Wider die populistische Erpressung der EU | |
07/2017 | |
Clemens Fuest | |
Ifo-Institut (Website) |
Wenn es um die Missachtung von Regeln für Staatsschulden oder die Abwicklung von Banken geht, hat ein Argument in den letzten Monaten Hochkonjunktur: Ausnahmen seien nötig, um den Populisten entgegen zu wirken
25.07.2017 | 13:31 Uhr
Wenn es darum geht, die Missachtung von europäischen Regeln für Staatsschulden oder die Abwicklung von Banken zu rechtfertigen, hat ein Argument in den letzten Monaten Hochkonjunktur: Um den populistischen Euro- und EU-Kritikern nur keinen weiteren Auftrieb zu geben, sei es notwendig, bei der Durchsetzung europäischer Vereinbarungen auch einmal Ausnahmen zu machen. Die Anwendung dieses Argumentationsmusters ist vielfältig.
So erhielt Frankreich im Vorfeld der französischen Präsidentschaftswahl mildernde Umstände, obwohl es seit Jahren gegen europäische Vereinbarungen zum Abbau der Staatsverschuldung verstoßen hat. Es wurden immer wieder neue Fristen gewährt, eigentliche fällige Sanktionen vertagt, aus Angst, Wasser auf die Mühlen des Front National zu leiten.
Mit ähnlichen Argumenten war schon Spanien vor der letzten Wahl privilegiert worden. Die jüngste Genehmigung von Staatshilfen zur Rettung der italienischen Banken ist maßgeblich von der Angst getrieben, der europafeindlichen Lega Nord und der Fünf-Sterne-Bewegung keine neuen Anti-Brüssel-Argumente zu liefern. Dafür wird sogar in Kauf genommen, dass die gerade erst in Kraft getretenen Regeln der Europäischen Bankenunion in ihrer Glaubwürdigkeit beschädigt werden.
Aus dem Europäischen Parlament ist immer wieder zu hören, man sollte Staaten für die Einhaltung europäischer Vereinbarungen mit Transfers belohnen, statt Überschreitungen zu sanktionieren. Das ist ungefähr so, als würde man künftig das Unterlassen von Ladendiebstahl belohnen, statt den Diebstahl zu bestrafen.
In dem gerade veröffentlichten Reflexionspapier der Europäischen Kommission zur Zukunft der Europäischen Währungsunion kommen Forderungen nach Strukturreformen wie der Flexibilisierung von Arbeitsmärkten, dem Abbau überzogener Staatsausgaben oder der Beseitigung von Marktzugangsschranken nicht vor. Stattdessen ist das Papier reich an Ideen für neue Absicherungs- und Finanzierungsinstrumente zugunsten Südeuropas. Offenbar hat die Sorge vor den Populisten den Autoren in der Kommission die Hand geführt.
Aber nicht nur für die Europäische Kommission ist dieses Argumentationsmuster inzwischen zu einem Leitmotiv geworden. Auch das mit Blick auf die ökonomischen Daten nicht mehr verständliche Zurückschrecken der EZB vor einer Normalisierung der Geldpolitik wird immer wieder mit politischen Unsicherheiten begründet. Im Klartext heißt dies, dass die EZB deshalb ihre riskante Negativzinspolitik in Kombination mit umfangreichen Anleihekäufen länger als nötig beibehält, weil man hofft, dass die historisch günstige Refinanzierung den gemäßigten Parteien in Südeuropa hilft, an der Macht zu bleiben.
Im Kern laufen solche politisch motivierten Entscheidungen darauf hinaus, dass Europa sich der Erpressung durch Populisten beugt und deren Erpressungsstrategien sogar noch verstärkt. Die Konsequenz aus Sicht vernunftbegabter Wähler ist völlig klar: Es ist für Wähler in Südeuropa rational, für eine populistische Partei zu stimmen. Selbst wenn Wähler in Italien genau erkennen, dass etwa das wirtschaftspolitische Programm der Fünf-Sterne-Bewegung ökonomischer Unfug ist, kann sich eine Unterstützung dieser Partei aus der italienischen Perspektive dennoch lohnen. Das Kalkül ist, dass größere Stimmanteile für die EU-Gegner in Südeuropa der beste Weg sind, um Nordeuropa zu Konzessionen, Regelaufweichung und letztlich Transfers zu zwingen. Ähnlich ist es dann für nordeuropäische Wähler rational, ihrerseits Populisten zu wählen, die dagegenhalten.
Dass die EU der populistischen Erpressung nachgibt, ist keine Strategie, die das Überleben des Euros und der EU sichern kann. Erstens wird dadurch die Glaubwürdigkeit des mühsam verbesserten Regelwerks auf den Gebieten der fiskalischen Überwachung und Bankenunion geschädigt. Vor diesem Hintergrund weitere Schritte in Richtung Risikoteilung durchzuführen, wird für die potentiellen Zahlerländer unmöglich gemacht. Zweitens untergräbt dieses Verhalten das Prinzip, dass es solidarische Hilfe nur gegen Reformen und Autonomieverlust gibt. Und drittens ist das vermeintliche Programm zur Eindämmung der Populisten in Südeuropa die beste Wahlkampfmunition für die EU-Kritiker in Nordeuropa. Die Unterstützung für das europäische Projekt, die angeblich in Südeuropa bewahrt wird, wird auf diese Weise in Nordeuropa zerstört.
Was kann Europa tun, um nicht dauerhaft Opfer der populistischen Erpressung zu werden? Kurzfristige, wahlstrategische Überlegungen sollten bei der Auslegung von Regeln in der Eurozone künftig keine Rolle mehr spielen. Um das zu erreichen, sollten Entscheidungen über den Stabilitätspakt in unabhängige Institutionen übergehen. Außerdem muss es für die Eurozone endlich einen Weg für die geordnete Insolvenz von Eurostaaten und als Ultima Ratio für einen Austritt aus der Eurozone ohne Systemkrise geben. Denn genau in diesem Systemrisiko ist das Erpressungspotenzial der Populisten begründet, dem Brüssel heute kaum etwas entgegen zu setzen hat. Letztlich können radikale Populisten nur durch die Erkenntnis der Wähler gestoppt werden, dass deren Rezepte Wohlstand und Frieden gefährden, und nicht dadurch, dass europäische Institutionen es aufgeben, europäisches Recht auch durchzusetzen.
Clemens Fuest
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts
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