Erneutes Aufflammen der Spannungen in Eurozone im Verlauf von 2012 absehbar

Die Eurozone hat durch die 1 Billion Euro aus den LTRO-Geschäften der EZB eine Atempause bekommen. Nach Einschätzung von Léon Cornelissen, Chefökonom von Robeco, ist es jedoch nur eine Frage der Zeit, bis die Schuldenkrise abermals hochkocht.

30.03.2012 | 11:08 Uhr

Griechenland ist ungeschoren davongekommen. Nicht nur haben seine privaten Gläubiger dem Tausch ihrer alten Anleihen gegen neue Papiere mit längerer Laufzeit zugestimmt, das Land hat dank dieser Vereinbarung auch die Kriterien für sein zweites Hilfepaket erfüllt. Der Geldfluss hat mittlerweile eingesetzt: 1,6 Mrd. EUR vom IWF und 5,9 Mrd. EUR aus dem europäischen Rettungsschirm EFSF sind zuletzt in die leeren Kassen des Landes geflossen.
 
Noch einmal davongekommen – zumindest vorerst. Unglücklicherweise sind die Grundprobleme in Griechenland und in der Schuldenkrise der Eurozone insgesamt noch immer ungelöst. „Eine endgültige strukturelle Lösung steht nach wie vor aus“, sagt Léon Cornelissen. „Wir rechnen damit, dass die Spannungen im weiteren Jahresverlauf wieder zunehmen.“
 
Vorerst aber erholen sich die Märkte in der jüngsten trügerischen Ruhe. Aktien sind auf ihrem höchsten Stand seit 2008, und bei sicheren Anlagen wie Staatsanleihen fand ein Ausverkauf statt, wie der Zinsanstieg für zehnjährige Staatsanleihen von unter 2 % auf 2,35 % zeigt.
 
Gute Nachrichten beruhigen die Märkte
Nicht nur der erfolgreiche Ablauf der griechischen Umschuldung wiegt die Märkte in trügerischer Sicherheit. Gute Nachrichten kommen von mehreren Fronten.
 
Am wichtigsten waren die Schritte der EZB, die sich das Verdienst zurechnen kann, die Eurozone beruhigt zu haben. Dazu hat sie die kränkelnden Banken im Süden Europas durch ihre beiden langfristigen Refinanzierungsgeschäfte (LTROs) mit Liquidität überflutet. Banken profitieren von dreijährigen Darlehen zu einem Zinssatz von nur 1 % mit Anforderungen an Sicherheiten, die alles andere als streng sind. Alles in allem haben Banken aus den beiden LTROs 1 Billion EUR erhalten.
 
Liquidität der EZB hat Risikoprämie für gefährdete Staatspapiere gesenkt
Mit diesem billigen Geld haben Banken in Südeuropa zum Teil kurzlaufende Anleihen ihrer eigenen Regierungen gekauft. „Ein Effekt der EZB-Strategie ist somit, dass die Risikoprämie für systemrelevante Staatspapiere gesunken ist“, so Cornelissen.
 
Das gilt besonders für Italien. Ein gutes Beispiel sind die Zinsen für dreijährige italienische Anleihen. Sie sind von unhaltbaren 7,7 % im November 2011 auf 2,5 % Anfang März gefallen.
 
Das Ergebnis der beiden langfristigen Refinanzierungsgeschäfte ist also, dass die Wahrscheinlichkeit einer größeren Bankenpleite in der Eurozone deutlich gesunken ist. „Eine Finanzkrise wurde abgewendet, zumindest bis auf Weiteres“, sagt Cornelissen.
 
Gute Nachrichten aus Deutschland
Auch aus Deutschland kommen gute Nachrichten. Cornelissen merkt an, dass die stillschweigende Unterstützung für das Vorgehen der EZB auf Seiten der deutschen Politik ein gutes Zeichen ist. Das war alles andere als unvermeidlich.
 
Zudem hat Deutschland erstaunlich starke Unterstützung für den vorgeschlagenen Stabilitäts- und Koordinierungspakt erhalten, der die Haushaltsdisziplin in der Eurozone stärken soll. Alle EU-Staaten, ausgenommen die Tschechische Republik und Großbritannien, haben ihre Absicht erklärt, diesen Vertrag zu unterzeichnen.
 
Das ist noch nicht alles. Auch auf der Angebotsseite der Wirtschaft in Südeuropa gibt es Fortschritte in Form von Arbeitsmarktreformen in Spanien und Italien. „Das reicht nicht aus, aber es ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung, denn damit kommt die Eurozone einer optimalen Währungszone näher“, so Cornelissen.
 
Kopfschmerzen zuhauf in ganz Europa
So weit, so gut. Aber all das kommt dem Betrachter bekannt vor. Es gab immer wieder eine Entspannung an den Märkten, nachdem ein scheinbarer Durchbruch in der Lösung der Krise erzielt worden war. Aber jedes Mal setzte die Panik wieder ein, sobald klar wurde, dass es sich nur um eine Atempause handelte. Auch diesmal, meint Cornelissen, ist es nicht anders. „Es gibt eine Reihe ungelöster Bedrohungen. Durch jede einzelne kann die Krise erneut aufflammen“, sagt er.
 
Weitere Umschuldung für Griechenland früher oder später unausweichlich
Die erste Bedrohung geht von Griechenland aus. Der jüngste Schuldenschnitt war zwar ein großer Erfolg, aber Griechenland hat nach wie vor keinen nachhaltigen Weg eingeschlagen. „Wir glauben: Griechenland braucht einen weiteren Schuldenschnitt, wahrscheinlich binnen Jahresfrist, womöglich sogar in den nächsten drei Monaten“, so Cornelissen. Es könnte so schnell gehen, da die Troika, die die Rettungsaktion für Griechenland beaufsichtigt (EU, IWF und EZB), die Fortschritte mit vierteljährlichen Besuchen überprüft.
 
Eine weitere Unabwägbarkeit mit Blick auf Griechenland sind die bevorstehenden Wahlen, die entweder am 29. April oder 6. Mai stattfinden sollen. Für viele Wähler gleichen die Wahlen einem Referendum darüber, ob das Land beim Euro bleiben und einen langjährigen Sparkurs in Kauf nehmen soll.
 
Eine weitere Rettungsaktion für Portugal steht bevor
Zweitens: Portugal. Die LTROs haben zwar die Risikoprämien für die meisten systemrelevanten Staatsanleihen erfolgreich gesenkt, aber nicht für Portugal. „Portugal ist der nächste Kandidat für eine Rettungsaktion“, meint Cornelissen.
 
Als Nächstes ist Irland an der Reihe. Irland hat ein Referendum über den neuen Stabilitätspakt angekündigt. Irland würde nicht zum ersten Mal einen EU-Vertrag ablehnen: Schon 2008 hat Irland mehrheitlich gegen den Vertrag von Lissabon gestimmt.
 
Dennoch glaubt Cornelissen, dass ein solches Ergebnis nicht unbedingt ein vernichtender Schlag wäre. „Nur 12 der 17 Staaten in der Eurozone müssen das neue Abkommen annehmen, damit es in Kraft tritt”, merkt er an. Dennoch kann die irische Regierung in die schwierige Lage geraten, einen Vertrag umsetzen zu müssen, den ihre Wähler abgelehnt haben. Auf Ebene der Eurozone könnte Irland zum Ansatzpunkt für Gegner des Sparkurses in Europa werden.
 
Potenzielle Probleme nach der Wahl in Frankreich
Unser kleiner Rundgang durch Europa ist noch nicht zu Ende. Die spanische Regierung hat mit der einseitigen Ankündigung, nicht auf dem zuvor vereinbarten Sparkurs zu bleiben, zu den Sorgen über das Land beigetragen.
 
Das fünfte potenzielle Pulverfass ist Frankreich. Genauer gesagt die Wahlen in Frankreich in diesem Jahr. Der Grund ist, dass der sozialistische Präsidentschaftskandidat François Hollande den vorgeschlagenen Stabilitätspakt neu verhandeln will, wenn er die Wahl gewinnt. „Nach unserer Einschätzung sind die Sorgen übertrieben“, so Cornelissen. „Hollande wird – wenn er denn gewählt wird – seine Aufmerksamkeit auf den Erhalt der Achse Berlin–Paris konzentrieren müssen.“
 
Konflikt EZB/Bundesbank: Nur Gehabe oder steckt etwas dahinter?
Ein sechstes Problem, das zur Unsicherheit beiträgt, ist der offenbare Konflikt zwischen der EZB und der Bundesbank über die Darlehenspolitik der EZB. Unklar ist, ob die beiden Institutionen auf einen schweren Konflikt zusteuern, oder ob die Einwände von Bundesbankpräsident Jens Weidmann in erster Linie Selbstinszenierung aus PR-Gründen sind (in seiner Rolle als Wächter der traditionellen harten Linie der Bundesbank).
 
„Wir meinen: vor allem Letzteres“, sagt Cornelissen. „Die Bundesbank hat ihre Muskeln überhaupt nicht spielen lassen, etwa durch den Versuch, das zweite LTRO zu sabotieren.“
 
Zögern beim Ausbau des Sicherheitsnetzes für die Eurozone besorgniserregend
Das ist noch nicht alles. Der siebte und letzte neuralgische Punkt ist das Sicherheitsnetz der Eurozone. Es ist ein Grund zur Besorgnis, da die europäischen Regierungen seinen Umfang nicht wesentlich vergrößern. Deutschland widerstrebt dem Versuch, den theoretisch zeitlich begrenzten EFSF durch den europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zu ersetzen.
 
Die Finanzminister der Eurozone werden voraussichtlich auf ihrem Treffen am 30.-31. März in Kopenhagen über die Größe eines dauerhaften Rettungsfonds entscheiden. Eine vorgeschlagene Lösung ist das Eingeständnis, dass der EFSF Verpflichtungen von 192 Mrd. EUR eingegangen ist und dass der ESM mit 500 Mrd. EUR von vorn beginnen soll. Dadurch würde der gesamte Darlehensumfang von derzeit maximal 500 Mrd. EUR auf 692 Mrd. EUR steigen.
 
Das Sicherheitsnetz muss groß genug für Italien und Spanien sein
Aber das wäre noch immer nicht groß genug für Italien und Spanien, falls diese Länder Hilfe brauchen. Zudem ist noch keineswegs sicher, dass Italien und Spanien über den Berg sind. „Mit der jetzigen Kombination aus Rezession, Sparmaßnahmen und weiterhin relativ hohen Risikoprämien im Vergleich zu Deutschland sind beide Länder auf einem unhaltbaren Kurs“, so Cornelissen.
 
Europäische Politiker wiegen sich in Sicherheit über Lösung der Krise
 Beunruhigend an dieser Verschleppungstaktik ist, dass Politiker in Europa offenbar hoffen, die Maßnahmen der EZB werden zum Wiederherstellen des Vertrauens in die Eurozone ausreichen. In der Zwischenzeit hat EZB-Präsident Mario Draghi deutlich gemacht, dass mit einem weiteren LTRO nicht zu rechnen ist. Die Regierungen in Europa sind also abermals in Zugzwang.
 
Die bisherige Vorgehensweise – immer wieder gerade genug tun, um das letzte Hochkochen der Krise abzuwenden – legt die Annahme nahe, dass sie die Zeit, die sie mit Hilfe der EZB für eine endgültige Lösung der Krise gewonnen haben, nicht konstruktiv nutzen werden.
 
„Die Eurozone hat womöglich ein wenig Zeit gewonnen. Aber es bleibt abzuwarten, ob sinnvoll davon Gebrauch gemacht wird. Die europäische Schuldenkrise wird weiter anhalten“, schließt Cornelissen.
 
EZB wird letzten Endes das Notwendige tun
Was wird wohl passieren, wenn die Krise wieder aufflammt? Laut Draghi will die EZB zwar keine weitere Liquidität bereitstellen, aber Cornelissen ist der Ansicht, dass die EZB, sollte es darauf ankommen, die notwendigen Schritte zum Schutz der systemwichtigen Länder – Italien und Spanien – unternehmen wird. „Sollte sich die Notwendigkeit ergeben, bleibt ja immer noch ein Spielraum für ein drittes LTRO-Geschäft“, sagt er.

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