Schroders: Debatte um den Brexit - die Union verlassen oder bleiben?

In unserem ersten Secular Market Forum 2016 traten der ehemalige Schatzkanzler Lord Nigel Lawson und der Kolumnist Hugo Dixon zum Schlagabtausch an. Ein Pro und Contra zum vielleicht wichtigsten Thema des Jahres: Brexit ja oder nein?

24.03.2016 | 12:41 Uhr

Die britische Regierung hat sich offiziell für einen Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union (EU) ausgesprochen. Endgültig stimmen die Briten am 23. Juni ab. Obwohl Premierminister David Cameron erklärte, dass er erfolgreich eine neue Vereinbarung mit der EU ausgehandelt hat, erfährt er Gegenwind. Einige wichtige Kabinettsmitglieder haben sich öffentlich gegen seine Empfehlung ausgesprochen. Mit dem Brexit favorisieren sie den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union.

Bedenken des Marktes, wie sich der Brexit auf die britische Wirtschaft auswirken könnte, sind am Kurs des Pfund Sterling zu sehen. Zuletzt hat die Währung extrem in ihrem Wert geschwankt. Was sind die Vorteile, wo liegen die Nachteile für die britische Wirtschaft? Schroders hat zwei prominente Vertreter aus dem Lager der Gegner und Befürworter zu einer Debatte eingeladen. Umfassendes Themenspektrum Lord Nigel Lawson, ehemaliger Schatzkanzler unter Margret Thatcher, ist heute Präsident der Konservativen für Großbritannien. Die Vereinigung unterstützt die parteienübergreifende Kampagne „Vote Leave“. Dieser Initiative sitzt Lord Lawson ebenfalls vor. Hugo Dixon ist Journalist und Vorsitzender sowie Herausgeber von InFacts. Die Journalisten-Initiative setzt sich für einen für einen Verbleib Großbritanniens im Kreis der 28 EU-Staaten ein. Keith Wade, Chefvolkswirt und Stratege bei Schroders, moderierte die Diskussion.

Im Wesentlichen ging es unseren Gästen um diese beiden Hauptthemen: die möglichen Auswirkungen eines Brexit auf den Handel Großbritanniens sowie die Auswirkungen von EU-Verordnungen auf britische Unternehmen. Außerdem stand der Grundsatz der Freizügigkeit im Fokus; und damit Verbunden die Frage, ob der ungehinderte Fluss von Waren, Dienstleistungen und Arbeitskräften wesentlich für das Funktionieren der Union ist. Sowohl Lord Lawson als auch Herr Dixon waren sich über Großbritanniens Status als weltweit führende Wirtschaftsmacht und die Bedeutung Londons als globales Finanzzentrum einig. Deutlich anders sah die Meinung dazu aus, ob die Zukunft des Landes am besten innerhalb oder außerhalb der Staatengemeinschaft zu suchen ist.

CONTRA Brexit

Hugo Dixon argumentierte, Großbritannien habe innerhalb der EU wesentlich mehr Einfluss als außerhalb. „Die Herausforderungen der modernen Welt sind grenzübergreifend: Ob es nun um die globale Erderwärmung, den Terrorismus, russischen Revanchismus oder die Probleme geht, die uns derzeit aus Syrien und Nordafrika erreichen. Großbritannien hätte bei einem Austritt keinerlei Möglichkeit mehr, sein Umfeld aktiv mitzugestalten.“ Dixon gestand zu, dass viele Herausforderungen für die Union bestehen. Dennoch sei es besser, „daran teilzuhaben, Europa zu verbessern.“

Für den Fall eines Austritts prognostizierte Dixon Durcheinander, Verwirrung und Chaos im Land. Er nannte die Ziele der „Vote Leave“-Kampagne töricht und verwies auf die Faktenlage, die für einen Verbleib in der EU spräche. Er unterstrich den relativ guten Deal zwischen Großbritannien und der Union: So verwies er auf die Sonderrechte wie den von Margaret Thatchers konservativer Regierung verhandelten Britenrabatt im Jahr 1984, die Subventionen an Landwirte, die Unterstützung von Wissenschaftlern und der regionalen Entwicklung. Nicht zuletzt erinnerte er an die Möglichkeit, Zahlungen der EU-Entwicklungshilfe gegen die eigene Zielsetzungen aufrechnen zu können. Die Subventionen machten jährlich 100 Pfund Sterling pro Person aus, „fast genauso viel wie Norwegen pro Person derzeit zahlt, um Zugang zum Binnenmarkt zu erhalten.“ Dixon kritisierte die Euroskeptiker, die beim Thema Regulierung „häufig mit Mythen“ argumentierten. Er bezweifelte, dass wir alle ohne die neuen Finanzmarktvorschriften nach der Finanzkrise sicherer wären. Sicherer ohne die neuen Eigenkapitalvorschriften in Europa? „Ich glaube nicht“, so Dixon.

In den nächsten zehn Jahren werden Großbritannien und die Finanzindustrie in der Londoner City wesentliche Nutznießer sein, sollte die EU wirklich die Kapitalmarktunion im amerikanischen Stil umsetzen.

Dixon, ehemaliger Journalist der Financial Times, widersprach dem Argument, dass es für Großbritannien mit oder ohne Mitgliedschaft einen ähnlich guten Zugang zu EU gäbe. In Anlehnung an Margaret Thatchers berühmten Ausruf bekräftigte er: „No, No, No – es geht nicht nur um zollfreien Marktzugang! In der modernen Welt geht es nicht nur um Waren und Zölle, sondern auch um indirekte Hemmnisse im Handel mit Dienstleistungen; so gibt es keine Zölle im Finanzdienstleistungssektor, hier ist aber eine Art Pass wichtig, um in anderen EU-Mitgliedstaaten tätig sein zu können.“ Dixon meinte, die Vote-Leave-Kampagne sei „dazu verpflichtet, klipp und klar darzulegen, was ein Austritt bedeutet.“ Sie habe klarzumachen, ob sie „wirklich an einem vollen Zugang zum Binnenmarkt interessiert“ und dazu „bereit, Freizügigkeit zwischen der EU und Großbritannien zu erlauben.“

Andernfalls sollten die Unterstützer erklären, welche Regelungen „für Briten wie Nigel Lawson getroffen werden sollen, die auf der anderen Seite des Kanals leben wollen“ (Anm.: Lawson lebt in Frankreich). Vote Leave müsse außerdem erläutern, ob man künftig einen Beitrag zum EU-Haushalt leisten wird. Und ob die Kampagne eine Art Pass für die City of London anstrebe, um im Finanzsektor anderer Länder tätig sein zu können. Außerdem forderte er eine klare Position dazu, ob man künftig bei Strafverfolgung und Terrorismusbekämpfung mit der EU zusammenarbeiten wolle. Dixon argumentierte, dass die Skeptiker bislang nicht vollkommen klargestellt haben, was im Fall eines Brexit tatsächlich auf dem Spiel steht: „Wenn wir die Antworten auf all diese Fragen nicht kennen und wir trotzdem für einen Austritt stimmen, besteht nicht nur ein erhebliches Risiko für einen Betrug an den Wählern. Es besteht außerdem die massive Gefahr, dass es einige Zeit nach dem Referendum zu erheblichen politischen Verwerfungen kommt, da eine neue Regierung die Lage erst mal sondieren muss – zumal David Cameron ja dann möglicherweise nicht Premierminister bleiben kann.“

Dixons Fazit stellte die Frage nach der Selbstbestimmung in den Mittelpunkt. Er fasste zusammen: „Es gibt keine absolute Kontrolle. Etwas anderes zu behaupten wäre ‚Project Fantasy‘. Wir müssen mit anderen zusammenarbeiten, um unsere Interessen vertreten zu können.“

PRO Brexit

Lord Nigel Lawson eröffnete die Diskussion, indem er erklärte, die EU sei in erster Linie ein politisches Konstrukt mit dem grundlegenden Ziel einer immer stärkeren Integration. Diese habe allerdings für ihre Mitglieder unterm Strich bislang keine wirtschaftlichen Vorteile erbracht: „Es ging schon immer um die Vereinigten Staaten von Europa, indem wirtschaftliche Instrumente für einen politischen Zweck eingesetzt wurden. Dass es sich nicht um ein wirtschaftliches Projekt handelt, wird daran ersichtlich, dass die EU den Ländern Europas unterm Strich keine Vorteile gebracht hat.“ Lawson fuhr fort: „Wenn die EU in wirtschaftlicher Hinsicht spektakulär und sehr attraktiv wäre, dann könnte die Vorstellung, einer lohnenden Mitgliedschaft überzeugen – selbst wenn man nicht von den Zielen der Unternehmung an sich überzeugt ist.“ In der Folge kritisierte er die Unterstützer eines Verbleibs, mit ihrem „Project Fear“ Angst zu schüren. Der Grund für diese Art der Kampagne sei seiner Meinung nach, dass es den Unterstützern für einen Verbleib in der EU an wirtschaftlichen Argumenten mangele.

„Sie sagen nicht, ein Verbleib bringt große Vorteile, weil es diese Vorteile schlichtweg nicht gibt.“ Lawson erinnerte die vielen Zuhörer an die wirtschaftlich uneinheitliche Erfolgsbilanz der EU seit der globalen Finanzkrise 2007/08. Er meinte: „Die meisten Länder der Welt sind nicht in der EU. Und die meisten Länder der Welt entwickeln sich wesentlich besser als diese in der EU.“ Er betonte, Großbritanniens Ausblick sollte global sein und sich ebenso stark auf die Schwellenländer wie auf die Nachbarländer in Kontinentaleuropa konzentrieren. Lawson bezweifelte, dass ein Austritt der Wirtschaft Großbritanniens schaden würde. Zusätzliche Importzölle würden die Wirtschaft nicht verkümmern lassen – zumal auch bestehende Handelsvereinbarungen zwischen Großbritannien und dem Rest der Welt ihre Gültigkeit behalten würden. Lord Lawson betonte die Bedeutung Großbritanniens für die anderen EU-Mitgliedstaaten, vor allem für Deutschlands Automobilindustrie, die „wesentlich mehr Güter und Dienstleistungen an uns verkauft als umgekehrt“.

Gesetzt den Fall, dass ein Großbritannien außerhalb der EU nicht in der Lage wäre, gute bilaterale Handelsvereinbarungen mit den übrigen kontinentaleuropäischen Ländern auszuhandeln, sollte man sich eines in Erinnerung rufen: Der Handel zwischen der EU und Staaten außerhalb der EU ist in den letzten zehn Jahren schneller gewachsen als innerhalb der EU.

Weiterhin fügte er hinzu: Man muss kein Mitglied der EU sein, um mit der EU Geschäfte zu machen – andere Länder tun das die ganze Zeit.

Die größere Bedrohung sah er in der überbordenden Regulierung. Einerseits weil sie einen Hemmschuh für die britische Wirtschaft darstellt und andererseits weil Großbritannien bisher nicht viel gegen diese Situation ausrichten konnte. „Kleine und mittelgroße Unternehmen bilden die Grundlage für unseren künftigen Wohlstand. Wenn sie von der EU-Bürokratie überrollt werden, ist das für die Wirtschaft nicht gut.“ Unterdessen riskierten die Unterstützer einer fortgesetzten Mitgliedschaft in der EU das Land zu einem quasi Kolonialstaat bei ihren Bemühungen für einen Verbleib in der EU zu reduzieren, wenn nicht zugleich die von den Vereinigten Staaten von Europa geforderte geldpolitische, fiskalische und politische Union vorbehaltlos akzeptiert würde. Lord Lawson fuhr fort: „Wir wären dann nicht Teil der EU sondern eher eine Kolonie der EU – eine meiner Meinung nach unattraktive Vorstellung.

Eine eigenverantwortlich regierende unabhängige Demokratie mit globalem Ausblick und freundschaftlichen Beziehungen zur EU erscheint mir da vorteilhafter.“ Im Hinblick auf das Thema Souveränität betonte er deren Bedeutung, denn politische Autonomie sei wichtig. Dies würde daran ersichtlich werden, ginge es bei dem Referendum im Juni um einen EU-Beitritt und nicht um einen Verbleib in der EU: „Angenommen wir wären nicht in der EU, und die Frage lautete, ob wir dieser Vereinigung beitreten wollten, die ein Ziel vertritt, das wir nicht teilen, und die außerdem ihr Haltbarkeitsdatum weit überschritten hat?“ Seiner Meinung nach wäre die Antwort unmissverständlich: „Ich bin mir ziemlich sicher, dass das britische Volk dazu ‚no, thank you‘ sagen würde.“

Seine abschließende Schlussfolgerung fiel demnach eindeutig aus: „Wenn wir der Union derzeit nicht beitreten wollen, dann sollten wir diese Union verlassen, auch wenn sich daraus kurzfristig Probleme ergeben sollten.“

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