Bei europäischen Aktien passt momentan so ziemlich alles: Die Konjunktur erholt sich auf breiter Front und im ersten Quartal hat die Wirtschaft in Europa wie bereits im Gesamtjahr 2016 die größte Volkswirtschaft der Welt, die USA, überflügelt. Dennoch sind die Bewertungen im langjährigen Vergleich und gegenüber den USA nicht übertrieben.
14.06.2017 | 12:04 Uhr
Und wie beinahe alle anderen Vermögenswerte sind auch europäische Aktien attraktiv im Vergleich zu Anleihen. Bisher ließ noch das Gewinnwachstum zu wünschen übrig. Aber auch in dieser Disziplin belegt Europa mittlerweile einen Spitzenplatz.
Eher Ausnahmen als die Regel
All das hat sich schon seit einigen Monaten herumgesprochen und ist einer der Gründe für die bessere Kursentwicklung europäischer Aktien seit Jahresbeginn. Selbst der Euro hat gegenüber dem US-Dollar zugelegt von rund 1,05 zum Jahreswechsel auf 1,12 bei Redaktionsschluss, wie Grafik 1 zeigt. Etwas beruhigt hat sich offenbar auch die politische Lage nach dem überraschenden Brexit-Votum im letzten Sommer und der Wahl Donald Trumps in den USA im November. Im Nachhinein könnte sich mein Kommentar vom Januar, dass „Großbritannien und die USA am Ende des Jahres möglicherweise die großen Ausnahmen“ mit Blick auf Wahlerfolge der Populisten sind, als zutreffend erweisen.
Quelle: Thomson Reuters DataStream
Inzwischen sind die politischen Turbulenzen etwas abgeflaut. Und lässt man die möglicherweise tragische Brexit-Entscheidung der Briten einmal beiseite, stellt sich die Frage: Wie lange hält das neuerliche Interesse an Europa an? Ein mögliches Störfeuer ist der allmähliche Ausstieg der Europäischen Zentralbank (EZB) aus ihrer quantitativen Lockerung. Aber schon jetzt ist klar, dass dieser nur sehr langsam vonstattengehen wird. Nach wie vor erholt sich Europas Wirtschaft nur gemächlich. Zudem liegt die Inflation, von Britannien einmal abgesehen, weiterhin deutlich unter dem EZB-Ziel von „nahe, aber unter“ 2%. Zugleich müssen die schädlichen Folgen von Negativzinsen vermieden werden.
Was sonst könnte den Markt vom aktuellen Kurs abbringen?
Ohne den Wahlausgang in Großbritannien zu kennen, bleibt die Entwicklung im Vereinigten Königreich das Einzige, was das ansonsten rosige Bild für Europa trüben könnte. Nach Auslösen des inzwischen berühmt berüchtigten Artikel 50 rollt der Brexit-Zug weiter, auch wenn er durch die Unterhauswahl zwischenzeitlich etwas in den Hintergrund gedrängt wurde. Immer noch hat Britannien keine Antwort auf die Frage, welche Art von Brexit man denn nun will oder besser gesagt, welcher denn wirtschaftlich vertretbar wäre. Sobald die hohen Schulden und die Folgen der Einwanderungspolitik sowie eines schwachen Pfund ihren Tribut fordern, dürfte der britische Markt noch stärker gegenüber seinen europäischen Pendants ins Hintertreffen geraten.
Welche Unternehmen werden profitieren?
Mit Ausnahme Großbritanniens sieht der wirtschaftliche Ausblick für die anderen Länder Europas gut aus. Dort wird man vermutlich über Steuersenkungen Anreize für mehr Investitionen schaffen. Ein solches Umfeld dürfte Investitionsgüterfirmen wie Siemens, Legrand und Atlas Copco zugutekommen. Hersteller von Luxusgütern und Autos, von denen viele in diesem Jahr bislang kräftige Kurssprünge gemacht haben, könnten sich aufgrund der verhaltenen Verbrauchernachfrage schwertun. Durchwachsen ist seit Jahresbeginn der Kursverlauf bei Finanzaktien, denn Versicherungen hinken Banken bislang hinterher. Das ist eher ungewöhnlich, wenn man bedenkt, wie wichtig langfristige Ersparnisse für die Altersvorsorge sind.
Für die europäischen Märkte wäre ein ruhiger Sommer ohne Turbulenzen wie das Brexit-Votum eine echte Wohltat. Derzeit jedenfalls scheinen die Weichen für weitere Kursgewinne an den Märkten des alten Kontinents bis zum Jahresende gestellt.
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