Die Zinsen steigen, in Japan. Eigentlich verkehrte Welt, denkt man an die fallenden Zinsen in Europa und den USA. In Japan jedoch ist man erst jetzt dabei, das seit 2016 andauernde Feldexperiments der Negativzinsen zu beenden.
09.10.2024 | 07:55 Uhr
Damit ist die Bank von Japan (BOJ) die letzte der großen
Notenbanken, die sich im März 2024 mit der ersten Zinserhöhung seit 17 Jahren,
von der Nullzinspolitik verabschiedet.
Ursprünglich wurden die Zinsen auf null gesenkt, um aus Deflation und Wirtschaftsschwäche zu entkommen. Allerdings hat die Geschichte gezeigt, dass trotz der Zinspolitik und aller Konjunkturprogramme nicht gelang. Mit der Anhebung der Zinsen in der westlichen Hemisphäre begann jedoch eine massive Talfahrt der japanischen Währung, die zusammen mit den seit Corona anhaltenden Teuerungsschüben auch die Inflation in Japan auf lange nicht gekannte Höhen brachte und nun erstmals die von der Zentralbank "ersehnte" Preis-Lohn-Spirale in Gang setzte. Man könnte auch sagen, nachdem das Zuckerbrot des billigen Geldes in Japan nicht gewirkt hat, kommt nun die Peitsche aus Inflation und Yen-Entwertung, die besser zu wirken scheint.
Ganze 34 Jahre hat der japanische Aktienindex Nikkei gebraucht, um nach den Höhenflügen der 90er Jahre das alte Hoch wieder zu erreichen. Japan erlebte in den 80er Jahren einen unvergleichlichen Aufschwung mit dem Export von günstiger Hochtechnologie, Konsumgütern und Autos in die westliche Welt. Das alles gipfelte 1981 in der japanischen Selbstbeschränkung auf Autoexporte. Nicht zuletzt trug der billige Yen zum Erfolg der Exporte bei, was 1985 zum Plaza-Abkommen führte (der US-Dollar sollte gegen D-Mark und Yen kontrolliert abwerten). Danach wertete der Yen massiv auf. Es floss noch mehr Geld in japanische Aktien und Immobilien, und der der Boom gipfelte in den Höchstständen von 1990. Eine Umkehr im Trend des Yen erlebten wir bereits zuletzt, gerade auch bedingt durch die kommunizierte Bestrebung der BOJ, die Zinsmärkte in Japan zu normalisieren. Das Interesse am japanischen Immobilienmarkt nimmt seitdem zu.
Doch was unterstützt den Aktienmarkt bislang und sind diese Aspekte langfristige Tragsäulen für einen stabilen Aufwärtstrend? Der japanische Börsenbetreiber Japan Exchange Group (JPX) forciert massiv eine Unternehmensreform, um die Qualität des japanischen Aktienmarktes zu verbessern. Diese Bestrebung allein hätte noch nicht ausgereicht, den Markt in Bewegung zu versetzen. Zusammen mit den Impulsen aus der Inflation bekommt die Reformagenda jedoch ein deutlich höheres Maß an Nachdruck. Mit dem Anstieg der Inflationsraten steigen auch die Refinanzierungskosten. Die Toleranz für das Festhalten an Kassepositionen, Überschusskapital und Geschäftsfeldern mit niedrigen Margen schwindet, da sich alle diese Geschäftspraktiken im Inflationsumfeld kaum noch lohnen oder sogar Werte vernichten. Da ein wesentlicher struktureller Faktor des japanischen Arbeitsmarkts ist das Angebotsdefizit von Arbeitnehmern, da die japanische Bevölkerung zunehmend veraltet und schrumpft. Darum dürfte die jetzt beginnende Lohninflation als treibende Komponente voraussichtlich langfristig erhalten bleiben.
Außerdem werden Lohnerhöhungen ein Teil des Wachstumsmodells werden; davon können u.a. Job-Plattformen profitieren. Passend dazu steigt die Anzahl der Firmenpleiten, bedingt durch zunehmend ausbleibende Arbeitskräfte kontinuierlich: Waren es im ersten Halbjahr 2014 nur 35, stieg die Zahl auf 182 im ersten Halbjahr 2024. Dies führt zu einem Fokus auf Effizienz und Wertschöpfung und zu einer Konzentration auf Bereiche, in denen man Stärken hat. Ferner wird der Aspekt der steigenden Lohnkosten zu einer dringend überfälligen Digitalisierung in Japan beitragen, denn die Produktivität der japanischen Arbeitnehmer stagnierte seit ca. 25 Jahren.
Die treibende Mechanik der vergangenen 30 Jahre, die Kosten zu senken, um Preise und Löhne gering zu halten, scheint sich nun umzukehren. Die Krisenfaktoren der 90er Jahre mit Überkapazitäten bei Personal, Fabriken und Schulden verursachten eine lang anhaltende Deflation, die 30 Jahre später, nach der Sanierung und Restrukturierung, in Bilanzen mit überdurchschnittlich viel liquiden Mitteln führten. Die jetzt begonnenen Trends sollten dazu beitragen, die Kasse-Positionen, die viele japanische Unternehmen angesammelt haben, wieder aktiv einzusetzen. Dazu bieten sich Investitionen u.a. in in Digitalisierung, aber auch in lokale Produktion an. Die Development Bank of Japan befragte vor kurzem international tätigen japanische Unternehmen zu ihren Investitionspläne in Japan. Etwa 50% der Unternehmen bekundeten ihre Absicht, in den kommenden drei Jahren ihre Kapazitäten in Japan aufzubauen zu wollen. 2019 waren es nur ca. 35%.
Der japanische Börsenbetreiber JPXspielt bei der Belebung des lokalen Aktienmarktes eine zentrale Rolle. Im Jahr 2014 veröffentlichte die JPX einen Stewardship Code und 2015 einen Corporate Governance Code, die die Reduktion von in Japan sehr beliebten Überkreuzbeteiligungen befürworteten und bereits zu deren deutlicher Verringerung beigetragen haben. Ergänzt wurde dies im vergangenen Jahr mit der "Effizienz-Reform", die ganz spezifisch auf die Verbesserung des Kurs-Buchwert-Verhältnisses und der Kapitaleffizienz abzielt. Zusammen mit der Schubumkehr von Deflation auf Inflation hat dieser strategische Plan stark gewirkt und konnte dem japanischen Aktienmarkt zu einer beeindruckenden Aufholbewegung verhelfen. Die japanischen Firmen müssen sich auf ein Umfeld mit Inflation umstellen. Das ist gut u.a. für Preiserhöhungen bei Einzelhandels- und Konsumgüterunternehmen, die am 1. Oktober 2024 ihre erste Preiserhöhung seit 14 Jahren vorgenommen haben. Der japanische Börsenbetreiber unterstützt dies institutionell, unter Androhung konkreter Konsequenzen (z.B. Delisting). Deutlich wird dieses Phänomen auch anhand der massiv wachsenden Aktienrückkäufe (zuletzt +72% gegenüber dem Vorjahr). Diese Maßnahme ist wohl das am schnellsten wirkende Mittel zur Steigerung der Kapitaleffizienz von überkapitalisierten Unternehmen.
Weitere Reformen stehen in den Startlöchern. Der japanische Aktienindex TOPIX will mit den aktuellen Reformen im Jahr 2028 die Zahl der Indexmitglieder von ca. 2.100 auf ca. 1.200 um über 40% reduzieren. Mit der dann angestrebten Indexzusammensetzung soll jedes Indexmitglied durchschnittlich einen doppelt so hohen täglichen Umsatz und eine doppelt so hohe handelbare Marktkapitalisierung haben. Der Weg dorthin ist die deutliche Verbesserung der Eigenkapitalrentabilität, der Marge und des Kurs-Buchwert-Verhältnisses. Japanische Firmen haben nach diesen Maßstäben wegen ihrer traditionell überdurchschnittlich hohen Liquidität, der Überkreuzbeteiligungen und des Festhaltens an unprofitablen Geschäftseinheiten niedrige Werte im internationalen Vergleich. All die hier angestoßenen Maßnahmen sollten die den japanischen Aktienmarkt attraktiver machen. Das wachsende Interesse der Japaner selbst lässt sich auch an der deutlich steigenden Anzahl von NISA-Konten (Möglichkeit der steuerbegünstigten Kapitalanlage) ablesen. Über 40% der Neuanlagen in NISA-Konten flossen im ersten Halbjahr in japanische Aktien. Die Vermögensaufteilung der Japaner lässt hier mit ca. 51% Bargeld und Sparguthaben noch signifikanten Spielraum für Investitionen, verglichen mit nur 13% in den USA und ca. 36% in Europa. Interessant ist, dass hier besonders die jungen Japaner einen hohen Anteil haben – solche, die den Crash der 90er Jahre nicht erlebt hatten.
Die BOJ hat am 31.07.24 zum zweiten Mal die Zinsen angehoben von einer Spanne von 0% bis 0,1% auf 0,25%. Sie erläuterte ferner, dass sie weitere Zinsanhebungen anstrebt, wenn sich die wirtschaftliche Entwicklung und die Preisentwicklung im Rahmen ihres Ausblicks bewegen. Fernern kündigte sie an, die Käufe der japanischen Anleihen pro Quartal um 400 Mrd. Yen zu reduzieren – sie bleibt damit de facto weiter im "easing-modus", ermöglicht aber über die geringere Nachfrage ein graduell steigendes längeres Ende der Zinskurve.
Damit hat die BOJ die Basis für den Bankensektor die Basis gelegt, um von höheren Zinsaufschlägen, höheren kurzfristigen Leitzinsen, höheren Renditen japanischer Staatsanleihen (JGBs) und einem Anstieg der Übernachtzinsen (TIBOR) zu profitieren. Wie schon in Europa und den USA zuvor, ermöglicht dies den Banken die Rückkehr in ein "normales" operatives Umfeld mit einer sektorkonformen Rentabilität. Damit begibt man sich auch direkt auf den politisch gewollten Pfad der Verbesserung der Rentabilität und des Kurs-Buchwert-Verhältnisses. Wie zuvor beschrieben ergibt sich das Zinsergebnis aus unterschiedlichen Quellen bzw. unterschiedlichen Laufzeiten der Zinskurve. Mittelfristig erscheint es realistisch, von einem Anstieg am kurzen wie auch am längeren Ende der Zinskurve auszugehen. Für eine Modellrechnung mit einem Zins von 0,25% im Übernachthandel, 0,50% für 2-jährige JGBs und 1,20% für 10-jährige JGBs ergibt sich somit ein Aufwärtspotenial im Zinsergebnis um mittelfristig 20 bis 30% für die japanischen Großbanken.
Kurzfristig
kann es in Japan mit den Schwankungen der Wechselkurse am Markt volatil
sein. Strukturell ist besonders für den Finanzsektor (Anteil im
TOPIX-Index 13%) jedoch eine Richtungsänderung eingeleitet worden, die
mittelfristig weiteres Potenzial bergen sollte.
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