionen und Übernahmen statt. Darin spiegelt sich die gestiegene langfristige Zuversicht der Unternehmen.

Aber eine Reihe von Faktoren werden vermutlich dämpfend auf die Aktienmärkte wirken. Erstens ist die Bewertung mit einem voraussichtlichen KGV von 12,3 nicht mehr als neutral zu bezeichnen. Zweitens sind die Gewinnerwartungen immer schwerer zu übertreffen. Drittens zeigt die Erfahrung, dass Aktien im Zeitraum Mai bis Oktober oft nur mühsam von der Stelle kommen.

Doeswijk sagt dazu: „Eine solche Sommerflaute passt gut zu unserer Einschätzung, dass eine bessere makroökonomische Lage kaum vorstellbar ist, da ja die Schuldenkrise in der Eurozone noch immer nicht überwunden wurde.“

Schwellenmärkte immer noch die bevorzugte Region bei Aktien
Im Bereich Aktien gibt das Team den Schwellenmärkten – gefolgt von Nordamerika – den Vorzug vor Europa und dem Pazifik. Zum einen sind die Ertragskorrekturen in beiden favorisierten Regionen besser als in Europa. In den Schwellenländern sind die Inflationsrisiken angesichts einer anhaltend restriktiven Geldpolitik, nachlassendem Preisdruck bei Lebensmitteln und gesunden Staatsfinanzen überschaubar. In den USA zieht mittlerweile der private Verbrauch wieder an, und die Dollarschwäche kommt dem dortigen Export zugute.

Das Team beurteilt Aktien in Europa - die Region mit der besten Performance im vergangenen Monat - weiterhin skeptisch. Doeswijk weist darauf hin, dass die gute Entwicklung in Europa weitgehend auf die Aufwertung des Euro zurückzuführen ist. „Das starke Produzentenvertrauen scheint nur kurzzeitiger Natur zu sein“, fügt er hinzu. Über der Region schwebt die Gefahr, dass die Schuldenkrise erneut aufflammt, vor allem da eine Umschuldung für Griechenland unmittelbar bevorzustehen scheint.

Immobilien wieder mit Aktien auf neutral
Auch Immobilien sind als Anlageklasse von der veränderten Risikofreudigkeit der Anleger betroffen. Wie für Aktien ist auch bei Immobilien in nächster Zeit eine Seitwärtsbewegung wahrscheinlich. Das Financial Markets Research-Team hat seine bislang positive Prognose für Immobilien im April auf neutral zurückgestuft.

Warum haben sich die Aussichten eingetrübt? Immobilien sind vom steigenden Ölpreis nur unwesentlich betroffen, und auch die anhaltend niedrigen Zinsen sind von Vorteil. Zuallererst haben sich die Gewinnprognosen der Analysten in den vergangenen drei Monaten kaum verändert. Zweitens liegt das Preis-Cashflow-Verhältnis für Immobilien beim 1,5-fachen von dem für Aktien und entspricht damit genau dem historischen Mittelwert. Drittens folgt auch der saisonale Verlauf bei Immobilien der Wertentwicklung von Aktien.

Unternehmensanleihen weiter gegenüber Staatsanleihen bevorzugt
Das Team ist bei Unternehmensanleihen weiter positiv. Zugegeben, die Spreads haben sich in den letzten drei Monaten kaum bewegt. Das bedeutet aber, dass Anleger mit einer Risikoprämie belohnt worden sind. Insgesamt sind Unternehmensanleihen nicht von der schwächelnden Konjunktur betroffen. „Die Ausfallquoten sind niedrig, und die Kreditqualität steigt. Deshalb gibt es nach unserer Ansicht noch Spielraum für weiter sinkende Spreads”, so Doeswijk.

Er und seine Kollegen sehen Staatsanleihen weiterhin als unattraktiv, da die Outperformance von Unternehmensanleihen gegenüber Staatspapieren wahrscheinlich anhalten dürfte. Allerdings glaubt das Team nicht, dass es in nächster Zeit zu einem Anstieg der langfristigen Zinsen kommt. „Die Kerninflation ist in allen wichtigen Regionen gestiegen. Da aber die Arbeitsmärkte generell schwach sind, dürfte es nach unserer Ansicht eine Weile dauern, bevor die Kerninflation wirklich anzieht“, sagt Doeswijk.

Langfristig gute Aussichten für Rohstoffe
Einiges spricht für die Ansicht, dass sich im Aufwärtstrend der Rohstoffpreise die steigende Nachfrage der globalen Mittelklasse bei einem knappen Angebot widerspiegelt. Deshalb beurteilt das Team die Aussichten für Rohstoffe auf lange Sicht weiter optimistisch.

Kurzfristig trüben allerdings eine Reihe von Faktoren die Aussichten ein, etwa das Nachlassen der sozialen Spannungen in Nahost und der absehbare Rückgang der Aktivitätsindizes für das verarbeitende Gewerbe von ihren historischen Höchstständen. „Auch das Vertrauen in Industriewerte, Edelmetalle und Energie sinkt nach der beeindruckenden Rally in den letzten 6 bis 12 Monaten“, so Doeswijk.

Klicken Sie hier, um den aktuellen Bericht des Financial Market Research-Teams komplett zu lesen

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