Die kurze
Antwort lautet: Nein, es gibt einen Willen zur Veränderung.
Die
kürzlich veröffentlichte Studie „Transformationspfade für das Industrieland
Deutschland“ von der Boston Consulting Group und dem Institut der deutschen
Wirtschaft stellt fest, dass die Industrie hierzulande in einer tiefen Krise steckt.
Als Grund hierfür werden vor allem fehlende Investitionen in den letzten
Jahrzehnten genannt. Dieses Fazit deckt sich weitgehend mit dem Bericht des
ehemaligen Notenbankchefs Mario Draghi, der sich kürzlich in Brüssel zur
Wettbewerbsposition Europas äußert. Draghi fordert in seinem umfassenden
Bericht „urgency and concreteness“, also „Dringlichkeit und Klarheit“. Das Ziel
sei es, Europa wettbewerbsfähiger zu machen. Er schlägt Investitionen in Höhe
von 700-800 Mrd. € in Innovationen, Dekarbonisierung und Verteidigung vor. Ähnliches plant nun auch die Bundesregierung
mit der WIN-Initiative. Sie zielt darauf ab, langfristig mehr Wachstums-
und Innovationskapital bereitzustellen, um Start-ups und Scale-ups zu fördern
und dadurch die Innovations- und Wirtschaftskraft Deutschlands zu verbessern.
Europa ist
sich seiner Schwierigkeiten also bewusst. Viele Probleme sind hausgemacht, darunter
auch die Überregulierung. Die aktuellen Initiativen zeigen jedoch, dass ein
Wille zur Veränderung da ist. Wenn es gelingt, mehr privates Kapital zu
mobilisieren und die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen wird mehr Wachstum
kommen.
Und wie
sieht es mit europäischen Aktien aus?
Als bedeutender
Grund, in Europa zu investieren, wird meistens das günstigere Bewertungsniveau
genannt. Doch es gibt mehr Argumente für europäische Aktien. Insbesondere wenn
die Stimmung schlecht ist, öffnet sich der Blick für antizyklische Chancen.
Wir klagen
zwar hierzulande über die hohe Regulierung. Doch mit Blick nach China bietet
die Staatengemeinschaft aber auch einen verlässlichen, regulatorischen Rahmen.
Wir erinnern uns an Juli 2021 als die chinesische Regierung die sogenannte
„Doppel-Reduktion“ beschloss. Plötzlich und ohne Ankündigung entzog man den privaten,
börsennotierten Bildungsanbietern ihr Geschäftsfeld. Investoren mussten ihre
Engagements in den sogenannten „EdTechs“ nahezu vollständig abschreiben. Einige
Asset Manager haben sich aufgrund dieser Unberechenbarkeit aus China
verabschiedet.
Am
Beispiel Chinas sehen wir auch, dass die Börsenentwicklung der Unternehmen
nicht mit der Entwicklung des Bruttoninlandsprodukts korreliert. So zählt China
international immer noch zu den Regionen mit dem höchsten Wachstum, auch wenn
es zuletzt nur noch bei 5,3% lag.
Der Hang
Seng Index, der die wichtigsten Unternehmen in Hongkong repräsentiert, korrigierte
jedoch in den vergangenen fünf Jahren um rund 30%. Auch der breiter gefasste
MSCI China Index rentiert im Fünf- Jahres-Vergleich deutlich negativ. Im
gleichen Zeitraum liegen europäische und US-amerikanische Aktienindizes zweistellig
im Plus. Im Fall von Europa lässt sich sagen: trotz magerem BIP-Wachstum waren
die Aktien der Staatengemeinschaft durchaus gefragt.
Gefragt sind
an den internationalen Börsen vor allem US-amerikanische Aktien, insbesondere
die „Magischen Sieben“ der US-amerikanischen Technologieunternehmen. Research-Häuser
haben in den vergangenen Jahren ihre europäischen Pendants geschaffen: Sie
beinhalten zumeist die niederländische ASML sowie die dänische Novo Nordisk, als
Erfinder der Abnehm-Spritze Wegovy. Darüber hinaus werden Luxusgüterunternehmen
aus Frankreich genannt, zumeist LVMH und Hermès. Jenseits einer Diskussion um
die Antriebstechnologie wird häufig noch der italienische Sportwagenhersteller
Ferrari genannt, vereint mit Satelliten aus dem Industriesektor, wie die
französische Schneider Electric oder Siemens. Aber auch die Schweiz darf nicht fehlen: sie
bildet mit den Pharmatiteln Novartis oder Roche und Nestlé einen defensiven
Ausgleich.
Fest
steht, dass Europa im Technologiesektor nicht mit den großen, starken Playern
aus den USA aufwarten kann. Außerhalb des Technologiesektors sieht es anders
aus. Die genannten, französischen Luxusgüterkonzerne zählen zu den weltweiten
Marktführern, gleiches gilt für Schneider Electric im Bereich der industriellen
Technologie und Siemens bei digitaler Automation. Auch Europa verfügt über
Unternehmen mit Weltmarktführerschaft, agiert und rekrutiert international!
Da jedoch
alle Aufmerksamkeit auf den USA liegen und Luxusgüteraktien unter dem
schwächeren Wachstum in China leiden, fallen europäische Aktien mittlerweile
auf ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von 13 beim MSCI Europe, was einem deutlichen
Abschlag gegenüber ihrem 30-jährigen Durchschnitt von 14 entspricht.
Die
günstigere Bewertung, Weltmarktführerschaft bei ausgewählten Unternehmen und ein
fester regulatorischer Rahmen gehören zu den wichtigsten Argumenten für europäische
Aktien. Experten aus Politik und Wirtschaft zeigen einen Willen zur
Veränderung. Wir schreiben Europa deshalb nicht ab.
Mit
dem Perspektive OVID Equity ESG Fonds verantworten wir einen defensiven,
globalen Aktienfonds, der auf Europa setzt und einen starken Bottom-up
Selektionsprozess verfolgt. Fresenius, Axa, Roche und Sanofi gehören zu den
erfolgreichen Titeln der letzten Monate. Auch in unserem Nebenwertefonds, dem
Sustainable Smaller Companies ESG Fund werden wir eher in Europa fündig als in
den USA. Zu den besten Unternehmen in diesem Jahr zählen vor allem Titel aus Großbritannien.
Was verbindet uns mit England, nach dem Referendum vor acht Jahren? Auch dort
gibt es viele negative Schlagzeilen und damit vor allem Chancen für
antizyklische Investitionen.
Diesen Beitrag teilen: