Barings: Verkannte Anlagechancen im Energiesektor

Die Märkte beziehen eine zukünftige Erholung des Ölpreises oder eine Verbesserung von Erträgen der Ölindustrie nicht mit ein. Das ist unseres Erachtens übermäßig pessimistisch und führt dazu, dass eine potenzielle Chance übersehen wird.

10.11.2015 | 13:57 Uhr

Ein realistischer Blick auf das Wachstum

Mit Blick auf den Ölsektor ist der Pessimismus so weit verbreitet, dass der Markt faktisch ein Nullwachstum für den Ölpreis und keine Verbesserungen der Erträge einpreist, die die Ölindustrie in Zukunft generieren kann.1 Die Untergewichtung im Rohstoffsegment in der Allokation von Vermögensverwaltern befindet sich fast auf einem Spitzenniveau, während sich die Short-Positionen von physischen Rohstoffspekulanten auf einem Allzeithoch bewegen.2

Wir sind der Ansicht, dass diese düstere Einschätzung übermäßig pessimistisch ist, und dass viele Marktteilnehmer die mitunter größte potenzielle Chance im Rohstoffaktiensegment der heutigen Zeit übersehen könnten.

Tatsächlich sind viele Unternehmen bereits aktiv geworden. Sie senken Kosten, verschieben kostenintensive Kapitalprojekte, rationalisieren Bestandswerte und konsolidieren. Die Akquisition der BG Group durch Shell ist ein erwähnenswertes Beispiel. Die Transaktion, die noch nicht vollständig abgeschlossen ist, wird zur Realisierung von Kostensynergien beitragen und Shell, mithilfe der Vermögensgegenstände von BG in Brasilien, zu einer effizienteren Produktionsbasis verhelfen.

Kosten senken, Angebot verringern

Manche Ölgiganten haben strengere Ertragskriterien eingeführt. Eine erhebliche Anzahl an Projekten mit prognostizierten Renditen von weniger als 15% zu einem Preis von 70 USD pro Barrel wurden ohnehin bereits zurückgestellt.3 Unseren Analysen zufolge dürften sich daraus zwei bedeutende Konsequenzen ergeben. Erstens zeigt es, dass die Erträge nicht auf den niedrigen Niveaus bleiben werden. Wenn Unternehmen unattraktive Projekte einstellen und Kosten senken, wird die Profitabilität unter sonst gleichen Umständen unweigerlich steigen, sogar bei dem aktuellen Preis von 46 USD pro Barrel für Brent-Rohöl.4

Zweitens wird die Produktionsprognose der Unternehmen für Öl zurückgehen. Unseren Schätzungen zufolge wird die zukünftige globale Produktion über die kommenden 24 bis 36 Monate um 5,5 Mio. bis 6,0 Mio. Barrel pro Tag sinken. Dabei darf man nicht vergessen, dass die Ölproduktion auf natürliche Weise zurückgeht, wenn die Ausgaben gestoppt werden.

Außerdem sollte man auch die Auswirkungen der Anpassung im US-Festlandsektor berücksichtigen. Die Anzahl der aktiven Förderanlagen ist alleine in diesem Jahr um mehr als die Hälfte auf aktuell 578 zurückgegangen.5 Daher erwarten wir für 2016 einen jährlichen Rückgang der US-Festlandproduktion von möglicherweise 500.000 Barrel pro Tag. Das markiert einen deutlichen Wandel für eine Ölquelle, die in den letzten Jahren den Preistrend maßgeblich beeinflusst hat. Der Ölpreis würde davon eindeutig profitieren.

Der wahre Wendepunkt wird unserer Meinung nach jedoch eintreten, wenn mehr Produzenten die Notwendigkeit von Investitionskürzungen erkennen. Einige Unternehmen haben die Dauer des Ölpreisrückgangs falsch eingeschätzt und ihre Investitionsausgaben beibehalten, um die Fördermenge sogar während des absoluten Tiefstands des Ölpreises aufrechtzuerhalten.

Da nun nach und nach die Ergebnisse eines schwierigen dritten Quartals veröffentlicht werden und die Planung für 2016 im Dezember beginnt, werden diese Unternehmen in den kommenden Monaten unseres Erachtens ihre Ausgaben kürzen und die Ölproduktion für nächstes Jahr zurückfahren.

Internationale Dimensionen

Abgesehen von den Unternehmen hängt die Anpassung des Ölangebots auch von den Maßnahmen der großen OPEC-Produzenten  ab, vor allem von Saudi-Arabien (OPEC ist die Organisation erdölexportierender Länder). 2015 hat Saudi-Arabien die Produktion erhöht und den Markt überflutet, um die Preise zu drücken und neue Wettbewerber, die nicht der OPEC angehören, vom Markt zu drängen. Das Einführen einer größeren Angebotsdisziplin innerhalb der OPEC selbst könnte ein weiteres Hauptziel sein.
Andererseits gehen wir nicht davon aus, dass die Saudis an einer langen Phase mit niedrigen Ölpreisen interessiert sind. Irgendwann sollte sich das Angebotsniveau schrittweise und systematisch normalisieren. Ein solches Szenario würde unserer Meinung nach eine mögliche Gefahr für das Angebot durch iranisches Öl eindämmen. Der iranische Ölminister verkündete bei Aufhebung der Sanktionen eine Ankurbelung der Fördermenge um 1 Mio. Barrel pro Tag. Das ist unserer Ansicht nach nicht genug, um den erwarteten Produktionsrückgang auszugleichen, insbesondere wenn sich die saudische Fördermenge normalisiert.

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