Wie kann es den weltweit wichtigsten Notenbanken gelingen, den Finanzmärkten ihre Droge „Liquidität“ nach und nach zu entziehen und damit ihre Geldpolitik wieder zu normalisieren?
16.12.2019 | 08:12 Uhr
Auf der Suche nach einer Antwort wirft Edgar Walk, Chefvolkswirt Metzler Asset Management, einen Blick auf entsprechende, unterschiedlich erfolgreiche „Rezepte“ in der Vergangenheit – und auf die zugrundeliegenden Wirtschaftsprobleme.
Die
beiden vergangenen Jahre sprechen Bände: 2018 wuchs die Weltwirtschaft
noch solide um 3,6 %, während die meisten Finanzanlagen das Jahr in
tiefrotem Terrain beendeten. 2019 kehrte sich das Bild um: Die
Weltwirtschaft enttäuschte mit einem voraussichtlichen Wachstum von nur
3,0 %, während nahezu alle Finanzanlagen üppige Kursgewinne erzielten.
Der wahrscheinliche Grund dafür war die weltweite Umkehr in der
Geldpolitik der Notenbanken: 2018 entzogen die wichtigsten Zentralbanken
den Finanzmärkten Liquidität, während sie 2019 die Finanzmärkte wieder
mit Liquidität fluteten. Der Handelskonflikt war in beiden Jahren ein
Belastungsfaktor, sodass er nur einen geringen Einfluss auf die
außergewöhnlich scharfe Trendwende an den Finanzmärkten gehabt haben
dürfte.
Die entscheidende Frage: Wie kann es gelingen, die „Droge“ Liquidität nach und nach abzusetzen?
Vor
diesem Hintergrund zeichnen viele Analysten immer wieder das Bild von
den (Liquiditäts-)Drogen abhängigen Finanzmärkten. In dieser
Konstellation stellt sich dringlicher denn je die Frage: Wie kann es
gelingen, den Einfluss der Liquidität zu verringern, die Finanzmärkte
quasi auf kontrollierten Liquiditätsentzug zu setzen und damit die
Geldpolitik wieder zu normalisieren?
Bisherige Versuche, der Nullzinsfalle zu entkommen, mit stark unterschiedlicher Erfolgsbilanz
Japan
versucht schon seit mehr als 20 Jahren, die Nullzinspolitik zu beenden,
und ist bisher daran trotz aller erdenklicher Programme gescheitert. Im
Gegensatz dazu ist die US-Notenbank schon seit Dezember 2015 der
Nullzinsfalle erfolgreich entkommen. Liegt es daran, dass die Alterung
der japanischen Gesellschaft einen massiven strukturellen Sparüberhang
zur Folge hat? Oder liegt es daran, dass es den USA nach der
Finanzmarktkrise 2008 schnell gelang, ihren Finanzsektor wieder
flottzumachen, wodurch sich das neue Wachstum mühelos durch den
Finanzsektor finanzieren ließ? In Japan brauchte der Finanzsektor
dagegen etwa 25 Jahre, um zu gesunden; in Europa ist er immer noch
angeschlagen. Oder haben sich die Zentralbanken selbst in diese Lage
manövriert? Denn die niedrigen Zinsen schafften einen Anreiz, sich zu
verschulden, um auch wenig profitable Projekte umzusetzen, deren Konkurs
jedoch bei wieder steigenden Zinsen eine Wirtschaftskrise auslösen
könnte.
Immer
noch fällt eine überzeugende Diagnose der zugrundeliegenden
Wirtschaftsprobleme schwer. Damit fehlt auch die Basis, das „richtige“
(Liquiditäts-)Methadonprogramm für die Finanzmärkte zu identifizieren.
Daher wäre es sehr gefährlich, einfach so den Leitzins mit dem Ziel
anzuheben, endlich die jeweiligen Volkswirtschaften um ineffiziente
Firmen zu bereinigen. Die Politik muss daher gerade jetzt besonders
darauf achten, dass sie dem heilsamen Prozess der kreativen Zerstörung
keine Hürden in den Weg stellt, sondern ihn erleichtert. Derzeit bleibt
also nur das Prinzip Hoffnung: auf die Rückkehr des Aufschwungs im Jahr
2020 und auf den Anstieg der Inflation, sodass die EZB und die
US-Notenbank ab 2021 wieder die Zinsen anheben könnten.
Globale Einkaufsmanagerindizes könnten signalisieren, dass sich die Konjunkturlage verbessert
Die
nachlassenden politischen Risiken könnten den Einkaufsmanagerindizes
weltweit im Dezember etwas Auftrieb gegeben haben. Am Montag wird die
erste Schätzung aus den USA, der Eurozone und Japan veröffentlicht.
Darüber hinaus dürfte sich der Blick am Freitag auf den ifo-Index
richten. In den USA werden noch zahlreiche Daten zum Wohnimmobilienmarkt
veröffentlicht: NAHB-Index (Montag), Neubaubeginne sowie
Neubaugenehmigungen (jeweils Dienstag) und die Umsätze bestehender
Wohnimmobilien (Freitag). Erfahrungsgemäß dürfte der stimulierende
Effekt der drei Leitzinssenkungen der US-Notenbank in diesem Jahr nun
auch die Wirtschaftstätigkeit im Wohnimmobilienmarkt merklich beleben.
Last but not least dürften sich Industrieproduktion und
Einzelhandelsumsätze (jeweils Montag) im November auch in China etwas
belebt haben.
Eine gute und erfolgreiche Woche wünscht
Edgar Walk
Chefvolkswirt Metzler Asset Management
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