Die Dividendensaison im
deutschen Leitindex DAX startet. Schon am 13.2. stimmen die Aktionäre auf der
Hauptversammlung von Schwergewicht Siemens über wichtige Themen wie etwa
Dividendenzahlungen ab. Nach und nach folgen die weiteren 39 Unternehmen des DAX40.
Zeit, sich Gedanken über eine dividendenorientierte Anlagestrategie zu machen.
Angesichts wieder sinkender Leitzinsen kann es für Anleger interessant sein, in
Aktien mit hohen Dividendenrenditen zu investieren. Doch so attraktiv eine hohe
Rendite ist, blind loszukaufen empfiehlt sich nicht. Erst sollten Anleger sich
einiger Mythen über Dividendenperlen bewusst werden.
Mythos 1: Dividendentitel bieten Ertrag bei weniger
Risiko
Eine verbreitete Vorstellung ist, dass Unternehmen mit hohen
Ausschüttungen oft reife und wenig zyklische Geschäftsmodelle haben. Damit
verbunden ist die Erwartung, eine Dividendenstrategie sei weniger
schwankungsanfällig als etwa die Anlage in Wachstumstitel. Dem ist nicht so.
Das Chance-Risiko-Profil einer Dividendenstrategie ist verglichen mit
Wachstumsaktien nicht vorteilhafter. Das zeigt die so genannte Sharpe Ratio.
Diese Kennzahl misst, wie stark ein Anleger für das Eingehen von Risiken
belohnt wird. Je höher sie ist, desto eher werden eingegangene Risiken
„belohnt“. In den letzten sechs Jahren lag die Sharpe Ratio des MSCI Europe
High Dividend Yield-Index etwas unter 0,8, während sie für den MSCI Europe
Growth Index etwas darüber lag. Auch über einen längeren Zeitraum ab 2007 –
also noch vor der Finanzkrise 2008/09 – liegt Growth leicht vorn. Das gleiche
Ergebnis zeigt sich bei einem Blick auf US-Werte.
Umgekehrt stehen aber Dividendenperlen den Wachstumsaktien
in nichts nach, was das Risiko von Kursrückschlägen betrifft. Das lässt sich
gut am sogenannten Maximum Drawdown ablesen, der zeigt, wie hoch der maximale
Kursverlust innerhalb eines bestimmten Zeitraums war. Der Vergleich belegt,
dass Dividendenperlen höhere Kursverluste als Wachstumsaktien erleiden können.
Das überrascht, sind doch Wachstumsaktien grundsätzlich höheren
Bewertungsrisiken etwa aufgrund von Zinsveränderungen ausgesetzt. Der Grund ist,
dass ein Großteil ihrer Gewinne erst weit in der Zukunft erwirtschaftet wird.
Das ist bei den Dividendenaristokraten nicht der Fall. Für den Anleger heißt
das: Wer auf regelmäßige Ausschüttungen setzt, muss womöglich ein etwas weniger
vorteilhaftes Chance-Risiko-Profil in Kauf nehmen. Zumindest zeigt dies der
Blick in den Rückspiegel.
Mythos 2: Unternehmen mit hoher Dividende sind
ertragsstark
Nicht alle Unternehmen mit hohen Ausschüttungen sind ertragsstark. Denn eine
hohe Dividendenrendite kann die Folge starker Kursverluste durch eine
Verschlechterung der Ertragslage sein. Hat das Unternehmen seine Ausschüttung
noch nicht adäquat reduziert, zeigt sich optisch eine hohe Rendite. Fehlt es
dauerhaft an freien Mittelzuflüssen und Ertragskraft, gerät die Dividende in
Gefahr.
Ein warnendes Beispiel sind der Telekommunikations- und der
Versorgersektor. Zwar bieten beide Branchen heute wieder interessante und
vergleichsweise risikoarme Ausschüttungen. Doch als Folge langfristiger
Veränderungen ihres Geschäftsumfelds haben diese Sektoren an der Börse vor bald
zwei Dekaden erhebliche Kursverluste eingefahren, bis sie sich stabilisieren
konnten.
Solche Ausreißer sind immer möglich. Um derartige Einbußen im
Dividendenportfolio besser verkraften zu können, ist eine breite Diversifikation
angezeigt.
Mythos 3: Anleiherenditen toppen Dividendenrenditen
Seit der Zinswende bietet der Anleihemarkt wieder attraktive Renditen. Aber
auch auf der Aktienseite sieht das Bild erfreulich aus: In Europa liefern der
Bank-, Finanz- und Energiesektor derzeit attraktive Dividendenrenditen sowie
Aktienrückkäufe, so dass eine Gesamtrendite aus beidem von deutlich über fünf
Prozent im Rahmen des Möglichen liegt.
Das attraktive Renditepotenzial zeigt sich auch auf
Indexebene, gerade in Europa, wo die Bewertungen von dividendenstarken Aktien
vergleichsweise niedrig sind. Der MSCI Europe High Dividend-Index rentiert auf
Basis der Schätzungen für das laufende Jahr etwa 5,2 Prozent und übertrifft
damit die Rendite von rund 3,3 Prozent bei Unternehmensanleihen mit Investment
Grade.
Mythos 4: Dividenden sind schnell verdientes Geld
Dass Dividenden einen bedeutenden Teil der Gesamtrendite etwa im DAX-Index
ausmachen, steht außer Frage – werden doch in die Kursentwicklung automatisch
Dividenden einberechnet. Für dividendenstarke Papiere spielt die Ausschüttung
als Komponente der Gesamtrendite eine wesentliche Rolle. Während bei
Wachstumswerten die Wertsteigerung vornehmlich aus dem Kursgewinn kommt, speist
sie sich bei Dividendenperlen vornehmlich aus der Gewinnbeteiligung. So fuhr
der MSCI Europe High Dividend-Index in den vergangenen zehn Jahren – seit
Anfang 2014 – jährlich rund 2,7 Prozent Rendite in Form von Kursgewinnen ein.
Unter Einrechnung der Dividende ergibt sich aber eine Gesamtrendite von knapp
acht Prozent jährlich. Das heißt: Kursfeuerwerke sind bei dividendenstarken Titeln
kaum zu erwarten.
Mit Blick auf die Kursentwicklung spielt die Musik heute etwa in den Bereichen
Künstliche Intelligenz und Digitalisierung – Branchen mit niedrigen
Dividendenrenditen. Mit Dividendentiteln lässt sich nicht das schnelle Geld
machen. Die Papiere entfalten ihre Vorteile eher über einen längeren
Anlagehorizont, da der größere Performancebeitrag aus Dividenden und weniger
aus Kursgewinnen kommt. Es ist Geduld gefragt.
Mythos 5: Die Sektorauswahl ist bei Aktien mit hohen Ausschüttungen
zweitrangig
Wer diesen Mythos glaubt, dem könnte viel Ertrag entgehen. Wegen der
längerfristigen Ausrichtung einer Dividendenstrategie ist es ratsam, die
fundamentalen Entwicklungen auf Sektorebene genau im Blick zu behalten. Denn es
haben sich in den vergangenen Jahren Verschiebungen zwischen dividendenstarken
Sektoren ergeben.
Während Autowerte an Bedeutung verloren, bildeten sich im
europäischen Bank- und Versicherungssektor attraktive Dividendenzahler heraus.
Mit der Zinswende haben Bankaktien eine Renaissance erlebt und bieten dank
ihrer guten Kapitalausstattung weiter attraktive und verhältnismäßig stabile
Ausschüttungen.
Zudem haben große diversifizierte Erstversicherer ein höheres Bewertungsniveau
verdient, weil der Markt die Qualität der Geschäftsmodelle unterschätzt.
Versicherungen für Wohngebäude- oder Autos sind „Basiskonsumgüter“, die relativ
konstant nachgefragt werden. Zudem hat der Sektor in den vergangenen Jahren
viele externe Schocks verdaut und trotzdem Rekordgewinne erzielt, bei
gleichzeitig starken Bilanzen. Viele Versicherer haben ihren Investoren
zugesagt, ihre Ausschüttungsstrategie so zu gestalten, dass das aktuelle
Dividendenniveau auch in schwierigeren Jahren beibehalten werden kann.
Im Gesundheitssektor richtet sich der Blick vor allem auf Unternehmen, die
Innovationen auf den Markt bringen, wie etwa Abnehmpräparate oder neuartige
Krebstherapien. Jedoch birgt eine Änderung der Rahmenbedingungen im wichtigsten
Pharmamarkt USA Risiken für europäische Pharmaunternehmen.
Auch im Energiesektor ist das Bild nicht uneingeschränkt positiv. Er bietet
hohe Ausschüttungen, steht aber durch den Wandel der Geschäftsmodelle hin zu
weniger treibhausgasreichen Energieformen unter Druck. Eine sinkende Bedeutung
des Cash-Flow-starken Öl- und Gasgeschäfts kann langfristig den Spielraum für
Dividenden begrenzen.
Mythos 6: Dividenden steigen kontinuierlich
Selbst bilanzstarke Unternehmen können ab und zu gezwungen sein, ihre
Ausschüttungen zu senken. In der Marktbreite gingen während der Finanzkrise der
Jahre 2008/09 oder während der Coronakrise ab 2019 die Dividendensummen zurück.
Für die anstehende Dividendensaison auf Basis der Bilanzen des Jahres 2024 ist
das Bild durchwachsen. Im DAX dürfte die Ausschüttungshöhe leicht sinken, was
auch am Autosektor liegt. Auf europäischer Ebene signalisiert der
Dividenden-Terminkontrakt für 2025 auf den Euro STOXX 50-Index eine
stagnierende Ausschüttungssumme. Dennoch ist das Wachstum der Dividenden über
die Jahre nicht gering: Der Euro STOXX 50 Dividend Point-Index spiegelt die
Dividenden in Form von Indexpunkten. Von 2014 bis 2024 stieg er um etwa 46
Prozent. Hinzu kommt, dass Aktienrückkäufe in Europa seit einigen Jahren stetig
zunehmen. Sie sind nur eine andere Form der Kapitalrückführung an die
Aktionäre. Anders als bei der direkten Gewinnbeteiligung steigt der Anteil des
Gewinns, der auf die verbliebenen Aktien verteilt wird.
Fazit
Nicht nur die Dividende zählt. Ob eine Dividendenstrategie die richtige Wahl
ist, hängt vom Ziel des Anlegers ab. Dividendentitel sollten sorgfältig
ausgewählt werden, um unliebsamen Überraschungen vorzubeugen. Denn das Mehr an
verlässlichen Gewinnbeteiligungen in Form von Dividenden erkaufen sich
Anleger mit einem geringeren Kurspotenzial.
Ihre volle Kraft entfaltet eine Dividendenstrategie daher erst über einen
längeren Zeitraum. Für Dividendenjäger sind Sektoren interessant, die Aussicht
auf Stabilität bringen. Dazu zählen derzeit Versicherer und Pharmakonzerne
sowie günstig bewertete, werthaltige Branchen wie Banken. (pg)
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