Capital Group: Einschätzungen zur aktuellen Marktsituation

Nachdem die weltweiten Aktienmärkte in den ersten Augusttagen stark nachgegeben haben, ist die Stimmung der Anleger schnell von Überschwang zu Besorgnis umgeschlagen.

09.08.2024 | 06:39 Uhr

Bedenken über ein nachlassendes US-Wirtschaftswachstum, hohe Zinssätze und die Bewertungen im Technologiesektor haben das Vertrauen in einen Markt erschüttert, der zuvor als perfekt bepreist eingestuft wurde. In solchen Zeiten der Anspannung an den Märkten ist es wichtig, einen Schritt zurückzutreten, die Fundamentaldaten zu überprüfen und festzustellen, ob die derzeitige Volatilität möglicherweise eine Überreaktion oder eine erwartete Korrektur nach einer langen Phase starker Erträge ist.

Im Folgenden finden Sie Einschätzungen von fünf Anlageexperten von Capital Group zu den jüngsten Marktentwicklungen:

Makroökonomischer Ausblick bleibt positiv

Jared Franz, US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler bei Capital Group

„Wir befinden uns in der Sommersaison, in der die Marktliquidität gering ist, sodass die Märkte im Allgemeinen überschießen – egal ob positiv oder negativ. Das wird sich in den nächsten Wochen wohl kaum ändern, so dass ich mit mehr Volatilität rechne. Auf der wirtschaftlichen Seite sehe ich in den Daten jedoch nichts, was auf einen drastischen Einbruch oder eine Veränderung der Fundamentaldaten der US-Wirtschaft hindeuten würde. Die meisten Daten lassen zwar eine Abschwächung der Wirtschaftstätigkeit erwarten, aber nicht unbedingt eine Kontraktion.

Eine nachlassende Konjunktur ist im Allgemeinen mit einer Schwächung des Arbeitsmarktes und der Löhne verbunden, was zu einer Verlangsamung des Konsums führt. Sollten sich die Wirtschaftsdaten jedoch weiterhin auf breiter Front abschwächen und die Arbeitslosenquote in den USA auf über 4,5 % ansteigen, würde dies meiner Meinung nach die Grundlage für stärkere Zinssenkungen durch die US-Notenbank schaffen, als der Markt derzeit eingepreist hat. Eine weitere wichtige Veränderung und ein Unterschied zur Situation vor drei bis sechs Monaten ist das Tempo der wirtschaftlichen Aktivität in Europa und China, das in letzter Zeit viel langsamer war.

Doch selbst bei einer sich leicht abschwächenden Konjunktur waren die Unternehmensgewinne in den USA robust. Insgesamt sind die Aktienmärkte nach wie vor angemessen bewertet: Der S&P 500 Index wurde am 2. August mit dem 20,8-Fachen der voraussichtlichen 12-Monats-Gewinne gehandelt, die ‚Magnificent Seven‘ (ohne Tesla) sogar mit dem 27,8-Fachen. Und obwohl der Ausverkauf an den Märkten zumindest teilweise durch die Sorge ausgelöst wurde, dass die US-Notenbank bei der Senkung der Zinssätze hinter der Kurve zurückbleiben könnte, ist es eine Tatsache, dass wir uns am Anfang eines Lockerungszyklus befinden und sowohl die nominalen als auch die realen Zinssätze im historischen Vergleich nicht übermäßig hoch sind.

Alles in allem wirkt dies eher wie eine ernsthafte Turbulenz als eine ausgewachsene Krise.“

Die Aktienmärkte waren für einen Rückgang gerüstet

Gerald Du Manior, Aktienportfoliomanager bei Capital Group

„Wir haben eine Phase der Hyperkonzentration erlebt, in der der Markt den Eindruck erweckte, dass nur einige wenige Unternehmen es verdienten, zu höheren Multiplikatoren gehandelt zu werden. Die Anleger fokussierten sich sehr stark auf bestimmte Themen.

Während sich der Markt auf Technologie und KI konzentrierte, sind in den letzten Jahren die Bewertungen einer Reihe solider Unternehmen gesunken. Viele dieser Unternehmen haben sich jedoch zuletzt relativ gut gehalten. Ich denke, diese Korrektur zeigt uns, dass es in Zukunft entscheidend sein wird, sich auf die Fundamentaldaten der Unternehmen zu konzentrieren. Ein ausgewogener und diversifizierter Ansatz wird unerlässlich sein. Letztlich werden sich die Fundamentaldaten wieder durchsetzen.“

Desillusionierung in Bezug auf künstliche Intelligenz (KI)

Chris Buchbinder, Aktienportfoliomanager bei Capital Group

„Eine Korrektur bei KI-Aktien war zu erwarten. Der Enthusiasmus für KI war groß, genau wie der für das Internet im Jahr 2000. Ich glaube, dass KI absolut real ist und unser aller Leben in den nächsten fünf bis zehn Jahren auf dramatische Weise verändern wird. Aber ich glaube auch, dass wir gerade eine gewisse Desillusionierung erleben. Bei jedem Wachstumstrend gibt es eine Phase, in der sich die Fundamentaldaten abschwächen, und obwohl diese langfristig gesehen großartig sein können, kann es zu extremen Reaktionen am Markt kommen.

Der jüngste Ausverkauf an den Aktienmärkten war zwar schnell und heftig, aber er betraf vor allem die so genannten Momentum-Aktien, also Aktien, deren Kurse eine Zeit lang in eine bestimmte Richtung tendiert haben. Viele Dividendenzahler und Qualitätsunternehmen, sprich Unternehmen, die in naher Zukunft einen sichtbaren Cashflow generieren, haben sich relativ gut gehalten.“

Anleihen halten sich inmitten des Einbruchs am Aktienmarkt

John Queen, Portfoliomanager für festverzinsliche Wertpapiere bei Capital Group

„Die Zinsmärkte boten während des allgemeinen Aktienabschwungs eine gewisse Zuflucht, da US-Staatsanleihen als Reaktion auf den Arbeitsmarktbericht vom letzten Freitag deutlich anzogen. Anleger, die angesichts der zunehmenden Rezessionsängste Schutz suchten, drückten die Renditen von Staatsanleihen in der vergangenen Woche deutlich nach unten, während die Aktienkurse fielen und sich die Creditspreads ausweiteten. Anleiherenditen entwickeln sich grundsätzlich umgekehrt zu den Kursen.

Diese Marktbewegungen folgten auf einen schwächer als erwartet ausgefallenen Lohn- und Gehaltsbericht vom Freitag, der ein langsameres Beschäftigungswachstum und einen Anstieg der Arbeitslosenquote von 4,1 % im Juni auf 4,3 % zeigte. Dies löste die Sahm-Regel aus, welche besagt, dass ein solcher Anstieg der Arbeitslosenquote von einem Tiefpunkt aus noch nie ohne eine Rezession stattgefunden hat. In der vergangenen Woche hielt die Fed die Zinssätze zum achten Mal in Folge in einer Spanne von 5,25 % bis 5,50 % konstant. Der Fed-Vorsitzende Jerome Powell deutete an, dass Zinssenkungen bereits im September erfolgen könnten, aber die Märkte fragen sich, ob eine standardmäßige Senkung um 25 Basispunkte nicht zu wenig und zu spät ist.

Mit höheren Anfangsrenditen über die gesamte Kurve hinweg konnten Anleihen das tun, wofür sie gedacht sind, wenn Aktien abverkaufen. Die negative Korrelation zwischen Anleihen und Aktien erinnert daran, wie wichtig Diversifizierung und die Rolle von festverzinslichen Wertpapieren in den Portfolios der Anleger sind.

Die Arbeitslosenzahlen vom Freitag zeigen jedoch weiterhin eine mäßige Entwicklung und könnten auf eine echte Schwäche und Rezession hindeuten. Es ist aber noch nicht klar, dass wir uns in einer solchen befinden. Angesichts der heftigen Schwankungen, die wir im bisherigen Jahresverlauf aufgrund der Veröffentlichung einzelner Wirtschaftsdaten und der Markterwartungen in Bezug auf Zinssenkungen erlebt haben, halten wir es für ratsam, bei der Ermittlung des richtigen Zeitpunkts für die Anpassung von Positionen vorausschauend zu agieren und sich auf das Gesamtbild zu konzentrieren.“

Japan sorgte für Initialzündung des weltweiten Ausverkaufs

Steve Watson, Aktienportfoliomanager bei Capital Group

„Letzte Woche überraschte die Bank of Japan die Märkte mit einer Anhebung ihres Leitzinses um 15 Basispunkte auf 0,25 % – dem höchsten Stand seit der globalen Finanzkrise – und kündigte einen Plan zur Reduzierung ihres Programms zur quantitativen Lockerung an. Dies führte zu einer deutlichen Aufwertung des Yen gegenüber dem US-Dollar.

Die Auswirkungen waren an den japanischen Aktienmärkten zu spüren, die stark fielen, was auch auf die USA übergreifen könnte. Der Yen war die bevorzugte Währung für viele Anleger, die so genannte Carry Trades durchführten, bei denen sie Kredite in einer niedrig verzinsten Währung aufnahmen, um in andere höher verzinste Währungen oder Vermögenswerte zu investieren. Angesichts des drastischen Kursanstiegs des Yen könnten Anleger, die an diesen Geschäften beteiligt sind, andere Vermögenswerte, einschließlich US-Aktien, verkaufen, um Liquidität zur Deckung ihrer Verluste und zur Finanzierung von Kapitalabrufen zu finden. Es ist jedoch schwierig, das Ausmaß eines solchen Effekts zu quantifizieren.

Manche würden sagen, dass die jüngste Stärke des japanischen Yen die Anleger in Japan dazu veranlasst hat, aus den Aktien der ‚Magnificent Seven‘ auszusteigen, was zu einem Rückgang des US-Marktes geführt hat. Das mag stimmen. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die in den USA börsennotierten Wachstumswerte einfach zu teuer geworden sind und nun etwas Zeit zur Korrektur benötigen.

In der Zwischenzeit haben sich japanische Aktien im vergangenen Jahr in Erwartung besserer Fundamentaldaten erholt. Die Unternehmen wurden von den Aufsichtsbehörden unter Druck gesetzt, ihre Finanzlage zu verbessern, was viele dazu veranlasste, sich von nicht zum Kerngeschäft gehörenden Geschäftsbereichen zu trennen. Vor diesem Hintergrund befürchten einige Anleger, dass die japanische Zentralbank ihre Geldpolitik zu früh gestrafft haben könnte.“

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