Capital Group: Kann die Rally am Aktienmarkt sich fortsetzen?

Immer für eine Überraschung gut. Die Anleger waren sich ihrer Sache so sicher gewesen. Aber natürlich entwickelten sich die Börsen dieses Jahr genau in die andere Richtung.

27.07.2023 | 07:56 Uhr

Während sich die Anleger auf eine scheinbar unvermeidliche Rezession in den USA und die damit verbundene Marktschwäche freuten,verzeichnete der S&P 500 eine überraschende Erholung und legte in den sechs Monaten zum 30. Juni 2023 um 16,9 % zu. Auch Europa und Japan, die mit ihren eigenen wirtschaftlichen Herausforderungen konfrontiert sind, haben ihre starke Entwicklung fortgesetzt und stiegen gemessen an den Indizes MSCI Europe und MSCI Japan in US-Dollar um 13,6 % bzw. 13,0 %.

„Es ist nicht das erste Mal, dass die Märkte die Anleger überraschen und sich in einem eingetrübten Umfeld widerstandsfähig zeigen“, so Portfoliomanager Caroline Randall. „Was lernen Anleger, die solche Chancen nicht verpassen möchten, daraus? Man muss mutig sein und in Unternehmen investieren, die einem möglichen Sturm standhalten können.“

Die großen Aktienmärkte sind von den Tiefständen des Bärenmarktes um mehr als 25 % gestiegen

Quellen: Capital Group, MSCI, Refinitiv Datastream, Standard & Poor’s. Die Datenberechnungen geben die Gesamtrenditen in USD wieder. Multiplikatoren für das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) je Aktie werden auf 12-monatiger Terminbasis berechnet. Das aktuelle Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) ist eine Kennzahl, die häufig verwendet wird, um zu bestimmen, ob ein Unternehmen über- oder unterbewertet ist. Er wird berechnet, indem der aktuelle Aktienkurs des Unternehmens durch den Gewinn pro Aktie dividiert wird. Stand: 30. Juni 2023. Der Bärenmarkt im S&P 500, der am 3. Januar 2022 begonnen hat, erreichte am 12. Oktober 2022 seinen Tiefstpunkt, den niedrigsten Punkt des Marktzyklus. Die Ergebnisse der Vergangenheit sind kein Indikator für die Ergebnisse in zukünftigen Zeiträumen.


Verharren in der Deckung

Tatsächlich könnten die guten Nachrichten für einige ein zweifelhafter Segen sein. Das liegt daran, dass die Anleger im Jahr 2022 sowohl aus dem Aktien- als auch aus dem Anleihemarkt geflohen sind und ihre Vermögenswerte unter sich verschlechternden wirtschaftlichen Bedingungen in Barmittel und Barmittelalternativen verlagerten. Zum 30. Juni 2023 lagen auf Geldmarktkonten Rekordwerte von 5,43 Billionen US-Dollar. Angesichts der Aktienkurse, die höher waren als noch vor sechs Monaten, und einer US-Rezession, die noch immer im Bereich des Möglichen ist, trauen viele sich jetzt noch weniger an den Markt zurück als im Januar.

„Bei all den Ungewissheiten, die uns umgeben – von der Inflation, über die Zinssätze und den Krieg, bis hin zur Rezession – ist es verständlich, dass die Menschen sich unwohl fühlen“, so Randall. „Wenn Sie jedoch mit der Anlage warten, bis Ihnen ausreichend Daten für eine sichere Investition vorliegen, wird es wahrscheinlich zu spät sein, weil dann auch der übrige Markt über diese Informationen verfügt. Meine Botschaft an die Anleger lautet: Gewöhnen Sie sich an das Unbehagen.“

Hier sind einige Gründe, warum langfristige Anleger in Erwägung ziehen könnten, sich aus der Deckung hervor zu wagen und einen ausgewogenen Anlageansatz zu verfolgen, der eine Mischung aus Aktien und Anleihen sowie Barmittel umfasst.

Bargeldbestände in Rekordhöhe sind ein Hausse-Signal

Das Rekordniveau der Anlagen in Barmitteln und Barmittelalternativen könnte zum Katalysator für weitere Marktgewinne werden. Die Geschichte zeigt, dass Geldmarktanlagen ihren höchsten Stand erreichen, wenn der Markt auf dem tiefsten Stand ist oder darauf zugeht. Während der COVID-Pandemie im Mai 2020 hatten Geldmarktfonds nur wenige Wochen nach dem Einbruch des S&P 500 im März ihren Höchststand erreicht.

In der globalen Finanzkrise folgten die Vermögensströme einem ähnlichen Muster, als Geldmarktfondsanlagen zwei Monate vor dem Tiefstpunkt des S&P 500 am 9. März 2009, ihren höchsten Stand erreichten. Der Aktienmarkt verzeichnete in den folgenden drei Monaten eine Rendite von 40 % und in den folgenden sechs Monaten eine Rendite von 55 %.

Sobald die Inflation ihr höchstes Niveau erreicht und die Federal Reserve ihren Zinsstraffungszyklus beendet hat, dürfte die Suche nach Anlagemöglichkeiten für Barmittel beginnen, was die Renditen von Aktien und Anleihen in die Höhe treiben könnte. Vielleicht ist genau jetzt der richtige Zeitpunkt für Anleger gekommen, mit ihren Finanzberatern zu sprechen und ihre gesamte Anlageallokation zu überprüfen. Bei vorsichtigen Anlegern, die ihre Barmittel in den nächsten sechs Monaten oder länger schrittweise anlegen, könnte das Renditepotenzial das Risiko einer zu frühen Rückkehr an den Markt überwiegen.

Auf die Flucht der Investoren in Barmittel folgten hohe Renditen

Quellen: Capital Group, Bloomberg Index Services Ltd., Investment Company Institute (ICI), Standard & Poor’s. Stand: 30. Juni 2023. Die Ergebnisse der Vergangenheit sind kein Indikator für die Ergebnisse in zukünftigen Zeiträumen.


Die überschaubare Marktrally könnte sich ausweiten

Bisher ist der Umfang der Rally am US-Aktienmarkt begrenzt Im bisherigen Jahresverlauf bis zum 5. Juni konzentrierten sich 90 % der Renditen des S&P 500 auf eine kleine Gruppe von Technologieunternehmen, darunter Microsoft, NVIDIA, Meta und Alphabet. Die Begeisterung der Anleger für Durchbrüche bei der künstlichen Intelligenz (KI) ließ Aktienkurse und Bewertungen in die Höhe schnellen. Der Chiphersteller NVIDIA, der überwiegend für seine Videospiel-Chips bekannt ist, erreichte einen Marktwert von über einer Billion US-Dollar, nachdem er sich im Mai optimistisch über mögliche Einnahmen aus der Nachfrage nach seinen Prozessoren für künstliche Intelligenz (KI) geäußert hatte.

Die Bewertungen solcher Aktien sind sprunghaft gestiegen. Andere Bereiche des US-Marktes und der Märkte in Europa und Asien könnten jedoch noch überzeugendere Bewertungen bieten. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis für den Technologiesektor im S&P 500 lag zum 30. Juni beim 27,4-Fachen der Gewinne, verglichen mit dem 19,5-Fachen der Gewinne für den breiteren S&P 500. Die Bewertung für den breiteren MSCI Europe Index lag mit dem 12,4-Fachen der Gewinne selbst nach jüngsten starken Renditen unter dem 10-Jahres-Durchschnitt von 14,2.

„Man muss die einzelnen Märkte und Unternehmen aufmerksam beobachten“, so Randall. „Da die Marktführerschaft äußerst eng war, denke ich, dass es immer noch einige interessante Anlagegelegenheiten in einer Reihe von Sektoren und Regionen gibt.“

In der Vergangenheit folgten auf Rallys an engen Märkten häufig stetige Zugewinne für den breiteren Markt. Natürlich müssen Anleger bedenken, dass ein Rückzug aus Technologieaktien, sollte die KI-Euphorie nachlassen, eine umfassendere Rally unterdrücken könnte. Im Juni erzielten jedoch alle 11 Sektoren im S&P 500 positive Ergebnisse.

Der breitere S&P 500 hat nach einer engen Marktaufwertung solide Zuwächse erzielt

Quellen: Capital Group, Refinitiv Datastream, Standard & Poor’s. Ein signifikanter Rückgang der Marktbreite wird anhand der Tage gemessen, an denen das Verhältnis des S&P 500 Equal Weight Index zum S&P 500 Index unter das erste Quintil oder 20 % des Gesamtbereichs zwischen dem 31.12.2004 und dem 5.7.2023 fällt. Der Wert des S&P 500 Equal Weight Index gibt den einfachen Durchschnitt der Preisänderungen für jeden Indexbestandteil wieder, während der S&P 500 Index einen gewichteten Durchschnitt auf der Grundlage der Marktkapitalisierung anwendet. Infolgedessen spiegelt ein abnehmendes Verhältnis zwischen dem S&P 500 Equal Weight Index und dem S&P 500 Index eine höhere Konzentration positiver Renditen bei einer geringeren Anzahl von Indexbestandteilen wider. Die vorstehenden Durchschnittswerte für die künftige Rendite werden auf der Grundlage der Daten berechnet, die in die unteren 20 % des Bereichs (erstes Quintil) fallen, in dem die Marktführerschaft am stärksten konzentriert war. Die Ergebnisse der Vergangenheit sind kein Indikator für die Ergebnisse in zukünftigen Zeiträumen. Stand 5. Juli 2023.


Rückenwind über US-Technologiewerte hinaus

Wo könnten vorsichtige Anleger nach Chancen suchen? Für den Portfoliomanager Greg Wendt ist Innovation der Schlüssel zur Identifizierung von Investitionsmöglichkeiten, nicht nur im Technologiesektor, sondern in der gesamten Wirtschaft.

„Innovation war schon immer ein Weg zu Wachstum und langfristigem Erfolg“, so Wendt, der eine Welle von Fortschritten in der Medizinprodukteindustrie und bei Verbraucherunternehmen verfolgt hat.

Unternehmen wie Insulet und Dexcom entwickeln Geräte für Diabetiker, die mit prädiktiven Algorithmen die Fernüberwachung und Verabreichung von Medikamenten wie Insulin in kritischen Momenten ermöglichen. „Da sich durch die Pandemie viele chirurgische Eingriffe verzögert haben, gehe ich außerdem davon aus, dass die aufgestaute Nachfrage bei vielen Medizinprodukteherstellern für Wachstum sorgen wird“, fügt Wendt noch hinzu.

Eine der überraschendsten Entwicklungen im Jahr 2023 war die Stärke am japanischen Aktienmarkt. In Japan wurden gesellschaftsrechtliche Reformen eingeleitet, um die Unternehmen für Investoren attraktiver zu machen. Dazu gehörten unter anderem Maßnahmen zur Erhöhung der Dividendenausschüttungsquoten und Aktienrückkäufe. Darüber hinaus bot ein schwacher Dollar Rückenwind für US-amerikanische Investoren.

„Die Unternehmen in Japan verstehen allmählich, dass es notwendig ist, die Aktionäre besser zu entlohnen, und infolgedessen sehen wir eine Verbesserung und eine veränderte Haltung in Bezug auf die Erhöhung der Dividendenausschüttungsquoten der Unternehmen“, sagt Randall.

Einige namhafte Unternehmen haben auch selbst eine Transformation durchlaufen, um am globalen Markt wettbewerbsfähiger zu werden. So hat sich in der traditionellen Film- und Kamerabranche Olympus zu einem weltweit führenden Anbieter von Endoskopen (medizinische Instrumente mit Bildsensoren zur Untersuchung innerer Organe) entwickelt, und Fujifilm bietet als Marktteilnehmer im Gesundheitssektor Dienstleistungen im Bereich Arzneimittelentwicklung und -herstellung für Pharmaunternehmen an.

In Europa war das Wirtschaftswachstum unerwartet positiv, und der Kontinent hat seine energiepolitischen Herausforderungen und den Krieg in der Ukraine besser verkraftet, als viele erwartet hatten. „Insbesondere Deutschland hat einen harten Winter überstanden, und viele deutsche Unternehmen sind global tätig“, so Randall. Nehmen wir zum Beispiel die DHL Group, ein globales Logistikunternehmen mit einem hochwertigen E-Commerce-Lieferservice und umfangreichem operativen Geschäft in Europa, den USA und China.

Vielleicht haben wir den Höhepunkt der pessimistischen Stimmung erreicht

Natürlich bleiben Herausforderungen bestehen. Die Inflation lässt zwar nach, ist aber immer noch hoch. Die Zentralbanken, auch die Fed, haben angedeutet, dass die Zinsanhebungen noch nicht beendet sind. Es ist auch immer noch wahrscheinlich, dass irgendwann eine Rezession eintreten wird, auch wenn sie nur flach sein wird.

„Eine Rezession bei Vollbeschäftigung hat es bisher noch nicht gegeben“, sagt Wendt. „Deshalb glaube ich, dass die Rezession recht flach sein wird, und ich glaube auch nicht, dass wir uns bis spät in die Nacht Gedanken darüber machen werden, wie wir sie überstehen können.“

Also eine neue Hausse am Aktienmarkt?

„Ich denke, man kann sich durchaus fragen, ob die Tiefstände des Marktes vom Oktober 2022 die Talsohle für diesen Zyklus markierten“, fährt Wendt fort. „Ich glaube, es ist so. Das bedeutet zwar nicht, dass es nun wieder aufwärts geht, aber zumindest könnte die Hochphase des Pessimismus bereits hinter uns liegen. Die Geschichte hat uns gelehrt, dass die Märkte uns gerade in einem eingetrübten Umfeld manchmal überraschen können.


Caroline Randall ist Aktienportfoliomanagerin und hat 21 Jahre Erfahrung im Investmentgeschäft. Außerdem analysiert sie europäische Versorger. Sie hat in Cambridge einen Master- und Bachelor-Abschluss in Betriebswirtschaftslehre gemacht.

Gregory W. Wendt ist als Aktienportfoliomanager bei Capital Group tätig. Er hat 35 Jahre Investmenterfahrung, ausnahmslos bei der Capital Group. In seiner früheren Laufbahn bei Capital Group war er als Aktieninvestmentanalyst für US-Casinos und Glücksspiel, Freizeiteinrichtungen, Restaurants, Merchandising und Small Cap-Unternehmen zuständig. Er besitzt einen MBA-Abschluss der Harvard Business School und einen Bachelor-Abschluss in Volkswirtschaft der University of Chicago. Greg ist in San Francisco tätig.


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