Eine Generaldirektorin, wie die WTO sie braucht | |
11/2020 | |
Mo Ibrahim, Kevin Watkins, Mary Robinson | |
Project Syndicate |
Angesichts des starken Drucks auf das globale Handelssystem ist internationale Zusammenarbeit zur Stärkung einer regelbasierten Ordnung unabdingbar.
25.11.2020 | 08:05 Uhr
Vielleicht mehr als je zuvor brauchen wir daher eine Welthandelsorganisation, (WTO) die den wirtschaftlichen Aufschwung forciert, für den Multilateralismus eintritt, das Vertrauen wiederherstellt und den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht wird, die sich aus Armut, Ungleichheit, dem Klimawandel und – noch unmittelbarer - durch die Covid-19-Pandemie ergeben.
Wir schreiben diesen Kommentar als Vertreter von Nichtregierungsorganisationen, Philanthropen und Wirtschaftsführern in der gemeinsamen Überzeugung, dass Ngozi Okonjo-Iweala in einzigartiger Weise geeignet ist, die WTO in eine entscheidende neue Ära zu führen.
Man verliert allzu leicht aus den Augen, warum der Handel für die gewöhnlichen Menschen auf der ganzen Welt von Bedeutung ist. Hilfe spielt zwar eine zentrale Rolle bei der Förderung der menschlichen Entwicklung, aber Handel und Märkte – von lokal bis global – ermöglichen den Menschen, sich aus der Armut zu befreien und den Ländern, Arbeitsplätze und Wohlstand zu schaffen sowie auch Geschäftschancen wahrzunehmen. In unserer von gegenseitiger Abhängigkeit geprägten Welt kann ein offenes, multilaterales Handelssystem unter der Leitung der WTO allen Ländern zugute kommen.
Für die ärmsten Länder der Welt bietet der Handel die Möglichkeit, ihre Produktion mit höherer Wertschöpfung auszustatten. Wirksam gesteuert und mit Strategien für integratives Wachstum verknüpft, kann der internationale Handel dazu beitragen, die Ziele für nachhaltige Entwicklung zur Beseitigung der Armut und zum Aufbau von gemeinsamem Wohlstand zu verwirklichen. Angesichts der Tatsache, dass die Welt am Rande einer historischen Umkehr der hart erkämpften Fortschritte hinsichtlich der Verringerung der extremen Armut und der Unterernährung, der Bekämpfung der Kindersterblichkeit und der Ausweitung von Bildungschancen steht, brauchen wir ein Handelssystem, das für die Armen funktioniert.
Okonjo-Iweala ist überaus geeignet, mit Regierungen zu arbeiten, um genau so ein System aufzubauen. Kennzeichnend für ihre Karriere ist ihr unerschütterliches Engagement in den Bereichen Armutsbekämpfung, Randgruppen und Geschlechtergerechtigkeit. Unter ihrer Führung würde sich die WTO zur treibenden Kraft entwickeln, die die Fortschritte in Richtung der Ziele für nachhaltige Entwicklung vorantreibt.
Neben der Armutsbekämpfung ist der internationale Handel noch für eine Reihe anderer globaler Ziele von Bedeutung, die bis 2030 erreicht werden sollen. Was im Rahmen des Handelssystems geschieht, hat auch tiefgreifenden Einfluss auf die Umwelt. Die Klimakrise, der Verlust der biologischen Vielfalt, die nicht nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen und die Verschmutzung von Land, Meer und Luft lassen eine nur eine einzige Schlussfolgerung zu: weitermachen wie bisher, ist keine Option. Das Ausmaß und die Intensität dieser Herausforderungen stellen eine direkte Bedrohung für Lebensgrundlagen, Ernährungssysteme und die menschliche Gesundheit dar.
Wirksame multilaterale Regeln könnten dazu beitragen, die Welt von ihrem ökologischen Kollisionskurs mit den planetaren Grenzen abzubringen. Die WTO könnte eine entscheidende Rolle bei der Dekarbonisierung des Wachstums, dem Schutz der Biodiversität und der Bewältigung des Problems der Umweltverschmutzung spielen. Unser Erfolg - oder Misserfolg - bei der Bewältigung der großen ökologischen Herausforderungen dieses Jahrhunderts wird bestimmen, wie künftige Generationen auf uns und unsere politischen Führungen zurückblicken.
Überdies steht auch finanziell viel auf dem Spiel: Neue Geschäftschancen im Zusammenhang mit einer nachhaltigeren Weltwirtschaft könnten bis 2030 einen Wert von 12 Billionen Dollar jährlich erreichen, womit sich auch größerer Wohlstand und mehr Arbeitsplätze und schaffen ließen. Die Ergebnisse werden zum Teil davon abhängen, ob die Länder es schaffen, über die WTO zusammenzukommen.
Obwohl der Handel angesichts der dringenden Herausforderungen aufgrund von Covid-19 in den Hintergrund gerückt erscheint, hat die Pandemie unsere gemeinsame Anfälligkeit und gegenseitige Abhängigkeit zutage gefördert. Außerdem wurden Möglichkeiten hervorgehoben, wie die öffentliche Gesundheit durch den Handel unterstützt werden kann. Der Handel mit Schutzausrüstungen, Testkits und Medikamenten hat dazu beigetragen, Leben zu retten. Mit Blick auf die Zukunft ist festzustellen, dass die Überwindung der Pandemie nicht nur Impfstoffe erfordert, sondern auch deren gerechte weltweite Verteilung. Zum Schutz der Gesundheit müssen wir als eine globale Gemeinschaft agieren. Doch ohne wirksame und gerechte Regeln im Bereich des Handels kann es zur Unterbrechung von Lieferketten kommen, gefährdeten Menschen kann der Zugang zu Behandlungen verwehrt werden und ganze Länder könnten ohne Zugang zu Impfstoffen dastehen.
Keiner der Vorteile aus dem Handel ergibt sich automatisch. Deshalb braucht die WTO eine Generaldirektorin, die in der Lage ist, über politische Gräben hinweg zu agieren, Brücken zu bauen und praktische Lösungen zu finden. Kurzum: die Organisation braucht eine Führungspersönlichkeit, die in der Lage ist, mit Regierungen zu arbeiten und ihnen hilft, ihre Differenzen zu überwinden und eine gemeinsame Basis zu finden.
Wir sind der Ansicht, dass Okonjo-Iweala in einzigartiger Weise dafür prädestiniert ist, diese Rolle zu spielen.
Als hochangesehene Entwicklungsökonomin hat sie immer wieder die entscheidende Rolle des Handels bei der Aufbereitung eines Kurses in Richtung gemeinsamen Wohlstand hervorgehoben. Darüber hinaus nahm der Handel stets einen bedeutenden Platz in ihren Aufgabenbereichen ein. Im Laufe ihrer 25-jährigen Tätigkeit bei der Weltbank war Okonjo-Iweala mit wirtschaftspolitischen Fragen befasst, darunter mit den handelspolitischen Herausforderungen, vor denen Entwicklungsländer in allen Regionen der Welt stehen. Als nigerianische Finanzministerin und erste koordinierende Wirtschaftsministerin überwachte sie die kritische Schnittstelle zwischen Handel und Investitionen sowie anderen produktiven Sektoren und war an der Reform des nationalen und subregionalen Handels beteiligt.
Überdies kann Okonjo-Iweala auf eine hervorragende Erfolgsbilanz als effektive Reformerin verweisen. Als geschäftsführende Direktorin der Weltbank verhandelte sie ein breites Spektrum an Initiativen im Bereich Entwicklungsfinanzierung. In Nigeria stand sie an der Spitze wichtiger Finanzreformen und setzte sich für Transparenz ein. Ihr geschickter Umgang mit komplexen Vereinbarungen zum Thema Schuldenerlass offenbaren ihre Fähigkeit, praktische Lösungswege zu finden.
Auch in den Bereichen Gesundheit und Umwelt hat Okonjo-Iweala beeindruckende Referenzen vorzuweisen. Derzeit fungiert sie als Vorsitzende der Impfallianz Gavi, einer öffentlich-privaten Partnerschaft, die Millionen Leben gerettet hat. In dieser Funktion ist sie eine der Architekten der bahnbrechenden COVAX-Fazilität, der es gelungen ist, über 1,7 Milliarden Dollar an Unterstützungsgeldern zu erhalten, um ärmeren Ländern einen gerechten und erschwinglichen Zugang zu Impfstoffen zu verschaffen. Überdies ist sie Ko-Vorsitzende der Global Commission on the Economy and Climate.
Als routinierte politische Entscheidungsträgerin verfügt Okonjo-Iweala über die Fähigkeiten und Erfahrungen, Regierungen und andere Interessensgruppen an einen Tisch zu bringen. Alle Länder – ob reich oder arm - können von einem effektiv verwalteten Handelssystem profitieren, das die gemeinsamen Interessen in den Vordergrund stellt.
Wir glauben an die WTO und wir möchten, dass sie unter der Führung einer Generaldirektorin steht, die nicht nur für die mächtigsten Ökonomien der Welt, sondern auch für die ärmsten Länder und die abgehängten Menschen aktiv wird und Ergebnisse liefern kann. Okonjo-Iweala ist die richtige Kandidatin für den Job.
Mitunterzeichner dieses Kommentars sind: KY Amoako, Gründer und Präsident des African Center for Economic Transformation; Bono, Mitbegründer von The ONE Campaign; Aliko Dangote, Gründer, Präsident und CEO der Dangote Group; Nathalie Delapalme, CEO der Mo Ibrahim Foundation; Jamie Drummond, Global Strategist bei GlobalGoals.org; Caroline Kende-Robb, ehemalige Generalsekretärin von CARE International und geschäftsführende Direktorin des Africa Progress Panel; Rachel Kyte, Dekanin der Fletcher School an der Tufts University; Strive Masiyiwa, geschäftsführender Präsident und Gründer der Econet Group; Girish Menon, Vorsitzender von ActionAid UK; Sanjay Pradhan, CEO der Open Government Partnership; Gayle Smith, CEO von The ONE Campaign; Justin van Fleet, Präsident von Theirworld und geschäftsführender Direktor der Global Business Coalition for Education; Zouera Youssoufou, Geschäftsführerin und CEO der Aliko Dangote Foundation und Tim Wainwright, Vorstandsvorsitzender von WaterAid.
Mo Ibrahim ist Präsident und Gründer der Mo Ibrahim Foundation. Kevin Watkins ist geschäftsführender Direktor von Save the Children UK. Mary Robinson ist ehemalige irische Präsidentin und Vorsitzende von The Elders.
Copyright: Project Syndicate
Diesen Beitrag teilen: