Jede Woche veröffentlichen führende Vermögensverwalter weltweit zahlreiche fundierte Einschätzungen zu den Finanz- und Kapitalmarktmärkten. TiAM FundResearch fasst regelmäßig die wichtigsten Aussagen für Sie kompakt zusammen.
20.01.2023 | 12:25 Uhr von «Peter Gewalt»
Diese Woche ziehen Volkswirte und Kapitalmarktexperten ihre Lehren aus dem turbulenten Börsenjahr 2022 und werfen erneut einen Blick auf die Anlagechancen in diesem Jahr.
Luca Paolini,
Chefstratege von Pictet Asset Management, blickt zurück auf die wichtigsten Lehren des turbulenten Anlagejahrs 2022.
1.
Inflation schadet allen Assetklassen
Portfolios, die vernünftig diversifiziert zu sein schienen, waren es plötzlich
nicht mehr, und auch bei vermeintlich „sicheren“ Staatsanleihen zeigte sich ein
vergleichbares Bild. Cash erwies sich als einziger echter „Diversifikator“,
wenngleich eine zweistellige Inflation dennoch einen Kaufkraftverlust bedeutet.
2. Die Zentralbanken gehen keine Risiken ein, um ihre Glaubwürdigkeit bei
der Inflationsbekämpfung wiederherzustellen.
Die massiven fiskalischen und geldpolitischen Anreize als Reaktion auf die
Corona-Pandemie waren im Nachhinein betrachtet eindeutig ein politischer
Fehler.
3. Die Volkswirtschaften passen sich erstaunlich gut an
Die europäischen Volkswirtschaften haben sich schneller als erwartet an die
Auswirkungen des Ukraine-Kriegs angepasst - sowohl die deutsche
Industrieproduktion als auch das reale BIP konnten im Laufe des Jahres
geringfügig steigen, obwohl die Gasimporte hierzulande um 30 Prozent
zurückgingen.
4. Wo man sich befindet, hat einen Einfluss auf die Entwicklung der
Kapitalmärkte
Britische und japanische Anleger verzeichneten dank der Outperformance ihrer
lokalen Aktienmärkte begrenzte Portfolioverluste. In Europa haben Aktien im
Gegensatz zu den USA und China deutlich besser abgeschnitten als
Staatsanleihen.
5. China ist ein Sonderfall
Chinesische Anlagen müssen getrennt von Schwellenländern und entwickelten
Märkten betrachtet werden. Angesichts des wachsenden Gewichts und der Bedeutung
Chinas an den globalen Märkten und seiner häufig divergierenden
makroökonomischen Politik sind die Aktien und Anleihen des Landes zu groß, um
sie zu ignorieren, bergen aber auch einzigartige Risiken. Die chinesische
Besonderheit macht das Land jedoch nicht uninteressant: Seit Präsident Xi die Grenzen
des Landes geöffnet hat, steigen die chinesischen Aktien stark.
6. Jeder Bärenmarkt zeigt neue Wege auf, Geld zu verlieren
Da die Liquiditätsflut, die in den letzten zehn Jahren weltweit in die Märkte
gepumpt wurde, allmählich abzufließen beginnt, beginnen die Anleger, den
Unterschied zwischen Qualitätsanlagen und spekulativen Anlagen zu erkennen. Bei
einigen Vermögenswerten ist es schwer, den zugrunde liegenden Wert zu erkennen,
wie z. B. beim Bitcoin, der während der Pandemie um das 10-fache anstieg, nur
um später zusammenzubrechen, oder auch bei Nicht-fungiblen Tokens (NFTs).
Byron R.
Wien, Vice Chairman,
hat zusammen mit Joe Zidle, Chief Investment Strategist in der Private Wealth
Solutions Group bei Blackstone, ihre Liste der zehn Überraschungen des
Jahres 2023 veröffentlicht. Byron definiert eine „Überraschung“ als ein
Ereignis, das der durchschnittliche Anleger nur mit einer Wahrscheinlichkeit
von eins zu drei eintreten würde, das Byron jedoch für „wahrscheinlich“ hält
und dessen Eintrittswahrscheinlichkeit mehr als 50 Prozent beträgt:
1. Mehrere Kandidaten auf beiden Seiten der politischen
Lager in den USA – Demokraten und Republikaner – organisieren
Kampagnen, um sich die Präsidentschaftsnominierung ihrer Partei zu sichern. Im
Zuge dessen tauchen auch einige Namen auf den jeweiligen Tickets für 2024 auf,
die bis dato noch niemand auf dem Zettel hatte.
2. Die Federal Reserve befindet sich weiterhin in einem Tauziehen mit
der Inflation, also stellt sie das Wort „Pivot“ neben das Wort „transitorisch“
ins Regal. Der Fed Funds Rate steigt über den Preisindex der persönlichen
Konsumausgaben und die Realzinsen werden positiv, ein seltenes Phänomen im
Vergleich zum letzten Jahrzehnt.
3. Die Fed wird die Inflation erfolgreich dämpfen, hält sie sich aber zu
lange auf restriktivem Gebiet auf. Die Margen der Unternehmen werden in einer
leichten Rezession unter Druck geraten.
4. Trotz der geldpolitischen Straffung durch die Fed erreicht der Markt Mitte
des Jahres einen Tiefpunkt und beginnt eine mit dem Jahr 2009 vergleichbare Erholung.
5. Jede signifikante Marktkorrektur war in der Vergangenheit von einem
finanziellen „Unfall“ begleitet. Kryptowährungen hatten eine große
Korrektur und das erwies sich als kein systemisches Ereignis. Diesmal hat sich
die moderne Geldtheorie vollständig diskreditiert, weil sich die staatlichen Defizite
als inflationär erwiesen haben.
6. Die Fed bleibt restriktiver als andere Zentralbanken, und so bleibt der US-Dollar
stark gegenüber wichtigen Währungen, einschließlich Yen und Euro. Dies schafft
eine große Gelegenheit für Dollar-basierte Anleger, in japanische und europäische
Vermögenswerte zu investieren.
7. China nähert sich seinem Wachstumsziel von 5,5 Prozent und arbeitet
aggressiv daran, wieder starke Handelsbeziehungen mit dem Westen aufzubauen,
mit positiven Auswirkungen auf Sachwerte und Rohstoffe.
8. Die USA werden nicht nur zum größten Ölproduzenten, sondern auch zum
freundlichsten Lieferanten. Der Ölpreis sinkt vor allem als Folge einer
weltweiten Rezession, aber auch wegen des verstärkten hydraulischen Frackings
und der größeren Produktion aus dem Nahen Osten und Venezuela. Der Preis für
West Texas Intermediate-Rohöl liegt in diesem Jahr bei 50 $, aber es gibt
irgendwann nach 2023 einen Tick von 100 US-Dollar, wenn sich die Weltwirtschaft
erholt.
9. Die Bombardierungen, Zerstörungen und Verluste in der Ukraine dauern in der
ersten Hälfte des Jahres 2023 an. In der zweiten Hälfte erfordert die
Kombination aus Leid und Kosten auf beiden Seiten einen Waffenstillstand und
Verhandlungen über eine territoriale Spaltung.
10. Trotz der Zurückhaltung der Werbetreibenden, die Website weiterhin zu
unterstützen, und der Skepsis der Gläubiger hinsichtlich der Qualität der
Schulden des Unternehmens bringt Elon Musk Twitter bis Ende des Jahres wieder
auf den Weg der Erholung.
Diese Woche veröffentlichte die DWS ihre aktuellen
Einschätzungen zu Konjunktur, Märkten und Anlageklassen:
Björn Jesch, Chefanlagestratege DWS, bleibt
vorsichtig optimistisch für das Anlagejahr 2023 – trotz diverser Risiken: „Nach dem Katastrophenjahr 2022 blicken wir
vorsichtig optimistisch auf das Jahr 2023. Und das, obwohl auch im Jahr 2023
die politischen und wirtschaftlichen Unwägbarkeiten nach wie vor äußerst hoch
sind“, sagt Björn Jesch, Global Chief Investment Officer der DWS. „Gerade das
Jahr 2022, in das wir in der Erwartung eines kräftigen Aufschwungs gestartet
waren, hat uns gezeigt, wie schnell und wie dramatisch sich die Dinge zum
Negativen hin ändern können.“ Für die Aktienmärkte erwarten wir in
diesem Jahr, dass sie Anlegern nach den größtenteils zweistelligen Verlusten
des letzten Jahres zumindest nominal wieder positive Renditen bescheren
werden.
Die wirtschaftliche Schwäche in Europa und den USA dürfte – unter anderem dank
der überaus robusten Arbeitsmärkte – nicht so stark ausfallen, wie es derzeit
in den Kursen eingepreist ist. Das gilt insbesondere für Europa. Zudem scheinen
die Abwärtsrisiken für Aktien angesichts der ohnehin schon sehr gedrückten
Marktstimmung weniger stark ausgeprägt als befürchtet. „Trotz dieser
zurückhaltend positiven Einschätzung sollten Anleger aber auch wieder verstärkt
ihr Augenmerk auf Anleihen legen, insbesondere auf Unternehmensanleihen“, so
Jesch.
DWS Marcus Poppe, Portfolio Manager globale Aktien, erwartet unruhige
Märkte und sieht Europa nach wie vor als aussichtsreich an: „Die gute Nachricht
zuerst: Aktien haben unserer Einschätzung nach langfristig gesehen
nichts von ihrer Attraktivität verloren. Sie können für Anleger die
Auswirkungen einer hohen Inflation lindern. Sie sind – anders als andere
Anlagen – auch in Krisenzeiten recht liquide und Anleger können mit der Auswahl
der richtigen Titel an Innovationsgewinnen teilhaben.
Kurzfristig gesehen sind die Aussichten nicht ganz so rosig. „Der Markt
versucht anscheinend eine Erholung vorwegzunehmen, bevor der Abschwung
da ist. Die Bremsspuren sollten verstärkt in den nächsten sechs bis zwölf
Monaten sichtbar werden“, warnt Marcus Poppe, Portfolio Manager globale Aktien.
Die Bewertung von US-Aktien sei nach wie vor noch zu hoch. Die Zeiten
eines ständig zweistelligen Gewinnwachstums bei US-Titeln sei erst einmal
vorbei. Bei Herstellern von Mobiltelefonen und Halbleitern dürften die Gewinne
im Jahr 2023 sogar fallen.
Besser sehe es derzeit in Europa aus. „Wir bleiben deshalb weiterhin bei einer
Übergewichtung europäischer Aktien. Zudem bleiben wir bei unserer
positiven Einschätzung des Gesundheitsbereichs“, so Poppe. Zu früh sei es,
schon jetzt auf einen Aufschwung von zyklischen Aktien zu setzen, die
traditionell von einem Wirtschaftsaufschwung profitierten. Eine Ausnahme
stellten Chemiewerte da. „Die mussten bereits einen deutlichen Rückgang der Gewinne
verkraften und sind schon recht günstig bewertet. Sollten die Energie- und
Strompreise weiter fallen, dann dürften besonders Chemieunternehmen profitieren“,
erwartet Poppe.
Im Bezug auf Anleihen schätzt die DWS Unternehmensanleihen in der
Eurozone erscheinen am aussichtsreichsten ein: Tiefrot ist die Jahresbilanz für
die meisten Besitzer von langlaufenden Staatsanleihen ausgefallen. Mit einem
Minus von gut neun Prozent bescherten zehnjährige US-Anleihen
Euro-Anlegern gerade noch einstellige Wertverluste – die sich ohne die
Wechselkursgewinne aber auch auf 15 Prozent summierten. Noch schlechter fiel
die Bilanz für zehnjährige Anleihen aus Schwellenländern und von Bundesanleihen
aus. Unternehmensanleihen bescherten Anlegern ebenfalls herbe Verluste.
Auch 2023 dürfte für Anleiheanleger kein ganz leichtes Jahr werden. Bei
langlaufenden Staatsanleihen sind wir weiterhin vorsichtig. Die Europäische
Zentralbank hat im Dezember angedeutet, dass das derzeitige Renditeniveau ihren
zukünftigen Weg einer strafferen Geldpolitik noch nicht adäquat abbildet.
Anders ist die Situation bei Unternehmensanleihen. Trotz der unsicheren wirtschaftlichen
und politischen Lage dürften ausgewählte Papiere wieder deutlich attraktiver
sein als in der Vergangenheit, mit Ausnahme von Investment-Grade-Anleihen
aus den USA. Bei europäischen Hochzinsanleihen muss kurzfristig mit
einer erhöhten Volatilität gerechnet werden. Langfristig schätzen wir die
Perspektiven allerdings durchaus wieder als positiv ein.
„Keine Angst zu
verkaufen!“ fordert David Wehner, Senior Portfoliomanager bei der Do Investment
AG:
„Die fundamentalen
Vorzeichen für das noch junge Börsenjahr sind alles andere als gut. Die globale
Konjunktur enthält klare rezessive Tendenzen, die Zentralbanken stellen
weitere Zinserhöhungen in Aussicht und die Bilanzschrumpfungsaktivitäten der
EZB und Fed werden ab dem Frühjahr 110 Milliarden US-Dollar je Monat betragen.
Die internationalen Börsen konnten diese Negativeinflüsse jedoch vorerst
abschütteln und sind in den ersten Handelswochen euphorisch in das neue
Kapitalmarktjahr gestartet.
Nun stellt sich vielen
Investoren die Frage: Wie geht es weiter? Unsere Antwort lautet: Die Kapitalmärkte
werden auch 2023 durch sehr breite Handelsspannen geprägt sein. Zudem besteht
das Risiko, dass die Märkte im Jahresverlauf die Tiefststände aus 2022 noch
unterbieten. Wir gehen davon aus, dass der S&P 500 Index zwischen
4.350 und 3.200 Punkten handeln wird. Den Wechselkurs von Euro zu US-Dollar erwarten
wir für dieses Jahr zwischen 1,10 und 0,95 und auf der Zinsseite werden
10-jährige Bundesanleihen-Renditen zwischen 1,50 und 3,00 Prozent
handeln. Zudem rechnen wir damit, dass Value-Aktien sich besser schlagen werden
als Wachstums-Titel. Die Zeit von „Buy and hold“ durch ausschließlich passive
Investments ist unseres Erachtens nach vorbei. Nur durch eine aktive
Allokations- und Selektionssteuerung wird es im aktuellen Marktumfeld möglich
sein, positive Renditen zu erwirtschaften.
Anfang dieser Woche haben
wir daher den positiven Jahresstart der europäischen Aktienmärkte dazu
genutzt, unsere chancenorientierte Positionierung anzupassen. Wir haben
insbesondere unser Übergewicht bei europäischen Aktien-Einzeltiteln reduziert,
indem wir Gewinne in den Sektoren Pharma, Luxusgüter, Industrie,
Telekommunikation und Basisrohstoffe realisierten. Darüber hinaus haben wir
unser Gold-Engagement taktisch herabgesetzt. Die daraus resultierende
Liquidität haben wir zum Teil in kurzlaufenden US-Dollar denominierten US-Staatsanleihen
geparkt.
Wir gehen nicht davon aus, dass der Aktienmarkt kurzfristig auf neue
Tiefststände kollabiert. Vielmehr haben wir die beschriebenen
Portfolioanpassungen vorgenommen, da wir uns sehr gut vorstellen können, dass
der Aktienmarkt nach der Neujahrs-Euphorie aufgrund von Gewinnmitnahmen
korrigiert und danach durchaus Potential bietet, weitere neue Jahreshöchststände
auszuprägen. Von dieser Volatilität möchten wir profitieren. Voraussetzung
dafür ist die Abwägung des Chancen-Risiko-Verhältnisses und natürlich das
Markt-Timing.
In der Vergangenheit hat es sich gelohnt, bei hoher Unsicherheit mutig zu sein
und in euphorischen Phasen Risiken zu reduzieren. Bei allem bleibt das Timing
die größte Herausforderung. Selbstverständlich besteht das Risiko, dass die
Kapitalmärkte keinen Rücksetzer machen und zu neuen Jahreshöchstständen
steigen. Als aktiver Asset-Manager ist es aber genau unsere Aufgabe, auch diese
Risiken zu managen.“
FPM-Gründer,- Vorstand
und -Fondsmanager Martin Wirth sieht die aktuelle Börsensituation wie folgt:
„In der Rezession kaufen
hat sich als die beste Strategie erwiesen Zunächst einmal gilt: Nicht in der
Rezession laufen die Märkte schlecht, sondern auf dem Weg dorthin.
Während einer Rezession laufen Aktien dann eher schlecht, wenn sie zuvor hoch
bewertet waren, und gut, wenn dies nicht der Fall war. Nach einer Rezession ist
die Performance dramatisch positiv. Das Dumme ist, dass man erst Monate nach
dem Ende einer Rezession weiß, dass sie offiziell beendet wurde. Insofern muss
man in den sauren Apfel beißen und kaufen, wenn die Lage unsicher, die Aktien
aber billig sind. Wie im letzten Quartalsbericht aus dem Juli bereits
angekündigt ist eine Rezession in diesem Winter so gut wie ausgemacht. Das ist
jetzt auch der Konsens. Insofern besteht diesbezüglich weitgehende Klarheit.
Die offenen Fragen sind: Wie lange wird die Rezession dauern, und wie
entwickeln sich die Zinsen und die Inflationsraten. Ohne dazu eine eigene
prononcierte Meinung zu haben ist es offensichtlich so, dass die Märkte
mittlerweile ein aggressives Vorgehen der Notenbanken erwarten, was somit
ebenfalls eingepreist sein dürfte. Wie es aussieht, ist der Zinserhöhungszyklus
Ende des Jahres möglicherweise bereits beendet. Zu beachten ist ebenfalls, dass
die steigenden Preise, vor allem in Europa und in Deutschland, eine
erhebliche restriktive Auswirkung haben werden, die die Wirkung der
Zinserhöhungen noch ergänzen wird. Insofern sieht das nicht nur aus wie eine Vollbremsung,
das ist eine.
Auch wenn die anstehende Rezession, vor allem in Deutschland, stärker ausfallen
könnte als dies in der Regel der Fall ist, hat sie den Vorteil, dass sie seit
Monaten erwartet und dementsprechend keine Überraschung sein wird, auf die man
sich einstellen muss. Wer das jetzt noch nicht berücksichtigt hat, ist
wahrscheinlich am falschen Ort.“
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