Die Kurs-Schwankungen an den Finanzmärkten haben in diesem Jahr zugenommen. Viele Anleger werden deshalb zögerlich und hoffen auf ruhigere Zeiten. Das ist ein Fehler.
04.07.2016 | 16:01 Uhr
Es ist eine immer wiederkehrende Erfahrung, dass sich die Marktteilnehmer an der Börse oft wie die Lemminge verhalten. Steigen die Kurse, wollen alle dabei sein. Fallen die Kurse, flüchten alle gleichzeitig durch dieselbe Tür.
Das Phänomen war auch in den vergangenen Tagen zu beobachten. Kurz nach der Brexit-Entscheidung fielen innerhalb kurzer Zeit weltweit die Aktienkurse. Danach kamen die ersten Mutigen wieder zurück. Von Montag, den 27. Juni bis Freitag, den 1. Juli stieg der Wert des MSCI World Index von 1.195 auf 1.258,5 Punkte.
Wer am Freitagnachmittag, dem 26. Juni, Aktien gekauft und am folgenden Freitag wieder verkauft hätte, hätte innerhalb einer Woche mehr als fünf Prozent Rendite einfahren können.
Hätte? Hätte.
Wer solche Rückbetrachtungen anstellt, läuft Gefahr, die optimalen Handelszeitpunkte abpassen zu wollen – und dabei in untätige Starre zu verfallen. Tatsächlich überlegen viele Anleger derzeit, ihre Aktien oder Aktienfonds zu verkaufen und auf bessere Zeiten zu warten. „So verständlich diese Reaktion auch ist, sie ist mit Blick auf die Rendite der Anlage die schlechteste Entscheidung, die ein Anleger treffen kann“, sagt Carsten Roemheld, Kapitalmarktstratege bei Fidelity International. Seine Begründung: „Die vergleichsweise hohe Rendite einer Aktienanlage ist auf relativ wenige Tage mit hohen Kurssteigerungen zurückzuführen. Da niemand vorhersagen kann, wann diese Tage sind, ist es im Allgemeinen sinnvoller, durch Marktzyklen hindurch voll investiert zu sein. Denn wer nur wenige gute Börsentage verpasst, muss dafür in der Regel langfristig deutlich geringere Renditen in Kauf nehmen. Zeit ist bei der Aktienanlage wichtiger als der Zeitpunkt“, so Roemheld.
Durchhalten lohnt sich
Eine langfristige Betrachtung der Aktienkurse in Europa zeigt: Ein Anleger, der mit der Einführung des Euro am 31.12.1998 eine beliebige Summe in den MSCI Europe angelegt hätte, hätte damit bis zum 31. Mai 2016 sein Kapital fast verdoppelt. Voraussetzung: hohes Durchhaltevermögen. Denn wenn der Anleger die zehn besten Börsentage in diesem Zeitraum verpasst hätte, wäre unter dem Strich nur eine Rendite von insgesamt 2,3 Prozent geblieben. Ohne die 40 besten Tage wären heute sogar nur noch 32,4 Prozent der ursprünglich angelegten Summe übrig.
Auch die vergleichbare Berechnung für den deutschen Aktienmarkt ergibt: Aus einer Anlage von 1.000 Euro in deutsche Standardwerte – gemessen am MSCI Germany – wurden von Ende 1998 bis Ende Mai 2016 2.124 Euro. Hätte der Anleger die zehn besten Tage dieses Zeitraums verpasst, wären Ende Mai 2016 nur noch 963 Euro übrig gewesen. Hätte er sogar die 40 besten Tage verpasst, wären nur noch 216 Euro übrig.
Quelle: Fidelity.
Beim S&P 500 (in US-Dollar) bietet sich ein ähnliches Bild. Hier erzielte der Index von 1987 bis Anfang 2016 ohne die 15 besten Tage nur 4,05 Prozent Rendite pro Jahr. Zum Vergleich: Über alle Tage hinweg lag die Rendite bei jährlich 7,58 Prozent. „Diese Auswertung zeigt, dass auch indexübergreifend davon ausgegangen werden kann, dass ohne die besten Börsentage die Rendite deutlich geschmälert wird“, sagt Lutz Neumann, Leiter der Vermögensberatung der Sutor Bank.
Quelle: Sutor Bank.
„Anleger sind deshalb gut beraten, gerade nach starken Kurseinbrüchen nicht vorschnell zu verkaufen. Da niemand konkret vorhersagen kann, wann die besten Börsentage sein werden, sollten Anleger auch bei hoher Volatilität an den Märkten einen kühlen Kopf bewahren und nicht überhastet ihr Depot auflösen “, so Neumann.
Volatilität ist nicht nur ein Risiko, sondern eine Chance
Die Erfahrung zeigt: Den optimalen Ein- oder Ausstiegszeitpunkt vorherzusehen und dementsprechend zu kaufen oder zu verkaufen, gelingt ohnehin nicht. Viel wichtiger ist es, langfristig investiert zu sein. „Denn verpasst ein Anleger den Anstieg der Kurse, reduziert sich die Rendite seiner Anlage erheblich“, bestätigt Carsten Roemheld.
(MvA)
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