Metzler Asset Management Economics "Marktaktuell" für das 4. Quartal 2011

Rentenmarkt                                        Der europäische Rentenmarkt war im dritten Quartal von einer Verschärfung der europäischen Staatsschuldenkrise und der Suche der Investoren nach einem sicheren Hafen geprägt.

07.10.2011 | 15:23 Uhr

Die Staatsschuldenkrise weitete sich auf Italien und auf das europäische Bankensystem aus und bekam somit einen systemischen Charakter. Die stark verunsicherten Investoren suchten reflexartig den sicheren und liquiden Hafen der Bundesanleihen. So sank die Rendite 10-jähriger Bundesanleihen im September auf ein neues historisches Tief von 1,64 %, die Rendite 2-jähriger Bundesanleihen fiel sogar auf nur noch 0,32 %. Allerdings scheint dieser Renditerückgang eher eine Folge technischer Faktoren zu sein – etwa der traditionell hohen Liquidität bei Bundesanleihen – als in den guten Fundamentaldaten Deutschlands begründet: Der deutsche Staat hat immerhin ein Exposure gegenüber den GIIPS-Staaten (Griechenland, Irland, Italien, Portugal, Spanien) von mehreren hundert Milliarden Euro – sowohl über die expliziten und impliziten Garantien für das deutsche Finanzsystem als auch über die Beteilung an der Europäischen Zentralbank (EZB). Ein Zahlungsausfall Italiens würde letztlich auch die Solvenz der Bundesrepublik Deutschland gefährden.

Aufgrund der im Oktober beschlossenen umfangreichen Liquiditätsversorgung der EZB erwarten wir, dass am europäischen Rentenmarkt eine gewisse Risikobereitschaft zurückkehrt. Schon im Sommer 2009 führten vergleichbare Liquiditätsschritte der EZB zu einer sehr guten Wertentwicklung von risikobehafteten Renten-papieren.
Auch dürfte die baldige Absegnung des erweiterten EFSF (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität) durch das Parlament der Euromitgliedsländer dazu beitragen, dass sich die Stimmung an den Rentenmärkten verbessert – zumal der erweiterte EFSF eine wichtige Rolle bei der umfangreichen Rekapitalisierung der europäischen Banken spielen dürfte, die derzeit in Planung ist. Mit einer Rekapitalisierung der Banken sinken die Risiken für eine systemische Krise in der Eurozone, da die Verluste der Banken nach einem Zahlungsausfall Griechenlands mit genügend Eigenkapital der Banken gedeckt wären.

Vor diesem Hintergrund erwarten wir bis Ende Dezember einen Anstieg der Renditen 10-jähriger Bundesanleihen auf 2,0 % bis 2,3 % und einen Renditerückgang für Anleihen aus Spanien und Italien. Darüber hinaus dürfte die EZB mit Leitzinssenkungen im November 2011 und im Januar 2012 von jeweils 0,5 %-Punkten auf einen Leitzins von dann 0,5 % weiter gegen die Konjunkturrisiken kämpfen und damit den Rentenmarkt in der Euro-zone zusätzlich unterstützen.

Aktienmärkte

Die internationalen Aktienmärkte erlitten im dritten Quartal einen Kollaps: Aktien aus der Eurozone gehörten mit einem Verlust von mehr als 20 % zu den großen Verlierern, während amerikanische und japanische Aktien „nur“ mehr als 10 % verloren.

Die Kursverluste waren weniger eine Folge sinkender Unternehmensgewinne, sondern vielmehr bedingt durch einen Rückgang der Bewertung. So fiel das Kurs-Gewinn-Verhältnis für die Aktien des MSCI Europa von 13,1 zu Beginn des dritten Quartals auf nur noch 10,3 zu Quartalsultimo. Europäische Aktien liegen damit knapp 30 % unter dem durchschnittlichen Kurs-Gewinn-Verhältnis von 14,6 seit 1970. Der Rückgang der Bewertung bedeutet im Umkehrschluss einen Anstieg der Risikoprämie. Die Aktienmärkte reagierten damit rational auf die gestiegenen Risiken für die Weltwirtschaft infolge der Verschärfung der europäischen Staatsschuldenkrise.
Steigende Risikoprämien erhöhen grundsätzlich die Attraktivität von Aktien, da es einen signifikanten Zusammenhang zwischen der aktuellen Bewertung und der zukünftigen Wertentwicklung von Aktien über die nächsten fünf bis zehn Jahre gibt. Über eine Periode von ein bis zwei Jahren ist jedoch kein enger Zusammenhang festzustellen, da in der kürzeren Frist eher Faktoren wie Gewinntrends oder Momentum dominieren. So erwarten wir auch keine Normalisierung der Bewertung von Aktien in den kommenden Monaten, sondern rechnen aufgrund der sehr wahrscheinlich anhaltenden Unsicherheit mit unverändert hohen Risikoprämien.

Die Wertentwicklung von Aktien dürfte vor diesem Hintergrund im vierten Quartal maßgeblich vom Gewinntrend bestimmt sein. Frühindikatoren wie der globale Einkaufsmanagerindex signalisierten zuletzt für das vierte Quartal eine Stabilisierung der Weltwirtschaft auf niedrigem Wachstumsniveau. Damit stehen die Chancen gut, dass die Unternehmensgewinne stabil bleiben und die Aktienmärkte das vierte Quartal ohne weitere Kursverluste beenden können. Es gibt jedoch große regionale Differenzen. Während die Aussichten für die Unternehmensgewinne in Japan und in Asien insgesamt gut sind, bestehen aufgrund der Staatsschuldenkrise Risiken für die Gewinne der Unternehmen aus der Eurozone. Die japanischen Unternehmen profitieren vom Wiederaufbau der vom Erdbeben zerstörten Tohoku-Region. Allein im kommenden Jahr dürfte die japanische Regierung mehr als 200 Mrd. USD für den Wiederaufbau ausgeben. Auch zeigte sich die chinesische Wirtschaft zuletzt überraschend widerstandsfähig und befindet sich in einer nur moderaten Abschwungsphase. In diesem Umfeld haben Unternehmensgewinne chinesischer Unternehmen immer noch solides Potenzial.

Konjunktur Europa

Die Staatsschuldenkrise in der Eurozone scheint sich zunehmend negativ auf die Realwirtschaft auszuwirken. Der Transmissionsmechanismus ist dabei das europäische Bankensystem.

So preisten die Finanzmärkte einen dramatischen Anstieg der Konkurswahrscheinlichkeit von Banken ein – sogar deutlich höher als während der Lehman-Krise vom Herbst 2008 –, da europäische Banken einen großen Bestand an Staatsanleihen aus der Eurozone halten und diese Anleihen mit Ausnahme der deutschen im dritten Quartal dramatische Kursverluste erlitten haben. Aufgrund der zunehmenden Angst vor einer Bankenkrise erschwerte sich die Refinanzierung für die Banken erheblich, und die Abhängigkeit von der EZB-Liquidität nahm zu. Normalerweise beginnen Banken in solch einem schwierigen Umfeld Cash zu horten und sich bei der Kreditvergabe zurückzuhalten, was entsprechend negative Folgen für die Realwirtschaft hat.

Frühindikatoren wie die Einkaufsmanagerindizes verzeichneten vor diesem Hintergrund im September einen deutlichen Rückgang und signalisierten eine schrumpfende Wirtschaft. Wir erwarten ein Sinken der Wirtschaftsleistung in der Eurozone um -0,1 % bis -0,3 % im vierten Quartal und ein stagnierendes Wachstum im ersten Quartal 2012. Erst ab dem zweiten Quartal 2012 rechnen wir wieder mit positiven Wachstumsraten in der Eurozone.

Vorraussetzung dafür sind jedoch Leitzinssenkungen der EZB. Derzeit erwarten wir eine Leitzinssenkung auf 1,0 % im November und auf 0,5 % im Januar. Anscheinend wollte EZB-Präsident Trichet auf seiner letzten Sitzung vor der Übergabe des Vorsitzes an Mario Draghi trotz aller Konjunkturrisiken keinen Zinsschritt mehr vollziehen. Als weitere Vorraussetzung für das Szenario einer Konjunkturerholung müsste sich die Staatsschulden- und Bankenkrise wieder beruhigen.

Ein wichtiger Schritt in diese Richtung wäre eine Rekapitalisierung der Banken. Derzeit scheint eine Wiederholung des Stresstests für die Banken geplant zu sein, bei dem die aktuellen Marktkurse für Staatsanleihen für die Bewertung der Bankbilanzen zugrundegelegt werden sollen. Nach Berechnungen des IWF würde auf Basis dieser Methode ein zusätzlicher Eigenkapitalbedarf bei den Banken von 100 bis 200 Mrd. EUR entstehen. Sollten die Banken keine neuen privaten Investoren finden, könnte eine Rekapitalisierung der betroffenen Banken entweder durch den Staat oder durch den EFSF erfolgen. Falls diese Pläne tatsächlich umgesetzt werden, könnte sich die Lage in der Eurozone schnell beruhigen – zumal die üppige Liquiditätsversorgung durch die EZB tendenziell die Risikobereitschaft stärken dürfte. Auch würde ein Zahlungsausfall Griechenlands kaum Ansteckungs-effekte nach sich ziehen, da die Banken genug Eigenkapital zum Verlustausgleich vorweisen könnten.      

Konjunktur USA

In den USA setzten sich im dritten Quartal die Schwächetendenzen des zweiten Quartals fort. Die Demonstration politischer Handlungsunfähigkeit im Zusammenhang mit den Verhandlungen um die Anhebung der Schuldengrenze sowie die Herabstufung des AAA-Ratings der USA scheinen einen Vertrauensschock ausgelöst zu haben.
Neuere empirische Studien zeigen, dass das Vertrauen der Konsumenten und Unternehmen einen signifikanten Einfluss auf die Wirtschaftsentwicklung haben kann. So reduzieren Unternehmen beispielsweise die Investitionsausgaben und horten Cash, wenn das Vertrauen in eine stabile wirtschaftliche Lage in der Zukunft abhanden gekommen ist.

US-Unternehmen scheinen schon seit Ausbruch der Krise 2007 zunehmend unsicherer geworden zu sein, da sie ihre Cashquote sukzessive erhöhten und im ersten Quartal 2011 auf einem Cashbestand von knapp 13 % des BIP saßen – der höchste Wert seit 1960, deutlich über dem langfristigen Durchschnitt von knapp 8 % des BIP.
Derzeit gehen wir davon aus, dass der Vertrauensschock zu einer Verlangsamung des Wachstums auf nur noch 1,5 % im kommenden Jahr beitragen wird.
Die Risiken einer Rezession – definiert als zwei Quartale mit einer schrumpfenden Wirtschaft in Folge – sind zuletzt jedoch deutlich gestiegen. Eine Rezession wäre im Endeffekt die Folge von selbsterfüllenden Erwartungen. Die Wirtschaftspolitik kann derzeit nur sehr begrenzt gegen die Abschwungstendenzen ankämpfen: Die US-Regierung verpflichtete sich auf Sparmaßnahmen, und die US-Notenbank betreibt schon seit mehr als zwei Jahren eine Nullzinspolitik. Bei einer deutlichen Verschlechterung des Wirtschaftsumfelds können wir uns jedoch eine Abkehr von den selbst auferlegten Sparzwängen vorstellen – und damit neue fiskalische Stimulusmaßnahmen.
Darüber hinaus kann die Geldpolitik unter einem Papiergeldstandard potenziell unbegrenzt Geld in die Wirtschaft „pumpen“. So könnte die Federal Reserve beispielsweise ein neues Konjunkturprogramm direkt über die Notenpresse finanzieren und/oder Unternehmensanleihen sowie Aktien kaufen.  

Konjunktur Asien

Die japanische Konjunktur scheint sich erfolgreich von den Abschwungstendenzen der Weltwirtschaft abkoppeln zu können. So stieg das Geschäftsklima des Mittelstands im September auf 47,2 und befand sich damit sogar leicht über dem langfristigen Durchschnitt seit 1985 von 46,8. Der Wiederaufbau der durch das Erdbeben zerstörten Tohoku-Region und die Normalisierung der Stromversorgung nach der Atomkatastrophe von Fukushima sind die Hauptgründe für die Tendenzen der Wirtschaftserholung. Die japanische Regierung dürfte bis Ende 2012 insgesamt 200–350 Mrd. USD für den Wiederaufbau ausgeben. Zwei Nachtragshaushalte mit entsprechenden Ausgabenprogrammen wurden bereits verabschiedet; ein dritter ist auf den Weg gebracht. Vor diesem Hintergrund erwarten wir eine Beschleunigung des Wirtschaftswachstums auf Quartalswachstumsraten von 0,75 bis 1,0 % in den kommenden Quartalen. Für 2012 rechnen wir mit einem Wirtschaftswachstum von über 3,0 %.
Die chinesische Wirtschaft zeigte sich erstaunlich widerstandsfähig und verzeichnete im dritten Quartal eine nur moderate Wachstumsverlangsamung. Der Einkaufsmanagerindex fiel beispielsweise von durchschnittlich 51 im zweiten Quartal auf durchschnittlich 49,4 im dritten Quartal. Der vielfach befürchtete Einbruch der chinesischen Konjunktur blieb aus.

Auch gab es wenig Anzeichen für Stress im chinesischen Bankensystem oder am Immobilienmarkt. Wir sehen China derzeit in einem normalen zyklischen Abschwung – rechnen also mit weiter schwächer werdenden Wirtschaftsdaten –, die Rezessionsrisiken halten wir jedoch für gering. Das Wirtschaftswachstum wird sich in unserem Basisszenario auf 6 bis 7 % im kommenden Jahr verlangsamen. Der Rückgang der Rohstoffpreise seit Ausbruch der Staatsschuldenkrise in Europa dürfte den Inflationsdruck in China in den kommenden Monaten deutlich mildern und somit vielleicht sogar wieder Spielraum für eine Lockerung der Geldpolitik schaffen.  

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