Jede Woche veröffentlichen führende Vermögensverwalter und Fondsgesellschaften weltweit zahlreiche fundierte Einschätzungen zu den Finanz- und Kapitalmarktmärkten. Um einen Überblick zu erhalten, fasst TiAM FundResearch regelmäßig die wichtigsten Aussagen für Sie kompakt zusammen.
30.09.2022 | 12:12 Uhr von «Peter Gewalt»
Diese Woche standen bei den Volkswirten und Kapitalmarktexperten die Rezessionsgefahren und die Folgen für Anleger im Fokus ihrer Analysen.
So schreiben Tiffany
Wilding, Managing Director und US-Volkswirtin bei PIMCO, und Gene Frieda,
Executive Vice President und Global Strategist bei PIMCO:
„Die globalen Wachstumsaussichten
haben sich unvorteilhaft entwickelt. Die Auswirkungen des Krieges in der
Ukraine haben in Europa mit ziemlicher Sicherheit eine stärkere Rezession zur
Folge als in den USA. Ebenso scheint die Wirtschaft des Vereinigten Königreichs
aufgrund ihrer engen Handelsbeziehungen mit Europa sowie ihrer generellen
Abhängigkeit von Energie- und Stromimporten besonders gefährdet zu sein.
Trotzdem werden die Zinssätze sowohl im Euroraum als auch im Vereinigten
Königreich wahrscheinlich viel höher ausfallen, als man es für
Volkswirtschaften mit niedrigen neutralen Zinsniveaus und niedrigen
potenziellen Wachstumsraten erwartet hätte.
Einfach ausgedrückt: Es ist viel
schwieriger, eine weiche Landung zu erreichen, wenn das potenzielle Angebot
zerstört wurde oder nicht mehr auf höhere Preise reagiert. Die EZB und die BoE
scheinen kaum eine andere Wahl zu haben, als den negativen Schock des
Energieangebots auf die Produktion mit noch mehr Nachfragevernichtung zu
verstärken. Natürlich wird diese Aufgabe angesichts zusätzlicher fiskalischer
Anreize und abwertender Währungen noch schwieriger. Und das ist der zentrale
Grund, warum die Geldpolitik im Vereinigten Königreich und in der Europäischen
Union am Ende viel restriktiver ausfallen könnte als in den USA.
In der vor-pandemischen Welt, in der
ein großer Überfluss herrschte, war das Angebot nur selten ein
wachstumshemmender Faktor oder eine Ursache für eine höhere Inflation. Jetzt,
nach einer Pandemie und inmitten eines Krieges, sind Versorgungsengpässe nicht
nur zu einem wesentlichen Inflationsfaktor geworden, sondern auch zu einem
wichtigen Unterscheidungsmerkmal zwischen den Ländern. Zwar wird Europa mit
ziemlicher Sicherheit einen stärkeren Wachstumsschock erleiden als die USA.
Doch ist es durchaus möglich, dass das Ziel der Geldpolitik und damit der
Zinssätze in absoluten Zahlen ähnlich ausfällt. Wenn es das Angebot ist, das
bindet, gelten die alten Regeln der Geldpolitik möglicherweise nicht mehr.“
„Die Märkte
unterschätzen die Entschlossenheit der Zentralbanken, die Inflation zu
neutralisieren“, analysiert Mabrouk Chetouane, Head of Global Market Strategy
bei Natixis Investment Managers. Er
sieht die aktuellen Zinsniveaus deshalb noch nicht als den Höhepunkt des
Zyklus; die Inflationsraten seien noch lange nicht mit den Zielen der
Zentralbanken vereinbar. Erst in der ersten Hälfte des Jahres 2023 dürfte die
Anpassung der Märkte an die veränderten Bedingungen abgeschlossen sein.
Chetouane: „Eine unerwartet starke Abschwächung der Konjunktur kann nicht
ausgeschlossen werden, da sich die finanziellen Bedingungen weiter verschärfen
dürften. Vor diesem Hintergrund dürften wir Spitzenwerte bei der Volatilität
erleben, bis der Tiefpunkt der Märkte erreicht ist. Erst dann werden sich
Einstiegsmöglichkeiten in Anleihen und Aktien bieten.
In der Zwischenzeit halten wir im
Rahmen einer defensiven Strategie europäische inflationsindexierte Anleihen mit
kurzer Laufzeit und reale Vermögenswerte, deren Erträge angemessen an
Preissteigerungen gekoppelt sind, wie z. B. Infrastrukturprojekte, für
interessant. Erst wenn die Inflation greifbare Anzeichen einer Verlangsamung
zeigt, und die Zentralbanken ihre Geldpolitik ändern, können wir die Portfolios
wieder in offensivere Segmente investieren.“
David Dowsett, Global Head of Investments bei GAM Investments,
sieht die Gefahr, dass die Märkte zusehends das Vertrauen in die Politik verlieren:
„Es ist nahezu unmöglich, das Ausmaß der Bewegungen zu übersehen, das derzeit
am kurzen Ende der Zinsstrukturkurven zu beobachten ist. Liquide
US-Staatsanleihen mit zweijähriger Laufzeit, im Grunde risikolose
Vermögenswerte, an denen sich alle anderen Anlagerenditen orientieren,
handelten vor zwölf Monaten mit einer Rendite von 20 Basispunkten. Aktuell liegt
deren Rendite bei 4,3 Prozent, nachdem allein im September ein Anstieg von 80
Basispunkten zu verzeichnen war. Es ist schwer vorherzusagen, was als Nächstes
passieren wird, doch solange sich diese Verzinsungsrate nicht stabilisiert,
wird kein anderer Markt steigen können. Denn alle Kapitalanlagen, von der
Dividendenrendite einer Aktienanlage über die Rendite eines festverzinslichen
Instruments bis zum Immobilienkauf, werden mit dem risikofreien Zinssatz
verglichen. Steigt dieser täglich, müssen die Renditeaussichten für sämtliche
anderen Vermögenswerte neu kalibriert werden.
Die
vergangene Woche war durch eine intensive Phase von Zinserhöhungen
gekennzeichnet: Die schwedische Riksbank hob die Zinsen um 100 Basispunkte, die
Federal Reserve (Fed) um 75 Basispunkte, die Europäische Zentralbank (EZB) um
75 Basispunkte und die Bank of England (BoE) um 50 Basispunkte an. Lediglich
die Bank of Japan (BoJ) schloss sich der Bewegung nicht an, was sich jedoch in
Japan als Stress niederschlägt, der die Währung schwächt und die politischen
Entscheidungsträger zu Interventionen veranlasst. Es scheint, dass die
Marktteilnehmer den Höhepunkt der Zinserhöhungen nicht erkennen können, auch
weil sie das Vertrauen in die Politik verlieren.“
Lewis Grant, Senior Portfolio Manager - Global Equities, Federated
Hermes Limited, sieht Aktienanleger von einer Reihe geopolitischer Risiken überrollt:„Ein
früherer britischer Premierminister sagte einmal: „Eine Woche ist eine lange
Zeit in der Politik“. Wie treffend. Der
Plan zur Rückkehr zum Wirtschaftswachstum, den die britische Regierung
vergangene Woche vorstellte, versetzte den Markt in Aufruhr, da Anleger und
Wirtschaftsexperten die Sinnhaftigkeit des Plans in Frage stellten. Das Pfund
Sterling fiel daraufhin auf ein Rekordtief, während der Dollar an Wert gewann.
Die daraus resultierende Emission von Staatsanleihen, die zur Finanzierung der
Steuersenkungen erforderlich war, ließ die Renditen 30-jähriger Staatsanleihen
in die Höhe schnellen - bis die BOE mit unlimitierten Käufen langlaufender
Anleihen intervenierte und den Trend umkehrte.
Die
Gaspreise stiegen in dieser Woche ebenfalls stark an. Denn die
Versorgungsaussichten verschlechterten sich, was durch die Schäden an den
Nordstream-Pipelines und die potenzielle Drohung Russlands, die Lieferungen
über die Ukraine zu drosseln, noch verschärft wurde. Die Verschiffungspreise sind
die Nutznießer, denn sie nähern sich einem Rekordniveau.
Aktienanleger
werden von einer Reihe geopolitischer Risiken überrollt, und es gibt kaum
Anzeichen dafür, dass sich die Lage entspannt. Die bevorstehende Berichtssaison
wird Aufschluss über diese geopolitischen Ereignisse geben und hat das
Potenzial, einschneidend zu sein: Die Prognosen haben sich trotz des
makroökonomischen Stresses überraschend gut gehalten. Und bei einer derart
negativen Anlegerstimmung wird es für Unternehmen, die ihre Vorgaben nicht
erfüllen, kein Pardon geben. Ein gut diversifiziertes Portfolio ist der
Schlüssel, um die Turbulenzen an diesen Märkten abzufedern.“
Chris Iggo, CIO Core Investments, AXA Investment Managers, setzt
angesichts der Probleme weiter auf den US-Dollar:
Ein Fahrplan
für die Zukunft könnte es sein, zu erkennen, dass in vielen Teilen der Märkte
Werthaltigkeit zu finden ist. In einigen Anleihebereichen liegen die Renditen
auf einem Mehrjahreshoch. Hochzinsanleihen mit Laufzeiten von drei bis fünf
Jahren und erzielbaren Renditen von sieben bis acht Prozent sind attraktiv,
wenn man davon ausgeht, dass die Inflation von ihrem derzeitigen Niveau aus
zurückgeht. Die Erträge dürften über die gesamte Laufzeit des Investments höher
sein als die Inflation. Kurzfristig ist die Fed jedoch immer noch im Spiel und
sie spielt hart. Es könnte sich lohnen, zu warten und etwas niedrigere Renditen
bei geringerem Risiko zu vereinnahmen oder weiter kurzlaufende
inflationsgebundene Anleihen zu besitzen, um von der Inflation zu profitieren,
die höher ist, als wir noch vor ein paar Monaten angenommen haben. Die andere
Schlussfolgerung ist, dass wir weiter auf den US-Dollar setzen sollten. Der
Dollar-Index befindet sich auf einem 20-Jahreshoch.
Abgesehen vom
Kernthema, darauf zu warten, dass die Notenbanken den Sieg über die Inflation
verkünden, gibt es einige andere Dinge zu beobachten. Im
Ukraine-Russland-Konflikt könnte sich das Blatt angesichts der jüngsten
Äußerungen des russischen Präsidenten und den immer sichtbareren Anzeichen von
Unmut in der Bevölkerung wenden. Ausländisches Abenteurertum kann oft durch
inländische Opposition untergraben werden. Vielleicht sehen wir auch die
Anfänge eines Wandels im Iran. Die Dynamik auf dem Ölmarkt würde sich ändern,
wenn der Iran unter einer anderen politischen Konstellation als der jetzigen
wieder stärker auf Linie gebracht werden würde. Geopolitische Ereignisse müssen
nicht immer zu einer Risk-off-Stimmung führen.
Andrew Pease, Global Head
of Investment Strategy bei Russell Investment, sieht vor allem wegen der außerordentlich
schlechten Stimmung an den Märkten auch Chancen für Anleger:
„Derzeit gibt es an den Kapitalmärkten kaum Lichtblicke. Eine Quelle für
Zuversicht könnte jedoch sein, dass die Anlegerstimmung sehr negativ ist. Dies
könnte ein Indikator dafür sein, dass die Märkte die schlechten Nachrichten
bereits eingepreist haben.“ Dies signalisiert auch der Composite Sentiment
Index von Russell Investments. Der Index, der die Anlegerstimmung für den
S&P 500 anhand einer Reihe technischer Indikatoren, Positionsdaten und
Umfragen misst, ist aktuell um fast zwei Standardabweichungen überverkauft.
Aktien: Russell Investments zieht Nicht-US-Aktien aus
Industrieländern gegenüber US-Aktien vor, da sie relativ günstig sind und von
einer Schwächung des US-Dollars profitieren, falls die Fed einen defensiveren
Kurs einschlägt. „Unsere Bewertungsmethodik stuft US-Aktien nicht als günstig
ein, allerdings hat sich die Bewertung verbessert", so Pease. „Es zeigt
sich jedoch, dass nicht-US-Aktien jetzt einen Value bieten.“
Schwellenländer-Aktien: Aktien aus
Schwellenländern können sich erholen, wenn aus China erhebliche
Konjunkturimpulse kommen, die Fed das Straffungstempo verlangsamt, die
Energiepreise nachgeben und der US-Dollar abschwächt. Vorerst ist eine neutrale
Haltung angebracht.
High-Yield- und Investment-Grade-Anleihen:
Die Renditeaufschläge für Hochzins- und Investment-Grade-Anleihen liegen nah an
ihren langfristigen Durchschnittswerten; die Gesamtrendite für
US-Hochzinsanleihen erscheint mit etwa 8,5 % attraktiv. „Die Spreads sollten
weiterhin auseinanderlaufen, wenn eine Rezession in den USA wahrscheinlicher
wird", so Pease. „Wir haben einen neutralen Ausblick auf die Kreditmärkte,
werden aber positiver, wenn eine Rezession in den USA unwahrscheinlicher
wird."
Staatsanleihen: Die Bewertungen von
Staatsanleihen haben sich verbessert. Vor allem US-amerikanische, britische und
deutsche Anleihen bieten Potenzial. Japanische Anleihen sind hingegen immer
noch teuer. „Die Renditen sind in den letzten Monaten an den meisten Märkten
stark angestiegen. Das Risiko eines weiteren deutlichen Ausverkaufs scheint
begrenzt zu sein, da die Inflation kurz vor dem Höhepunkt steht und die Märkte
für die meisten Zentralbanken einen härtere Gangart eingepreist haben", so
Pease.
Real
Assets:
Global Listed Infrastructure (GLI) zählt seit Jahresbeginn zu den Anlageklassen
mit der besten Performance, während REITs mehr als 20 Prozent verloren haben. GLI ist
jedoch mit Blick auf Faktoren wie die Dividendenrenditen und
Kurs-Gewinn-Verhältnisse teuer. Im Gegensatz dazu weisen REITs gute Bewertungen
auf. Rohstoffe waren 2022 die bisher am besten abschneidende Anlageklasse. Hier
besteht 2023 bei einer Erholung der chinesischen Nachfrage infolge gelockerter
Lockdowns und Stimulierungsmaßnahmen weiteres Aufwärtspotenzial.
US-Dollar: Der US-Dollar
hat in diesem Jahr wegen der entschlossenen Fed-Politik und als sicherer Hafen
während des Russland/Ukraine-Kriegs an Attraktivität als sicherer Hafen
gewonnen. Der Greenback sollte sich jedoch abschwäche, wenn die Inflation zu
sinken beginnt und die Fed Anfang 2023 zu einer weniger restriktiven Haltung
übergeht. Bei diesem Szenario ist zu erwarten, dass der Euro und der japanische
Yen die Hauptprofiteure sein sollten.
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