NN IP: Brexit-Szenarien und der Einfluss auf die Märkte

Brexit

Eine dritte Abstimmung über das Brexit-Abkommen scheint vom Tisch zu sein. Ein Aufschub ist am wahrscheinlichsten, aber das Risiko eines ungeregelten Brexits besteht immer noch.

20.03.2019 | 12:32 Uhr

Nach der Ankündigung des Sprechers des britischen Unterhauses, John Bercow, dass er es Premierministerin Theresa May nicht gestatten wird, ein drittes Mal über ihr Rücktrittsabkommen ohne wesentliche Änderungen abstimmen zu lassen, besteht weiterhin Unklarheit über die Brexit-Verhandlungen. Das britische Parlament hatte das Abkommen zuvor am 15. Januar mit einer Mehrheit von 432 zu 202 und am 12. März mit einer Mehrheit von 391 zu 242 Stimmen abgelehnt. Bevor Unterhaus-Sprecher John Bercow dies verkündete, wollte Premierministerin May vor dem EU-Gipfel am 21. März dem Parlament das Abkommen zum dritten Mal vorlegen in der Absicht, einen kurzfristigen „technischen Aufschub" zu beantragen, falls das Abkommen zustande kommt. Es wird erwartet, dass sie nach Alternativen suchen wird, sie aber keine andere Wahl hat, als einen langfristigen Aufschub zu beantragen, um einen neuen Deal einzufädeln.
 
Im Vorfeld des EU-Gipfels skizzieren wir zwei Brexit-Szenarien und ihre erwarteten Auswirkungen auf die Finanzmärkte.
 

Szenario 1: Langer Aufschub (75%)

Im wahrscheinlichsten Szenario gewährt die EU einen längerfristigen Aufschub von Artikel 50. Premierministerin Theresa May erklärte letzte Woche, dass sie einen langfristigen Aufschub beantragen werde, wenn bis zum 20. März kein Deal zustande gekommen ist. Politischen Kommentatoren zufolge dürfte ein solcher Aufschub eher Jahre als Monate dauern. Es ist jedoch ungewiss, ob alle EU-Mitgliedstaaten eine solche Verlängerung billigen würden, die einer einstimmigen Zustimmung im Europäischen Rat bedarf.
 
Die EU-Verhandlungsführer haben deutlich gemacht, dass sie keinen langfristigen Aufschub oder weitere Zugeständnisse gewähren werden, wenn Großbritannien nicht beabsichtigt, seine Position in Bezug auf den Brexit entsprechend zu überdenken. Ein solcher Aufschub könnte ein Türöffner für alternative Möglichkeiten sein, wie einen sehr weichen Brexit, eine Parlamentswahl, möglicherweise gefolgt von einer neuen Regierung mit einer überarbeiteten Verhandlungsstrategie, oder sogar ein zweites Referendum mit der Möglichkeit eines Verbleibs in der EU.
 
Dieses Szenario würde sich positiv auf die Märkte auswirken. Die Renditen des Pfund Sterling und von britischen Staatsanleihen haben sich in diesem Jahr bereits deutlich erholt (siehe Grafik), da der Markt einen kurzfristigen Aufschub einpreist. Im Falle eines längeren Aufschubs erwarten wir weitere Anstiege. Wir gehen davon aus, dass das britische Pfund seinen Anstieg von 5% gegenüber dem Euro seit Jahresbeginn ausbaut und die Rendite von 10-jährigen britischen Anleihen den diesjährigen Anstieg von 9 Basispunkten gegenüber ihrem deutschen Pendant fortsetzt, in der Markterwartung, dass die Bank of England wieder auf einen geldpolitischen Normalisierungskurs einschwenkt. Natürlich hängt jede Normalisierung von den britischen und globalen Wirtschaftsbedingungen ab. Wir erwarten dann ebenso einen Anstieg von britischen Aktien, insbesondere in den inländischen Sektoren und im Immobilienbereich.
 

Brexit Referendum
Brexit Referendum

Grafik 1: Die Renditen von Pfund Sterling und britischen Staatsanleihen sind dieses Jahr deutlich gestiegen (Quelle: Thomson Reuters Datastream, NN Investment Partners)

Szenario 2: Brexit ohne vertragliche Regelung (25%)

Ein ungeregelter Brexit wird im Allgemeinen als viel unwahrscheinlicher angesehen als ein Aufschub, hätte aber auch viel negativere Auswirkungen. In diesem Szenario kann sich Großbritannien mit der EU nicht auf einen Aufschub einigen und tritt am 29. März ohne Abkommen aus. Obwohl unwahrscheinlich, ist dies möglich. Dass die EU einem Aufschub zustimmt, ist keineswegs garantiert, zudem müsste die Zustimmung einstimmig erfolgen. Einige Euroskeptiker haben verlautbart, dass sie sich dafür einsetzen werden, dass irgendein EU-Mitgliedstaat ein Veto gegen einen Aufschub einlegt, da sie einen harten Brexit erzielen möchten. Darüber hinaus haben mehrere Mitgliedstaaten klargestellt, dass jeder Aufschub einen bestimmten Zweck haben sollte. Wenn Großbritannien seinen derzeitigen Verhandlungsweg fortsetzt, ohne seinen roten Faden zu ändern, wäre es unwahrscheinlich, dass die EU einen Aufschub genehmigt. Ein Aufschub müsste wahrscheinlich auf dem EU-Gipfel am 21. März genehmigt werden, so dass wenig Zeit bleibt, um die zögerlichen Staaten zu überzeugen, und Großbritannien müsste am Ende die EU verlassen, weil es der Vertrag so vorschreibt.

Dies hätte sehr negative Auswirkungen auf die Märkte, die in letzter Zeit mit einem kurzfristigen Aufschub rechnen. Wir erwarten insbesondere eine Abwertung des britischen Pfund gegenüber allen wichtigen Währungen. Die Renditen von britischen Staatsanleihen würden wahrscheinlich sinken, da Anleger auf den britischen Märkten nach Sicherheit suchen würden, während die Bank of England weitere Lockerungsmaßnahmen vornehmen würde, um einen kurzfristigen Wachstumsschock abzufedern. Britische Aktien und Immobilien sollten unserer Meinung nach besonders stark betroffen sein. In geringerem Maße wäre dies auch ein negatives Ereignis für Risikoanlagen weltweit, insbesondere jedoch in Europa.

Die EU wird wahrscheinlich einen Aufschub gewähren, aber ein ungeregelter Brexit ist immer noch nicht vom Tisch

Es besteht die allgemeine Auffassung, dass die EU wahrscheinlich einen Aufschub von Artikel 50 gewähren wird, wenn Großbritannien einen solchen Antrag stellt. Deutschland und andere große EU-Mitgliedstaaten haben eine offensichtliche Bereitschaft zur Flexibilität bekundet. Diese Länder könnten Druck auf kleinere Staaten ausüben. Auch EU-Ratspräsident Donald Tusk hat die EU aufgefordert, sich für einen Aufschub offen zu zeigen. Darüber hinaus wäre ein Ausstieg ohne vertragliche Regelung am 29. März in niemandes Interesse. Wir erwarten daher, dass Großbritannien und die EU eine Art Verlängerungsabkommen schließen werden und damit eine Katastrophe verhindert werden kann. Dennoch hat der häufig turbulente Brexit-Prozess deutlich gemacht, dass keine noch so gefährliche Option vom Tisch ist.

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