Aktienmarktkonsolidierung rückt näher

Der Chefstratege bei Robeco, Ronald Doeswijk, warnt vor der abnehmenden Dynamik der Aktienrally. Auch bei den Aktienaussichten für die Schwellenmärkte ist er nicht mehr so begeistert wie bislang.

27.04.2012 | 09:55 Uhr

Die Entwicklungen auf makroökonomischer Ebene sind im Allgemeinen ziemlich ermutigend ausgefallen. Die Daten aus den USA und Japan waren besser als erwartet. Auch, und die zwei Refinanzierungsgeschäfte der EZB mit dreijährigen Darlehen (LTRO) waren – zumindest vorläufig – erfolgreich darin, die europäische Schuldenkrise etwas abzukühlen. Aufgrund dieser Entwicklungen und der weiterhin verhältnismäßig hohen Wachstumsraten der Schwellenländer werden die wirtschaftlichen Aussichten der Industrieländer wieder optimistischer beurteilt.
 
„Damit wird der viel diskutierte Rückfall in die Rezession, der Double-Dip, in den Industrieländern insgesamt weniger wahrscheinlich. Die Eurozone bleibt aber eine Ausnahme", meint Ronald Doeswijk. Allerdings gibt er zu bedenken, dass das Wirtschaftswachstum aufgrund der strukturellen Probleme und dem Abbau der Fremdfinanzierung voraussichtlich auch weiterhin unterdurchschnittlich ausfallen wird.
 
Es gibt aber auf keinen Fall nur positive Neuigkeiten. Die erheblichen Probleme der Weltwirtschaft, vor allem die Strukturschwächen in Südeuropa, sind nicht überwunden. Tatsächlich gibt es einige Brennpunkte, an denen die Schuldenkrise neu aufflammen könnte ‑ und zwar schon bald. Das Financial Markets Research Team geht vor diesem Hintergrund davon aus, dass die Aktienrally in den ersten Monaten von 2012 an Schwung verlieren wird. Vor uns liegt eine Periode der Konsolidierung an den Aktienmärkten.
 
Die Krise der Eurozone ist noch nicht überwunden
Wir wollen einen Blick auf diese Probleme der Eurozone werfen. Auf den ersten Blick hat sich die Lage dort verbessert. Schließlich haben die LTROs der EZB in Kombination mit den angebotsseitigen Maßnahmen in Südeuropa die Stimmung an den europäischen Anleihemärkten erfolgreich angeheizt. Die Rendite für zweijährige italienische Staatsanleihen beispielweise ist von ihrem Hoch bei 7 % im November auf einen Tiefstand von 2 % im März gesunken.
 
Natürlich hält nichts ewig, und die Renditen sind wieder stetig nach oben geklettert, seit die italienische Arbeitsmarktreform im Parlament und durch die Gewerkschaften unter Beschuss geraten ist. In Spanien wurden auf diesem Gebiet Fortschritte gemacht, aber nachdem die spanische Regierung ein weniger strenges Ziel für den Defizitabbau von 5,3 % des BIP in 2012 beschlossen hat, hat sichist die Stimmung wieder verschlechtert.
 
Aber nicht nur Italien und Spanien sind betroffen. Es gibt eine Fülle potenzieller Queallen für erneute Spannungen innerhalb der Eurozone. Zum einen ist der Ausbau des Sicherheitsnetzes nicht so kräftig ausgefallen wie erwartet. Auf kurze Sicht bieten drei Ereignisse unmittelbaren Anlass zur Sorge: Die Parlamentswallgemeinen Wahlen in Griechenland, die Präsidentschaftswahl in Frankreich und das irische Referendum zum neuen Fiskalpakt. Darüber hinaus besteht in Irland und Portugal voraussichtlich Bedarf an neuen Hilfspaketen.
 
Die EZB verlangt von den Politikern gemeinsames Handeln
Derweil sitzt die EZB demonstrativ an der Seitenlinie. Die europäische Zentralbank hat klar gemacht, dass nach den zwei LTROs jetzt die Politiker an der Reihe sind, bei angebotsseitigen Reformen und Sparmaßnahmen Farbe zu bekennen. Zurzeit wird sie also nicht intervenieren, wenn die Verzinsung von Peripherie-Anleihen steigt. Aber Doeswijk ist überzeugt, dass ein potenzieller Zusammenbruch von Italien oder Spanien dieden Bluff dereuropäische Zentralbank zum Handeln zwingen würdePlatzen bringen würde. „Wenn ein systemrelevanter Staat unter übermäßigen Druck gerät, hat sie gar keine andere Wahl, als zu handeln", meint er.  Es hat aber auch ein oder zwei Andeutungen guter Nachrichten in der Region gegeben. „Glücklicherweise legen die zukunftsorientierten Indikatoren nahe, dass das Abrutschen der Eurozonen-Wirtschaft nur in einer milden Rezession enden wird“, erklärt Doeswijk. Und obwohl die Inflation auf erhöhtem Niveau verbleibt, scheint der Preisdruck abzunehmen. Die Mitglieder des Teams erwarten, dass die EZB sich in absehbarer Zukunft zurückhalten wird.
 
Der US-Wirtschaft geht es gut
Die US-Wirtschaft steht in einem krassen Gegensatz zur Eurozone und beweist weiterhin unerwartete Stärke. Anscheinend profitiert das Land nach der Stabilisierung des Wohnungsmarktes immer noch von einem sich selbst verstärkenden Kreislauf aus Beschäftigungswachstum und lebhaften Konsumausgaben.
 
Das heißt aber nicht, dass sich jeder mit den zunehmend deutlichen Anzeichen dafür, dass die US-Wirtschaft in eine selbsttragende Erholung eingetreten ist, zufrieden gibt. Auf jeden Fall tut Ben Bernanke das nicht. Der Präsident der US-Notenbank Federal Reserve Bank hat signalisiert, dass er noch nicht vom Aufschwung überzeugt ist.
 
„Die Federal Reserve Bank (Fed) hält sich die Tür zu einer weiteren Lockerung in der Geldpolitik offen“, erklärt Doeswijk. „Dennoch wäre wahrscheinlich ein Einbruch des Arbeitsmarkts oder der Konjunktur notwendig, bevor sie weitere Maßnahmen ergreift.“ In seinem Basisszenario geht das Team davon aus, dass die Fed im gesamten Jahr 2012 und zumindest im ersten  Halbjahr 2013 abwartet.

Die Abwertung des Yen sollte der schleppenden japanischen Wirtschaft zugute kommen
 Die japanischen Wirtschaftsdaten mögen in letzter Zeit zwar besser als erwartet ausgefallen sein, die Wirtschaft entwickelt sich aber nur schleppend. Im März zeigte der Tankan-Bericht keine Verbesserung gegenüber dem Dezember-Stand, worin sich die vorsichtige Haltung der Manager zeigt.
 
Doeswijk geht von einem gemäßigten Wirtschaftswachstum in Japan aus, wobei die laufenden Ausgaben für den Wiederaufbau und der schwächere Yen unterstützend wirken. Die aktuelle Abwertung wurde durch ein Handelsbilanzdefizit in nie da gewesener Höhe beschleunigt, das vor allem auf die Abschaltung aller Atomkraftwerke des Landes - bis auf ein einziges - zurückzuführen war. Die Energieimporte sindmussten dementsprechend gestiegensteigen.
 
Die Schwellenmärkte haben an Glanz verloren
Bei den Schwellenmärkten ist die weitere Entwicklung des Wirtschaftswachstums in China am interessantestenschwebt das größte Fragezeichen über China: Wie schnell wird es an Dynamik verlieren? Doeswijk meint, dass sich die Konjunktur Chinas voraussichtlich leicht abkühlen wird, warnt aber, dass die Lage wegen des chinesischen Neujahrs unklar bleibt.
 
Die Stromerzeugung erholt sich aber wieder, und der hartnäckig hohe Ölpreis lässt sich kaum mit einer harten Landung in China vereinbaren. Die chinesische Regierung hat außerdem angesichts der Tatsache, dass sie die Inflation in den Griff bekommen hat, reichlich Spielraum für politische Manöver, um die Wirtschaft zu stimulieren.
 
In den anderen BRICs-Ländern gibt es Anzeichen dafür, dass bei den politischen Entscheidungen entweder der Opportunismus regiert, wie bei den protektionistischen Maßnahmen zur Schwächung des Real in Brasilien, oder die Einfallslosigkeit, wie beim jüngsten Haushaltsentwurf Indiens. „Beide Entwicklungen verheißen nichts Ggutes für die Anlegerstimmung“, kommentiert Doeswijk.
 
Die Konsolidierung bei Aktien rückt näher
Wie lassen sich die aktuellen Makroentwicklungen ‑ mit über den Erwartungen liegenden Zahlen aus den USA und Japan, einer nicht abschließend beigelegten Euro-Schuldenkrise und den Schwellenländern, wo die Defizite langsam ans Tageslicht kommen ‑ in eine Haltung bei der Asset Allocation überführen?
 
Zunächst sei gesagt, dass der Ausblick bei Aktien eingetrübttrübe  ist. „Wir gehen davon aus, dass auf den Aktienmärkten eine Konsolidierung näher rückt“, erläutert Doeswijk. Es hat unstrittig einige ermutigende Entwicklungen gegeben. Zusätzlich zu den stützenden LTROs und den angenehmen Überraschungen in der Wirtschaftsentwicklung wurde in mehreren Schwellenmärkten zu einer monetären Lockerung übergegangen, und die Zahl der Ertragsaufwärtskorrekturen bei den Gewinnerwartungen übertrifft die der Abwärtskorrekturen in dreien von vier Regionen. Das ist zum ersten Mal seit ungefähr einem Jahr der Fall.
 
Dennoch meint Doeswijk, dass die künftigen erheblichen Probleme schwerer wiegen als diese positiven Faktoren. Ganz oben auf seiner Liste stehen die Strukturschwäche in Südeuropa und die beunruhigenden Staatsfinanzen in Spanien. Außerdem stehen in diesem Frühjahr einige politische Ereignisse ins Haus, nämlich die Wahlen in Griechenland und Frankreich sowie das Referendum in Irland. Bei allen könnten die Ergebnisse die Anleger verschrecken.
 
„Eine weitere Schwächung der Stimmung würde mit den historischen saisonalen Mustern an den Aktienmärkten und bei anderen riskanten Anlagen zusammenfallen: Der Zeitraum von Mai bis Oktober ist als Periode enttäuschender Renditen bekannt“, fügt er hinzu.
 
Weniger Enthusiasmus bei Schwellenmarktaktien
Während der letzten Monate hat das Financial Markets Research Team seine Prognose für Schwellenmarktaktien leicht herabgestuft. Davor hatte es die Schwellenmärkte als Region unmissverständlich bevorzugt. Jetzt liegen sie wieder Kopf an Kopf mit Nordamerika. (Hier finden Sie den Artikel „Zwei Änderungen in der Meinung des Finanzmarkt-Research“ vom 29. MärzMai 2012[RK1] , in dem diese Entscheidung erläutert wird.)
 
Doeswijk erklärt, dass die enttäuschende Dynamik und die Korrekturen der Gewinnaussichten zusammen mit der Kette leicht negativer Meldungen aus allen BRICs-Ländern für die Verschlechterung des Ausblicks bei den Schwellenmärkten verantwortlich sind.
 
Diese sollte aber immer in einem angemessenen Verhältnis betrachtet werden. Der Enthusiasmus des Teams für die Schwellenmärkte ist zurückgegangen, aber nicht erloschen. Letztlich bleibt der fundamentale langfristige Ausblick für die Schwellenmärkte, die weniger stark als die Industrieländer von der demografischen Alterung betroffen sind und durch ordentliche Staatsfinanzen gestützt werden, weiterhin gut. Außerdem gibt es hier mehr Spielraum für monetäre Lockerungsmaßnahmen als in Industrieländern, und auch das Bewertungsniveau sollte unterstützend wirken.
 
Deshalb schreibt Doeswijk den Aktien aus der Region, zusammen mit denen aus Nordamerika, immer noch eine bessere Perspektive zu als denen aus Europa oder dem Pazifikraum. Nordamerika bleibt sowohl unter fundamentalen als auch unter technischen Gesichtspunkten attraktiv. Aktien sollten dort von der Normalisierung der US-Wirtschaft, den überdurchschnittlichen Revisionen der Gewinnerwartungen und der Dynamik profitieren. Die Bewertungen liegen dabei nur unwesentlich höher als in Europa.
 
Europa und der Pazifikraum weiterhin unbeliebt
Im Gegensatz dazu bieten sich in Europa und im Pazifikraum weniger attraktive Aussichten. Die milde Rezession der Eurozone stellt ein Risiko für die südliche Peripherie dar. Außerdem ist Doeswijk der Meinung, dass europäische Titel im Vergleich zu denen aus Nordamerika günstiger gehandelt werden sollten, als es gegenwärtig der Fall ist.
 
Im Pazifikraum stimmt Japan das Team pessimistisch. In Yen gerechnet entwickelt sich Japan zugegebenermaßen gut. Die Energieimporte verursachen ein Handelsdefizit und haben den Yen getroffen. Die abgewertete Währung sollte dem Exportwachstum Auftrieb verleihen. Aber Doeswijk bleibt vorsichtig. „Die Wirtschaft des Landes entwickelt sich nicht gerade eindrucksvoll“, meint er.
 
Neutrale Haltung gegenüber Immobilien
Das Team hat nach wie vor eine neutrale Haltung zu Immobilien. „Der Ausblick für Immobilien ist ähnlich wie der für Aktien", sagt Doeswijk. „Beide Anlageklassen profitieren von der Abnahme des sogenannten ‚Tail Risk’ und von dem anhaltenden, wenn auch moderaten Wachstum der Weltwirtschaft.“
 
Staatsanleihen weiterhin unbeliebt
Während der letzten Monate ist das Team immer deutlicher zu der Überzeugung gelangt, dass sich Staatsanleihen schlecht entwickeln werden. Zu Unternehmensanleihen hatte das Team gegenüber Staatsanleihen bereits eine positive Einstellung. Mittlerweile gilt dies auch für bargeldnahe Anlagen. (Hier finden Sie den Artikel „Zwei Änderungen in der Meinung des Finanzmarkt-Research“ vom 29. MärzMai 2012[RK2] , in dem diese Entscheidung erläutert wird.)
 
Ein wichtiger Faktor ist auf diesem Gebiet die Überbewertung von Staatsanleihen. Bei Renditen von 2,3 % bzw. 1,8 % für 10-Jährige Staatsanleihen aus den USA und Deutschland gerät die reale Verzinsung auf Basis der aktuellen Inflationsraten in den negativen Bereich bei -0,6 % und -0,5 %.
 
„Obwohl die Schuldenkrise der Eurozone sehr wahrscheinlich von Zeit zu Zeit wieder aufflammen wird, sollten sich die Zinssätze wieder etwas normalisieren“, erklärt Doeswijk. „Die Risiken bei Zinssätzen überwiegen jetzt, insbesondere in den USA."
 
Unternehmensanleihen dürften auch weiterhin eine überdurchschnittliche Performance erzielen
Die negative reale Verzinsung bei Staatsanleihen führt zu einer starken Nachfrage nach Unternehmensanleihen. Doeswijk geht davon aus, dass Investment Grade- und Hochzinsanleihen weiterhin eine bessere Wertentwicklung erzielen werden als Staatsanleihen.
 
„Die Ausfallraten liegen niedrig und werden unserem ökonomischen Basisszenario zufolge weiter klein bleiben, wobei wir ein fortgesetztes Wachstum der Weltwirtschaft und eine lediglich milde Rezession in der Eurozone voraussetzen“, merkt Doeswijk an. Er gibt angesichts des größeren Spielraums für Spread-Verengungen Investment-Grade-Anleihen den Vorzug vor Hochzinsanleihen.
 
Schwellenmarkt-Anleihen besser als andere Staatsanleihen
Doeswijk bevorzugt außerdem Schuldtitel der Schwellenländer vor Staatsanleihen aus den Industrieländern, sein Enthusiasmus bleibt aber gedämpft. „Die wirtschaftlichen Aussichten der Entwicklungsländer scheinen vergleichsweise robust zu sein, es zeigen sich aber einige Risse“, sagt er. „Diese kleinen Entwicklungen zusammengenommen haben die Unsicherheit im Hinblick auf die Schwellenmärkte steigen lassen.“
 
Deshalb gibt Doeswijk Investment-Grade- und Hochzinsanleihen den Vorzug vor Schwellenmarkt-Anleihen, auch wenn lokalen Renditen von mehr als 6 % weiterhin attraktiv bleiben. Er gibt zu verstehen, dass die ersten beiden Kategorien mehr Sicherheit beim Einsammeln der Risikoprämie bieten sollten.
 
Auch zu Rohstoffen weiterhin neutrale Haltung
In Bezug auf Rohstoffe bleiben die Mitglieder des Teams bei ihrer neutralen Einschätzung. Trotz einer Reihe ordentlicher Wirtschaftszahlen sind die Preise während der letzten zwei Monate nicht gestiegen. Erdöl bildet hiervon die Ausnahme, aufgrund des knappen Angebots von Seiten der OPEC und politischer Spannungen im Umfeld des Atomprogramms im Iran. Der Preisanstieg ist im letzten Monat aber abgeflacht. „Wir glauben nicht, dass es zu einem militärischen Konflikt kommen wird“, sagt Doeswijk und ergänzt, dass der Ölpreis dementsprechend am oberen Ende der Spanne zu stehen scheint.
 
„Der Mangel an Dynamik in der Preisentwicklung und das voraussichtlich mäßige Wirtschaftswachstum in absehbarer Zukunft unterstützen unsere neutrale Haltung gegenüber Rohstoffen“, folgert er.

Der vollständige Kommentar des Financial Markets Research-Teams im pdf-Dokument.

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