Schroders: Die Risiken des Brexit

Großbritannien bereitet sich auf die Entscheidung über einen möglichen Austritt aus der Europäischen Union vor. Anleger weltweit wägen die damit verbundenen Chancen und Risiken ab. Eine aktuelle Studie von Schroders zeigt auf, welche Gefahren ein Brexit birgt.

29.04.2016 | 15:11 Uhr

Zusammenfassung

In unserer Studie gehen wir auf die mit einem eventuellen Brexit verbundenen Gefahren und möglichen Folgen für die britische Wirtschaft auf kurze und längere Sicht ein. Wir beschäftigen uns ebenfalls mit der wahrscheinlichen Marktreaktion in Bezug auf das britische Pfund sowie auf Aktien und Anleihen.

Bitte beachten Sie: Unsere Analyse und Argumente sollen Anlegern lediglich als Information dienen. Sie sollen weder die Abstimmung noch das Ergebnis des Referendums beeinflussen.

Einige der wichtigsten Fakten haben wir in elf Thesen zusammengefasst.

Die EU ist der größte Handelspartner Großbritanniens. Gleichzeitig ist Großbritannien auch ein sehr wichtiges Exportland für die EU. Eine starke Handelspartnerschaft muss von beiden Seiten gewahrt werden. Sie gerät allerdings in Gefahr, sollten andere Aspekte der Verhandlungen Vorrang vor dem Handel erhalten. Der Brexit könnte Großbritannien zwar die Freiheit bieten, Handelsabkommen mit Dritten zu schließen, gleichzeitig könnte das Land aber den Zugang zu Teilen des gemeinsamen Marktes verlieren – und würde mit fast absoluter Sicherheit aus der Zollunion ausgeschlossen.

Ausländische Direktinvestitionen sind eine wichtige Finanzierungsquelle für Großbritannien. Das Land ist in diesem Bereich stark in Europa engagiert, was auch umgekehrt gilt. Sollte Großbritannien im Falle eines Brexit der Zugang zum gemeinsamen Markt verschlossen bleiben, könnte das die Kapitalzuflüsse verlangsamen oder sogar zu Abflüssen führen. Der derzeitige Bestand an Vermögenswerten und Verbindlichkeiten ist sehr groß: Diese Ausgangslage dürfte sich in einem ungeordneten Szenario zu enormen Verwerfungen an den Märkten führen.

Das wahrgenommene Flüchtlingsproblem in Großbritannien wird oft der EU-Mitgliedschaft angelastet. Doch kommen die meisten Zuwanderer immer noch aus Ländern, die nicht zur EU gehören. Aus wirtschaftlicher Sicht sind die Zuwanderer, die aus der EU in das Land kommen, bereit zu arbeiten und Steuern zu zahlen und damit die Bürde der Bevölkerungsalterung mitzutragen. Eine Einschränkung der Zuwanderung bei einem möglichen Brexit würde mit beinahe hundertprozentiger Sicherheit das Trendwachstum des Landes senken und die Staatskasse noch stärker belasten.

Der Beitrag Großbritanniens zum Budget der EU stellt kein wesentliches Einsparpotenzial dar, sollte das Land für den Ausstieg aus der EU stimmen. Mit gerade einmal 0,2 % des Bruttoinlandsprodukts würde die Einsparung das „schwarze Steuerloch“ Großbritanniens kaum ändern. Sollte Großbritannien außerdem dem Vorbild Norwegens oder der Schweiz folgen, könnten letztlich sogar Aufschläge erforderlich werden.

Sollte Großbritannien den Brexit wählen, würde sich das sehr wahrscheinlich kurzfristig stagflationär auf unser Basisszenario auswirken. Aus- und inländische Investoren wären hochgradig verunsichert. Wir schätzen auch, dass das britische Verbrauchervertrauen Schaden nehmen würde und die Konsumausgaben fallen würden. Das britische Pfund dürfte weiter an Wert verlieren, was zu einem Teil dem Beitrag des Nettohandels zugutekäme. Doch insgesamt wären langsameres Wachstum und höhere Inflation die Folge. Ein Brexit würde bis Ende 2017 das Bruttoinlandsprodukt gegenüber unserem Basisszenario um 0,9 % senken und die Inflation um 0,6 % steigen lassen. In diesem Umfeld dürfte die Bank of England den Zinssatz noch länger niedrig belassen.

Es besteht eine Chance von eins zu vier, dass der Vertrauensverlust viel stärkere Kapitalabflüsse verursacht. Das wiederum würde das Pfund kräftig in den Keller schicken, sodass die Bank of England gezwungen wäre, die Zinsen zur Verteidigung der Währung zu erhöhen. Die enormen britischen Doppeldefizite verdeutlichen die unausgewogene Wirtschaft und machen sie in hohem Maße anfällig für eine Zahlungsbilanzkrise. Die Folgen für die Wirtschaft wären schwerwiegender als unser Brexit-Szenario – anfangs stagflationär, in den Folgejahren allerdings hochgradig deflationär.

Langfristige Auswirkungen auf die britische Wirtschaft ergeben sich aus dem Maß, wie viel Zugang zum gemeinsamen Markt sich Großbritannien erhalten kann, welche Folgen die Politik auf die Flüchtlingsströme hat und wie viel die britische Regierung an Aufschlägen sparen kann. Die meisten Untersuchungen skizzieren eine ganze Reihe möglicher Szenarien. Das wahrscheinlichste Ergebnis wäre längerfristig ein niedrigeres mögliches Wachstum als bei einem Verbleib in der EU.

Einschränkungen bei der Zuwanderung aus der EU könnten dazu führen, dass der britische Arbeitsmarkt weniger flexibel auf Nachfrage reagieren kann. Damit erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit stärker ausgeprägter Lohn-, Inflations- und Zinszyklen. Eine zyklischere Wirtschaft würde nicht nur zu häufigeren Rezessionen führen. Auch könnten ausländische Investoren angesichts stärker schwankender Erträge einen Abschlag für britische Vermögenswerte verlangen.

Ein Brexit-Szenario dürfte dazu führen, dass das britische Pfund noch weiter an Wert verliert. Unsere Analyse zeigt, dass eine weitere Abwertung bei einem Brexit wahrscheinlich ist, nachdem die Währung in den vergangenen Monaten bereits den stärksten Fall seit der Finanzkrise hinnehmen musste. Unsere Analyse deutet allerdings auch darauf hin, dass das Pfund wieder steigen könnte, wenn die Briten für einen Verbleib stimmen. Denn viele Anleger haben bereits begonnen, ihre Engagements beim Pfund abzusichern.

Die Aussichten für britische Aktien sind bei einem Brexit durchwachsen. Ein großer Teil der Umsätze im britischen Index für große Kapitalgesellschaften (Large Caps) werden mit Ländern außerhalb Großbritanniens und der USA erzielt. Bei einer Abwertung des Pfunds würde der Gewinn in Pfund steigen, was diesen Unternehmen zugutekäme. Kleinere und mittlere Gesellschaften hingegen sind stärker in Großbritannien sowie der EU engagiert und könnten sich als Folge unterdurchschnittlich entwickeln.

Auch die Aussichten für Anleihen sind bei einem Brexit gemischt. Die Spreads bei Unternehmensanleihen könnten sich weiten, da Anleger einen höheren Aufschlag für die Gefahr von langsamerem Wachstum und höherem Ausfallrisiko verlangen. Bei Staatsanleihen hingegen dürfte die inländische Nachfrage nach einem „sicheren Hafen“ zunehmen.

Eine Entscheidung für den Brexit hätte auch größere Auswirkungen für den Rest der Europäischen Union, die damit einen großen liberalen Mitgliedsstaat verlöre. Außerdem käme die britische Regierung durch ein solches Ergebnis ins Schlingern, während die schottischen Nationalisten wahrscheinlich auf ein neues Referendum für eine Abspaltung drängen würden.

Es könnte Jahrzehnte dauern, bis wir wissen, was die wahren Kosten und Vorteile eines Brexit sind. Doch schon heute scheinen die Anleger entsprechende Vorsorgemaßnahmen zu treffen.

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