Die Inflationsdaten in den USA sind wieder bedenklich und die Märkte preisen bereits Verzögerungen bei den erwarteten Zinssenkungen der Fed ein. Doch ist dieser Pessimismus gerechtfertigt?
20.03.2024 | 07:20 Uhr
Steven Bell, Chefvolkswirt EMEA bei Columbia Threadneedle Investments, analysiert die aktuelle Situation.
Es ist eine wichtige Woche für die britischen Märkte, mit einer Sitzung der Bank of England (BoE) und vielen Datenveröffentlichungen, doch es sind die Ereignisse jenseits des Atlantiks, die wahrscheinlich den größten Einfluss haben werden. Dort findet ein Treffen der US‑Notenbank statt und die Währungshüter könnten nach einigen enttäuschenden Inflationsdaten eine vorsichtige Haltung einnehmen. Das würde die Märkte dazu veranlassen, sowohl Verzögerungen für den Zeitpunkt als auch eine verringerte Geschwindigkeit bei den erwarteten Zinssenkungen einzupreisen – und sich somit auf die Zinserwartungen in der ganzen Welt auswirken. Dennoch halten wir steile Zinssenkungen in den USA, im Vereinigten Königreich und in Europa für wahrscheinlich.
Neubewertung der US-Zinserwartungen
Die Daten aus den USA zeigen, dass die Verbraucherpreisinflation stärker als erwartet anstieg – zwar nur knapp, aber im Vormonat wurden die Erwartungen stärker übertroffen. Der eigentliche Schlag kam später in der Woche, als die Erzeugerpreise erheblich und weit über die Erwartungen hinweg stiegen. In den USA beziehen sich diese Preise, im Gegensatz zu anderen Ländern, auf die gesamte Wirtschaft, Dienstleistungen eingeschlossen, und bilden so die geplanten Preissteigerungen ab.
Die Märkte bewerteten die Aussichten für US-Zinssenkungen dementsprechend neu. Die Wahrscheinlichkeit einer Senkung im Juni ist auf etwa 50 Prozent gesunken – zu Beginn des Monats galt sie noch als sicher. Auch die voraussichtliche Gesamtzahl der Zinssenkungen für den restlichen Verlauf des Jahres ging von vier auf drei zurück. Die Fed könnte diese Woche sogar signalisieren, nur zwei Zinssenkungen vornehmen zu wollen.
Markterwartung übermäßig pessimistisch
Dieser Pessimismus scheint jedoch übertrieben zu sein. Zum einen ist eine etwas stärkere US-Inflation in den ersten Monaten dieses Jahres nicht überraschend, da die Wirtschaft Ende 2023 relativ stark war. Das reale Bruttoinlandsprodukt wuchs im dritten Quartal um fast fünf Prozent, im vierten Quartal um 3,2 Prozent. Die Vergleichsbasis ist dabei das Vorquartal und es zeigt sich: Das BIP ist viel stärker als erwartet. Auch die Zahl der Beschäftigten ist in den letzten fünften Monaten um über eine Million angestiegen.
Zum anderen ist die US-Wirtschaft sehr flexibel und die Preise reagieren schnell auf eine starke Nachfrage. Dennoch ist eine Verlangsamung der Wirtschaft am Horizont erkennbar. Die Verbraucher waren ein wichtiger Faktor für das starke Wachstum im letzten Jahr und einige der besonderen Faktoren, die für diese Stärke verantwortlich waren, gelten nun nicht mehr. Dazu gehört eine Anpassung der Lebenshaltungskosten durch die Sozialversicherungen. Im vergangenen Jahr betrugen diese 8,7 Prozent, was das Einkommen von 70 Millionen Amerikanern erheblich stärkte. Darauf ist die Hälfte des gesamten Anstiegs der realen Haushaltseinkommen zurückzuführen. In diesem Jahr werden die Anpassungen der Lebenshaltungskosten dagegen nur 3,2 Prozent betragen und die Realeinkommen werden voraussichtlich lediglich um zwei Prozent steigen. Auch haben die US-Verbraucher im letzten Jahr ihre Sparschweine geleert. Sie haben das Geld, das sie während der Pandemie von der Regierung erhalten und aufgrund der Abriegelung angespart hatten, jetzt ausgegeben. Dieser Effekt lässt sich an der US-Sparquote ablesen, die den Anteil des Einkommens misst, der nicht ausgegeben wird – und ist inzwischen geringer als vor der Covid-Pandemie. Wenn die Quote wieder ansteigt, werden die US-Verbraucher ihre Ausgaben drosseln müssen. Zu guter Letzt steigen auch die Hypothekenzinsen wieder an. Ein Großteil des Rückgangs, den diese im vergangenen Jahr erlitten, wird so wieder ausgeglichen. Dies wird den Immobilienmarkt bremsen und die Ausgaben weiter dämpfen.
Zwei-Prozent-Inflationsziel näher als gedacht
Unter genauerer Betrachtung zeigt sich diese Dynamik allmählich auch an den Daten. Die Einzelhandelsumsätze haben sich verlangsamt. Umfragen bei kleinen Unternehmen zeigen, dass die Einstellungspläne für neues Personal zurückgeschraubt werden. Auch das Beschäftigungswachstum wird sich daher in den kommenden Monaten deutlich verlangsamen. All dies wird den Inflationsdruck verringern. Darüber scheint die Lohninflation gedämpft zu sein und liegt bereits nahe dem Niveau, das die Inflation auf dem Zwei‑Prozent‑Ziel der Fed halten würde.
Das Vereinigte Königreich dürfte diese Woche dagegen einen starken Rückgang der Inflation melden. Zweifellos wird die BoE vor den Gefahren einer verfrühten Zinssenkung warnen, aber die britische Inflation dürfte im April ihr Zwei-Prozent-Ziel bereits erreichen und für den restlichen Verlauf des Jahres auch auf diesem Niveau verbleiben – auch für den Fall, dass die Wirtschaft wieder anzieht. Der Immobilienmarkt erholt sich bereits, und die jüngsten Daten von Rightmove zeigen einen starken Anstieg der Preise.
In Europa hat die EZB bereits eine Zinssenkung für Juni in Aussicht gestellt, die Wirtschaft erholt sich in der Eurozone allerdings nur langsam.
Die letzten Wochen waren schwierig, da die US-Notenbank eine vorsichtige Haltung eingenommen hat. Die längerfristigen Aussichten dürften aber durchaus positiv sein.
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