In den USA sprechen die Leitzinssenkungen in diesem Jahr und eine robuste Konjunktur mit 2,1 Mio. neu geschaffenen Arbeitsplätzen dafür, dass zunächst der Wohnimmobilienmarkt vor einer baldigen Belebung steht ebenso wie der Markt für Gewerbeimmobilien.
22.11.2019 | 11:30 Uhr
Das sagt Edgar Walk, Chefvolkswirt Metzler Asset Management. Jedoch liegen die realen Immobilienpreise über ihrem langfristigen Trend – eine sich verschlechternde Konjunktur oder steigende Zinsen könnten somit erhebliche Risiken für die Finanzstabilität bergen.
Auf
den Immobilienmarkt wirken in der Regel zwei Kräfte. Die erste Kraft
ist der Zins, da Immobilien ein langlebiges Wirtschaftsgut sind und
damit automatisch im Wert steigen, wenn der Zins fällt. Es lässt sich
daher oft beobachten, dass die Nachfrage nach Immobilienfinanzierungen
sehr sensibel auf Änderungen des Leitzinsniveaus und der Risikoprämie
reagiert, die anhand der Änderungen der Kreditvergabebereitschaft der
Banken messbar ist. Die zweite Kraft ist die konjunkturelle Entwicklung,
da sich bei steigenden Einkommen die Nachfrage nach Wohnimmobilien und
bei steigenden Beschäftigungszahlen die Nachfrage beispielsweise nach
Büro- oder Geschäftsräumen erhöht.
Folgende
Wirkungskette lässt sich oft beobachten: Die Notenbank senkt den
Leitzins -> die Geschäftsbanken lockern ihre Kreditstandards ->
die Nachfrage nach Wohnimmobilien steigt -> die Preise von
Wohnimmobilien steigen -> die Bauaktivität von Wohnimmobilien nimmt
zu -> die Konjunktur belebt sich -> die Unternehmensinvestitionen
steigen -> die Nachfrage nach gewerblichen Immobilien erhöht sich
-> die gewerblichen Immobilienpreise nehmen zu.
Die voranstehenden Grafiken zeigen den Zusammenhang für die USA: Seit 1963 hängen US-Leitzins und Neubauverkäufe als Indikator der Nachfrage nach Wohnimmobilien eng (invers) zusammen, die Immobilienpreisblase bis 2005 macht dies in der Grafik jedoch weniger ersichtlich. Deutlich lässt sich dieser Zusammenhang beim Blick auf einen Zeitabschnitt beispielsweise von 1970 bis 1993 erkennen. Oft reagieren die Neubauverkäufe sogar erst verzögert auf eine Leitzinsänderung. Einer steigenden Nachfrage nach Wohnimmobilien folgt dann in der Regel ein steigendes Angebot an Wohnimmobilien aufgrund einer zunehmenden Bauaktivität. In der BIP-Statistik erscheint die Bauaktivität als „Investitionen der privaten Haushalte in Wohnimmobilien“.
Eine
statistische Analyse der Komponenten des BIP zeigt, dass die
„Investitionen der privaten Haushalte in Wohnimmobilien“ den
„Investitionen der Unternehmen in gewerbliche Immobilien“ um etwas sechs
Quartale vorauslaufen. Hieran ist deutlich zu erkennen, dass der
Wohnimmobilienmarkt eher frühzyklisch ist, während der gewerbliche
Immobilienmarkt eher spätzyklisch ist. Auch eine Analyse der
Preisentwicklung ergibt, dass die Wohnimmobilienpreise in etwa den
gewerblichen Immobilienpreisen um drei Quartale vorauslaufen.
Der
Wohnimmobilienmarkt ist somit der Taktgeber für den gewerblichen
Immobilienmarkt in den USA. Auch in anderen Ländern scheint dieser
Zusammenhang zu bestehen, jedoch ist aufgrund fehlender Daten eine
statistische Auswertung hier meist nicht möglich.
Die
Leitzinssenkungen der US-Notenbank in diesem Jahr von insgesamt 0,75
%-Punkten sowie eine ordentliche Konjunktur mit 2,1 Millionen neu
geschaffenen Stellen in den vergangenen zwölf Monaten spricht also
dafür, dass sich der Wohnimmobilienmarkt bald wieder stärker beleben
wird und die Neubauverkäufe (Dienstag) merklich steigen dürften. Mit der
üblichen Verzögerung dürfte sich dann der expansive Impuls vom
Wohnimmobilienmarkt auf den gewerblichen Immobilienmarkt übertragen.
Die
US-Notenbank geht damit jedoch ein hohes mittelfristiges Risiko für die
Finanzstabilität ein. Die realen Wohnimmobilienpreise lagen schon Ende
Juni 2019 etwa 4,3 % über ihrem langfristigen Trend und die realen
gewerblichen Immobilienpreise sogar mehr als 30 %. Die voraussichtlich
bald einsetzende Belebung in beiden Märkten dürfte für eine noch größere
Abweichung in den kommenden Quartalen sorgen und damit für eine sehr
hohe Fallhöhe, wenn sich die Konjunktur verschlechtern sollte oder die
US-Notenbank die Leitzinsen wieder anheben muss. Eigentlich müsste daher
die US-Wirtschaftspolitik mithilfe von makroprudentiellen Maßnahmen
versuchen, weitere Preiserhöhungen auf beiden Märkten zu verhindern.
Derzeit sieht es jedoch nicht danach aus.
USA: Langsameres Wachstum, aber immer noch über Potenzial
Die
Steuerreform und die staatlichen Mehrausgaben im vergangenen Jahr
ließen das Wirtschaftswachstum bis auf knapp 3,0 % 2018 steigen; in
diesem Jahr wirkt der Stimulus noch nach und dürfte ein
Wirtschaftswachstum von voraussichtlich 2,3 % ermöglichen. Im kommenden
Jahr dürfte sich das Wachstum aufgrund des Verlusts an fiskalpolitischer
Unterstützung weiter auf etwa 1,6 % abschwächen, was jedoch immer noch
leicht über dem geschätzten Potenzialwachstum von 1,5 % liegt. Die
Leitzinssenkungen der US-Notenbank in diesem Jahr dürften damit eine
größere Wachstumsverlangsamung verhindert haben. Grundsätzlich dürften
sich vor diesem Hintergrund die Konjunkturdaten in der Tendenz
sukzessive leicht abschwächen, aber nicht abfallen: Konsumentenvertrauen
(Dienstag), Auftragseingänge (Mittwoch), Konsumausgaben (Freitag) sowie
Kerninflation (Freitag). Insgesamt sind dies keine allzu schlechten
Perspektiven.
Interessanterweise
könnte sich dagegen in den Schwellenländern (ohne China) und in Europa
das Wachstum im kommenden Jahr leicht beschleunigen, da die
Zentralbanken der Schwellenländer der Fed folgen und die Leitzinsen
senken konnten. Auch dürften beide Regionen von nachlassenden
politischen Risiken profitieren. Sollte dieses Szenario tatsächlich
eintreten, müsste der US-Dollar 2020 eigentlich schwächer notieren.
Eurozone: ZEW-Index und sentix-Konjunkturindex als Frühindikatoren?
Im
November verbesserten sich der ZEW-Index und der sentix-Konjunkturindex
merklich – wahrscheinlich aufgrund der gesunkenen Risiken eines harten
Brexit und der Deeskalation im Handelskonflikt. Die spannende Frage ist
nun, ob die Unternehmen in der Eurozone ähnlich optimistisch geworden
sind: ifo-Index (Montag) und Geschäftsklimaindex der EU-Kommission
(Donnerstag). Darüber hinaus werden noch die Geldmengen- und Kreditdaten
(Donnerstag) sowie die Arbeitslosenquote (Freitag) veröffentlicht. Ein
Highlight dürfte auch die Kerninflation (Freitag) im November werden:
Aufgrund technischer Faktoren könnte sie auf 1,3 % gestiegen sein. Damit
würde auch der Druck auf die Europäische Zentralbank (EZB) nachlassen,
noch im Dezember den Leitzins zu senken. Wir erwarten, dass die EZB auch
2020 stillhalten wird.
Eine gute und erfolgreiche Woche wünscht
Edgar Walk
Chefvolkswirt Metzler Asset Management
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