Metzler AM: US-Zölle und ökonomische Implikationen

Edgar Walk, Chefvolkswirt Metzler Asset Management
Analyse

Lesen Sie die aktuelle Einschätzungen von Edgar Walk, Chefvolkswirt Metzler Asset Management, zu US-Zöllen und den ökonomischen Implikationen sowie den Chancen für europäische Aktien.

09.04.2025 | 10:21 Uhr

Trump-Zölle: Historisches Ausmaß und ökonomische Implikationen

Ein Blick auf die durchschnittlich gewichteten Zölle der USA seit 1901 zeigt, dass die jüngsten Ankündigungen von Donald Trump die durchschnittlichen Zölle auf den höchsten Stand seit über 100 Jahren (1910) anheben würden.

Erwartete Auswirkungen auf die Konjunktur

  • Die Wirtschaftsgeschichte zeigt, dass solch drastische protektionistische Maßnahmen regelmäßig Rezessionen ausgelöst haben.
  • Edgar Walk, Chefvolkswirt Metzler Asset Management sieht eine klare Korrelation zwischen massiven Zollerhöhungen und tiefgreifenden konjunkturellen Schwächen.
  • Die Finanzmärkte haben entsprechend empfindlich reagiert, wenngleich erste Fake-News über eine Verschiebung der Zölle nur kurzfristig für Entspannung sorgten


Geopolitische Dimension: USA, China, EU, Japan – wer zahlt den Preis?

China: Eskalation statt Einigung

  • Trump hat zusätzliche 34 % Zölle auf chinesische Importe angekündigt, wodurch sich die Gesamthöhe auf 54 % summieren würde.
  • China reagierte prompt und symmetrisch: 34 % auf US-Exporte.
  • Darauf reagierte Trump wiederum mit zusätzlichen Zöllen von 50 %, worauf China wiederum gleichzog.
  • Edgar Walk erwartet keine Deeskalation: Beide Seiten hätten sich in eine Position manövriert, aus der es politisch keinen Rückzug ohne Gesichtsverlust mehr gibt.
  • Besonderes Risiko: Amerikanische Verbraucher sind stark von chinesischen Gütern abhängig (z. B. Walmart, bei dem über zwei Drittel der Produkte aus China stammen).

Japan: Überraschend stark betroffen

  • Japan wird mit 24 % Zoll sogar stärker belastet als die EU (20 %).
  • Laut Walk sei Tokio geschockt und werde versuchen, durch Konzessionen einen Rückgang auf 10 % zu erreichen.
  • Walk sieht Verhandlungsspielräume, allerdings nicht kurzfristig.

EU: Hoffnung auf einen Deal

  • Trump signalisiere, mit der EU über eine Reduktion der Zölle von 20 % auf 10 % zu verhandeln, sofern diese:
    - mehr Energie aus den USA importiert
    - Zölle auf US-Industriegüter auf 0 % senkt.
  • Walk hält diesen Deal für realistisch und deutlich wahrscheinlicher als bei China.
  • Allerdings: Die politische Abhängigkeit Europas – z. B. in Bezug auf NATO, Finanzsysteme und Technologie – könnte Trump zusätzliche Hebel verschaffen.


Inflation und Rezession – Märkte zwischen Angst und Hoffnung

USA: Inflationsschock voraus?

  • Zölle führen zu höheren Importpreisen, was sich über steigende Konsumgüterpreise in die Inflationsrate überträgt.
  • Erwartung laut Markt:
    - Einjährige Inflation (in einem Jahr): 3,5 %
    - Zweijährige Inflation: 2,0 % ⇒ Vertrauen in Fähigkeit der Fed, die Inflation mittelfristig zu stabilisieren.
  • Doch: Das Risiko einer eigendynamischen Inflationsspirale bleibt bestehen – etwa durch Lohnerhöhungen oder Zweitrundeneffekte.

Prognosen von Walk

  • Erwartete US-Rezessionswahrscheinlichkeit: 60–61 % (identisch mit Polymarket)
  • Mechanismus: Zölle → höhere Preise → sinkende reale Einkommen → Konsumrückgang → BIP-Rückgang.


Zinspolitik von Fed und EZB: Entkopplung der Reaktionen?

Fed: Handlungsspielraum begrenzt

  • Unsicherheit über das Handeln der Fed ist groß.
  • Theoretisch müsste die Fed wegen drohender Rezession die Zinsen senken.
  • Praktisch könnte das bei gleichzeitig steigender Inflation riskant für das Marktvertrauen sein.
  • Walk erwartet dennoch mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Zinssenkung, da Wachstumsimpulse vorrangig erscheinen.

EZB: Klare Richtung

  • Einjährige Inflationserwartung in der Eurozone: 1,385 % (niedrig!).
  • Walk sieht nahezu sichere Zinssenkung im April (99 % Wahrscheinlichkeit).
  • Potenzial für einen Leitzins von 1,0 %, falls Rohstoffpreise und Inflation weiter zurückgehen.

Zinsstruktur, Marktverwerfungen und neue Korrelationen

Marktbewegungen im Überblick

  • Zehnjährige US-Renditen stiegen, kurzfristige Zinsen sanken ⇒ Versteilung der Zinsstrukturkurve.
  • Trotz schwacher Aktienmärkte keine Fluchtbewegung in sichere Staatsanleihen, was auf Inflationssorgen und US-Schuldenlast zurückzuführen ist.
  • Gold als klassischer Safe Haven zeigte keine nennenswerte Reaktion, was Fragen zur Risikowahrnehmung aufwirft.

Dollar überraschend stark

  • Der US-Dollar (DXY) legte im Tagesverlauf zu – trotz Diskussionen über chinesische Verkäufe von US-Staatsanleihen.
  • Interpretation von Walk:
    - Kapitalflüsse gehen nicht ins Ausland, sondern in den US-Geldmarkt.
    - Vertrauen in die Fed als stabile Institution hält Kapital im Dollarraum.


High-Yield-Spreads als Schlüsselindikator

  • Bisherige Marktkrisen (z. B. SVB, Japan-Carry-Trade) hatten kaum Auswirkungen auf High-Yield-Spreads.
  • Jetzt: Signifikanter Anstieg der Spreads, was auf realwirtschaftliche Belastungen hindeutet.
  • Walk warnt:
    - Wenn sich die Spreads nicht innerhalb von 48 Stunden beruhigen, droht eine länger andauernde Marktkorrektur mit realwirtschaftlichen Folgen.
    - Die High-Yield-Spreads seien ein zentrales Diagnoseinstrument, ähnlich einem Blutdruckmessgerät in der Notaufnahme.


EU: Gedämpfter Optimismus trotz politischer Unsicherheiten

Makroökonomische Einschätzungen

  • Eurozonen-BIP-Prognose: 1,0 % (Walk selbst sieht dies als evtl. zu optimistisch).
  • Inflationserwartung 2025: 1,7 %.
  • Sentix-Konjunkturindex deutlich gefallen.
  • Prognose: EZB wird auf schwächere Konjunktur und niedrige Inflation reagieren.
Le Pen und politische Stabilität

  • Der Rückschlag für Le Pen und die geringe Mobilisierung ihrer Anhänger nach der Verurteilung wegen Korruption wird als stabilisierend für Europa bewertet.


Neue Weltordnung: Europa im Dilemma

  • Europa ist in einer strukturellen Abhängigkeit von den USA:
    - Sicherheit (NATO)
    - Technologie (Microsoft, Apple)
    - Infrastruktur (Zahlungsverkehr, Dollarfinanzierung)
  • In den Worten von Ray Dalio (US-amerikanischer Unternehmer und Hedgefonds-Manager): Wir müssen in neuen geopolitischen Denkstrukturen agieren.
  • Szenarien wie ein Technologieboykott durch US-Konzerne gegen Europa wären für die europäische Wirtschaft existenzbedrohend, für die USA jedoch verkraftbar.


Europäische Aktien – mittelfristige Chancen: Selektion, Zinswende & europäische Resilienz

Europäische Aktienmärkte robuster

  • Keine Rezession in Sicht, moderate Inflation, geldpolitischer Rückenwind durch erwartete Zinssenkungen.
  • Binnenkonsum und fiskalische Impulse stützen die Unternehmensgewinne.

Stärkere Position für europäische Qualitätswerte

  • Unternehmen mit starkem Inlandsfokus, Preissetzungsmacht und geringer US-Abhängigkeit sind gut positioniert.
  • Chancen besonders im Rüstungs-, Industrie-, Infrastruktur- und Bankenbereich.

Technologiesektor: Vorsicht in den USA, Chancen in Europa

  • US-Tech-Werte unter Druck durch mögliche EU-Sondersteuern und globale Konjunkturabkühlung.
  • Europäische Digitalunternehmen profitieren von geopolitischem Diversifizierungsstreben.

China als neue Wachstumsquelle

  • Stimuluspaket in China könnte Nachfrage nach europäischen Exportgütern ankurbeln – positiv für zyklische Sektoren.

Anlegerfokus verschiebt sich

  • Weg von US-Giganten, hin zu Small- und Mid-Caps mit regionalem Fokus und solider Bilanzstruktur.

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