Robeco: Vor der Wende? Über die erstaunliche Selbstgefälligkeit am Anleihenmarkt

Das Credit-Team von Robeco sieht an den globalen Anleihenmärkten zahlreiche Ungleichgewichte, die über Jahre fortbestehen, aber auch jederzeit zu einer Korrektur führen könnten. Sorgen bereiten dem Team um Sander Bus und Viktor Verberk vor allem die Selbstgefälligkeit sowie die hohen Bewertungen an den Märkten, die nicht mehr die Fundamentaldaten widerspiegeln. Zwar scheint es noch nicht zur Wende zu kommen, Anleger sollten jedoch unerwartete Risiken vor allem im Zusammenhang mit China undden fallenden Rohstoffpreisen im Blick behalten.

17.07.2017 | 12:34 Uhr

(Foto: v.l.n.r: Sander Bus, Victor Verberk)

Es gibt viele Quellen möglicher Ungleichgewichte an den globalen Finanzmärkten: Hierzu zählen disruptive Schritte der Notenbanken, ein nie zuvor dagewesenes Kreditwachstum in den Schwellenländern und noch einige mehr. Die Bewertungen riskanter Vermögenswerte liegen auf hohem Niveau. Doch Fakt ist: Tatsächlich können Märkte über Jahre hinweg in einem Zustand der Selbstgefälligkeit verharren. Uns ist jedoch bewusst, dass es jederzeit aus vielfältigen Gründen – und damit unerwartet – zu einer Korrektur von Ungleichgewichten kommen kann. Das erstaunlichste Maß an Selbstgefälligkeit sehen wir hierbei in China, gemessen am Verhältnis zwischen Wirtschaftswachstum und Anstieg des Kreditvolumens. In der Volksrepublik steigt das Risiko eines starken Wachstumseinbruchs mit deflationärer Wirkung.
Aus wirtschaftlicher Sicht haben wir allerdings noch etwas Zeit. Europa befindet sich in einer Phase kräftiger Expansion. Die Europäische Zentralbank hat es mit ihrer Leitzinsanhebung zwar nicht ganz eilig, denn bislang ist es ihr nicht gelungen, höhere Inflationserwartungen zu erzeugen. Wir können die geringe Inflation angesichts der Entwicklung an den Arbeitsmärkten nicht ganz erklären. Es besteht ein erhebliches Risiko, dass die Notenbanken hinter der Entwicklung hinterherhinken, sollte sich das Wachstum der Löhne unerwartet beschleunigen.

Wachsende Einkommensungleichheit in den USA bereitet Sorgen
Die Konjunkturabschwächung in den USA könnte vorübergehender Natur sein. Nachdenklich stimmen uns allerdings einige Frühindikatoren, die auf eine Wachstumsabschwächung hindeuten könnten. Die sinkenden Unternehmensgewinne und Margen, die flacher werdende Zinskurve oder der sehr schwache Investitionszyklus zeigen, dass die aktuelle wirtschaftliche Expansion anfällig ist. Sorgen bereitet uns auch die steigende Einkommensungleichheit in den USA. In der Vergangenheit haben sich Volkswirtschaften, die auf Chancen statt auf Ergebnisgleichheit achten, besser entwickelt als Systeme, in denen es eine unüberwindbare Kluft zwischen „Wohlhabenden" und „Geringverdienern" gibt. Diese Überproduktion an Eliten scheint sich in der US-Gesellschaft fest verankert zu haben und erklärt zum Teil unsere zweite Sorge: Die Kreditvergabe an Kunden mit geringer Bonität („Subprime") boomt wieder. 

Bei Subprime-Autokrediten beispielsweise liegen die Zahlungsrückstände auf einem Niveau, wie es seit 2007/2008 nicht mehr zu beobachten war. Obwohl die Ausweitung der Geldmenge durch die Notenbank zu einem enormen Vermögenswachstum geführt hat, ist dieses sehr ungleich verteilt. Haushalte mit niedrigem bis mittlerem Einkommen haben Schwierigkeiten, ihre Schulden zu bedienen.

Auch wenn die Erholung der US-Wirtschaft noch hinter ihren Möglichkeiten zurückbleibt, gibt es einige gute Nachrichten: Die Unternehmenserträge sind überraschend stark gestiegen, die Banken machen nach wie vor sehr gute Gewinne und der Arbeitsmarkt ist robust. Auch wenn vorerst nichts auf eine unmittelbar bevorstehende Rezession hindeutet, halten wir sie in den kommenden zwei Jahren für wahrscheinlich.

In China läuft die Kreditschöpfung auf Hochtouren
China bleibt ein Sorgenkind: Das Kreditwachstum ist im Vergleich zum nominalen Wirtschaftswachstum deutlich zu hoch, denn Kredite werden nach wie vor zu leichtfertig vergeben. Das Trendwachstum der Wirtschaft geht zurück, zwischenzeitlich kommt es zu kurzen zyklischen Einbrüchen. In solchen Phasen – zuletzt im Jahr 2015 – reagieren die Entscheider panisch, und die Kreditvergabe wird erneut angeheizt. Das Kreditwachstum, das durch die Kreditvergabe staatlicher Banken an Unternehmen in öffentlicher Hand befeuert wird, ist jedoch unausgewogen, kommt unproduktiven Teilen der Wirtschaft zugute und hat ein gefährliches Ausmaß angenommen. Wir wollen keine Blasen vorhersagen, doch wir rechnen damit, dass China in den kommenden Jahren einen ernsthaften Wachstumsrückschlag erleiden wird. 

Vorsichtige Positionierung, europäische Finanzinstitute und Versicherungen attraktiv 
Die Bewertungsniveaus am Anleihenmarkt haben sich erhöht. Im Hochzinssegment bewegen sich die Renditeaufschläge („Spreads") gemessen an der Historie inzwischen in das erste und damit teuerste Quartil hinein. Investment-Grade-Unternehmensanleihen und Emerging-Markets-Papiere sind noch im Rückstand, ihre Spreads liegen knapp unterhalb des Medianwerts. Die Vergangenheit zeigt: solche Bewertungsniveaus können über Jahre fortbestehen. Daher besteht kein Anlass zur Panik, Anleger sollten lediglich vorsichtiger sein. Für uns sind ausgewählte Segmente des globalen Markts für Unternehmensanleihen attraktiv, zum Beispiel europäische Finanzinstitute und Versicherungen.

Die technische Situation am Markt ist derzeit relativ stabil, die Sorgen angesichts der europäischenWahlsaison sind vorerst in den Hintergrund getreten – und enorme Mengen an Liquidität warten darauf,investiert zu werden. Wir behalten unseren Fokus auf Qualität bei und suchen unter taktischenGesichtspunkten nach aussichtsreichen Gelegenheiten in bestimmten Segmenten oder Märkten.

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