Wirtschaftsbooms sterben selten an Altersschwäche. Daher fragen sich viele Anleger und Volkswirte, was der jüngsten, seit nunmehr zehn Jahre andauernden Expansion ein Ende setzen wird. Hauptverdächtiger scheint Donald Trump zu sein.
01.10.2019 | 07:33 Uhr
Anhaltende Unterstützung der Kapitalmärkte...
War die Laune der Anleger 2018 mit der großzügigen
Steuerreform zunächst gestiegen, ist sie mittlerweile durch
Trumps Handelsstreit mit China 2019 deutlich strapaziert
worden. In einem Wahljahr ist es kaum vorstellbar, dass es
zu einer dauerhaften Einigung zwischen China und den USA
kommt. Daher dürften uns die negativen Folgen höherer
Handelskosten vorerst weiter begleiten. In der verarbeiten-
den Industrie schlagen die höheren Zölle bereits spürbar
durch, während sich der Dienstleistungssektor überraschend
robust zeigt. Auch die Notenbanken auf beiden Seiten des
Atlantiks tun ihr Bestes, um die Märkte zu beruhigen und die
Rezession auf Abstand zu halten. Dies mag Aktien eine
Zeitlang Unterstützung geben. Der Preis dafür ist jedoch eine
hohe Volatilität. Auch wenn es für Anleger durchaus einigen
Anlass zur Sorge gibt – vom zunehmenden Protektionismus
über das Risiko eines harten Brexit bis hin zur Lage in
Hongkong –, befindet sich die globale Wirtschaft noch nicht
in einer Rezession. Zwar müssen die Wachstumser-
wartungen insgesamt nach unten geschraubt werden. Die
gute Arbeitsmarktsituation in den USA und Europa sollte die
Konsumenten jedoch hinreichend zuversichtlich und damit
kauffreudig stimmen.
... allerdings verbunden mit höheren Bewertungen und
Volatilitäten
Trotz wachsendem Konjunkturpessimismus entwickelten
sich die meisten Anlageklassen deutlich besser als zu
Jahresbeginn erwartet. Kleinanleger schichteten auf der
Suche nach Sicherheit von Aktien in Renten um. Dennoch
legten auch Aktien zu – unterstützt durch Rück-
kaufprogramme, vermehrte Delistings von Unternehmen und
Käufe seitens alternativer Fonds. Da aber die Bewertungen
der profitabelsten Anlageklassen hoch sind, stellt sich die
Frage, ob sich noch weiterhin attraktive Anlagechancen
finden lassen.
An Aktien und Unternehmensanleihen führt kein Weg
vorbei
Die Flucht in sichere Anlagen zu jedem Preis hat den Wert
von Staatsanleihen erneut nach oben getrieben. Fast 30%
aller Anleihen weltweit rentieren nun negativ. Angesichts des
gedämpften Wachstums und möglicher Dominoeffekte aus
der US-Wirtschaft durch höhere US-Zölle lässt sich nur
schwer vorhersagen, wann die Zinsen wieder steigen
werden. Vermutlich wird eine Normalisierung lange auf sich
warten lassen. In diesem Umfeld sind Unternehmens-
anleihen die einzige Option. Zwar sind diese nicht gerade
günstig, aber die Bewertungen sind doch weit entfernt von
den Extremwerten der Vergangenheit. Auch Aktien sind nicht
überbewertet, aber die Risikoprämien (gemessen an der
Differenz zwischen der geschätzten Dividendenrendite und
dem risikofreien 10-Jahres-Referenzzinssatz) haben neue
Höchststände erklommen. Zudem ist das Bewertungsgefälle
zwischen Wachstums- und Substanzwerten 2019 nicht
kleiner, sondern größer geworden. Normalerweise wäre dies
ein starkes Kaufsignal für Value-Anleger. Aber in einer Welt
mit stagnierendem Wachstum erwarten wir keine Rotation in
zyklische Werte. Portfoliomanager müssen sich daher in der
Kunst üben, vermeintlich hoch bewertete Titel zu identifi-
zieren, die zwei Sachen vereinen - Preisgestaltungsmacht
und gut absehbare künftige Zahlungsströme.
Nach dem Umbruch ist vor dem Umbruch
Diverse strukturelle Trends verändern die Welt, in der wir
leben: Hieraus erwachsen Chancen und Unternehmen
erfinden sich neu, um diese grundlegenden Entwicklungen
für sich zu nutzen. Die Kernpfeiler dieses Wandels sind für
uns der immer stärker werdende demographische Druck, die
Erschöpfung natürlicher Ressourcen und die grenzenlosen
Möglichkeiten zur individuellen Vernetzung (digitale und KI-
Technologien).
Seit der ersten Ölkrise 1973 hat sich der weltweite Energie-
verbrauch verdoppelt. Die Weiterentwicklung des Energie-
mixes kommt nur schleppend voran. Das kann man an einer
Zahl festmachen: Der Beitrag von Kohle und deren Derivate
an der weltweiten Energieerzeugung lag 1970 bei 30% und
heute sind es ... genauso viel! Diese Energiewende erfordert
massive Investitionen, die private Unternehmen alleine nicht
werden schultern können. Hier ist die Unterstützung von
öffentlicher Seite gefragt (Regulierung, Steueranreize,
staatliche Investitionen).
Im Jahr 2020 werden „Millennials“ die gleiche Kaufkraft haben wir die Generation X. Ihr Eintritt ins Erwachsenen- leben fällt in eine Zeit technologischen Wandels, der Globalisierung und wirtschaftlicher Umbrüche. Dement- sprechend unterscheiden sich ihre Prioritäten und Erwar- tungen deutlich von denen früherer Generationen. Nur wenn man ihr Verhalten und ihre Art zu denken versteht, wird man die anstehenden Marktchancen abschöpfen können. So hat beispielsweise Tinder, eine auf Millennials zugeschnittene Applikation, innerhalb von sieben Jahren eine Markt- kapitalisierung von 15 Mrd. USD erreicht – vergleichbar mit Renault oder Deutsche Bank. Spotify, führender Musik- Streaming-Dienst, kommt auf 23 Mrd. USD und YY, ein Video-basiertes soziales Netzwerk in China ist 4,7 Mrd. USD schwer und zählt 300 Mio. Nutzer.
Und was macht künstliche Intelligenz (KI) so bedeutend? Wie Strom oder der Verbrennungsmotor ist KI etwas, das Volkswirte eine „Universaltechnologie“ nennen. Es ist eine stille Revolution, welche die Gesellschaft und die Wirtschaft in allen Bereichen nachhaltig verändern wird. Unternehmen, die KI für sich zu nutzen wissen, werden langfristig Wert schöpfen können. KI ist wohl die Entwicklung mit der größten kreativ-zerstörerischen Kraft seit der letzten industriellen Revolution.
"Kurz gesagt: Es ist nie zu früh, den nächsten Umbruch
gedanklich in den Blick zu nehmen"
Laurent Denize
Global Co-CIO &
Globaler Leiter Renten
ODDO BHF Asset Management
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