Konjunkturrisiken steigen, Systemrisiken bleiben

Die Weltkonjunktur ließ im 2. Quartal weiter nach. Auch für das 3. Quartal rechnen wir mit schwachen Daten aus der Industrie.

18.07.2012 | 09:07 Uhr

  • Beunruhigend ist vor allem der offensichtliche Abschwung des amerikanischen verarbeitenden Gewerbes. China dürfte sich hingegen gefangen haben.
  • In den Industrieländern werden die Notenbanken auf ungewöhnliche Maßnahmen zurückgreifen müssen, um die Geldpolitik weiter zu lockern. Für die Emerging Marketserwarten wir neue Zinssenkungen.
  • Asset-Allokation: Trotz hoher Bewertungen raten wir weiter zu einer taktischen Long-Position in Staatsanleihen (aus den USA und Deutschland) sowie Unternehmensanleihen,aber zu einer Untergewichtung von Aktien.

Während im letzten Monat noch die systemischen Risiken dominierten, steht jetzt die Konjunktur im Mittelpunkt. Die Eurokrise ist zwar noch längst nicht gelöst, doch spricht der Ausgang der griechischen Wiederholungswahl für unser Positivszenario; ein ungeordneter Austritt Griechenlands aus dem Euroraum ist zurzeit nicht zu erwarten. Mit dem europäischen Gipfeltreffen Ende Juni ist es zumindest gelungen, eine sofortige Herabstufung Spaniens zu verhindern – und im günstigsten Fall war es sogar ein wichtiger Schritt in Richtung politischer Union. Die Einzelstaaten haben sich bereit erklärt, die Bankenaufsicht einer europäischen Behörde zu übertragen.

Die Konjunkturindikatoren, gleichlaufende wie vorlaufende, sind hingegen durchweg schwach, interessanterweise mit Ausnahme von Japan. In Europa gab es zwar keine weiteren bösen Überraschungen, dafür aber in den USA. Hier scheint ein bestenfalls mäßiges Wachstum inzwischen zwar die Regel, doch kam der starke Einbruch der Industrieproduktion überraschend. Die Weltkonjunktur hat ihren Tiefpunkt unserer Ansicht nach noch nicht erreicht. Eine erneute Rezession ist dennoch unwahrscheinlich, weil Geld- und Fiskalpolitik sie noch immer verhindern können – insbesondere in den Emerging Markets, aber durchaus auch in den USA und im Euroraum.

Die schwächere Konjunktur ...
Der Rückgang des amerikanischen ISM-Einkaufsmanagerindex von 53,5 auf 49,7 war vor allem eine Folge des stärksten Einbruchs der Auftragseingänge seit den Terroranschlägen am 11. September 2001. Da ein solcher Auslöser diesmal fehlt, könnte die schwache Zahl ein Zufallsergebnis sein. Wahrscheinlicher ist aber, dass die systemischen und finanziellen Folgen der Eurokrise inzwischen auch die amerikanischen Unternehmen beeinflussen. Die Breite des Abschwungs in der Industrie – im Juni lagen auch die Einkaufsmanagerindizes Frankreichs, Deutschlands, Italiens, Großbritanniens, Brasiliens und Japans, unter der 50-Punkte-Marke – ist jedenfalls ein klarer Hinweis auf eine schwächere Dynamik. Selbst der chinesische Einkaufsmanagerindex liegt nur knapp über 50. Allerdings geht dies in China meist mit einem zweistelligen Anstieg der Industrieproduktion einher.

Der Hauptgrund für die weltweit niedrigere Industrieproduktion ist die Krise im Euroraum. Seine schwächere Binnenwirtschaft dämpft die Importnachfrage, und die Probleme im Banken- und Finanzsektor veranlassen viele Unternehmen weltweit, ihre Investitionen hinauszuzögern. Aber das ist nicht alles. In einigen großen Emerging-Market-Ländern war aus Angst vor einer höheren Inflation vor einiger Zeit die Geld- und Fiskalpolitik gestrafft worden. Dies macht sich jetzt mit Verzögerung bemerkbar. Insbesondere in China dürfte die Straffung noch immer spürbar sein. Hinzu kommt, dass die Bemühungen, den Konsum zu Lasten von Investitionen und Exporten zu stärken, Zeit brauchen und die chinesische Binnennachfrage möglicherweise vorübergehend sogar gedämpft haben. Dies ist vermutlich der wichtigste Grund für die Schwankungen des Welthandels.

... dämpft die Inflation
Eine positive Nebenwirkung der zurzeit und vermutlich auch weiterhin schwachen Industrieproduktion ist der weitere Rohstoffpreisrückgang. Allein im letzten Monat ist der Ölpreis um 6% auf 95 US-Dollar je Barrel gefallen, bevor er dann wieder auf gut 100 US-Dollar stieg. Bereits im Mai war der Ölpreis um 14% zurückgegangen. Die Ölpreisentwicklung ist ein wichtiger Terms-of-Trade-Schock, von dem große Rohstoffimporteure wie die USA und China profitieren. Rohstoffexporteure in Lateinamerika und im Nahen Osten sowie Russland und Australien leiden hingegen. In Westeuropa hat Benzin üblicherweise einen Anteil von etwa 5% an den Konsumausgaben, aber nur etwa die Hälfte des Benzinpreises entfällt auf Öl; der Rest sind Steuern. Der 20-prozentige Ölpreisrückgang im Mai und im Juni hat die Verbraucherpreisinflation daher um etwa einen halben Prozentpunkt gedämpft. In den USA entfällt zwar ein ähnlich hoher Teil der Konsumausgaben auf Benzin wie in Euro-pa, doch wird Benzin hier erheblich geringer besteuert. Der Ölpreisrückgang wirkt sich deshalb in den USA stärker auf die Verbraucherpreise aus. Hier bedeutet 20% billigeres Öl eine um etwa 0,75 Prozentpunkte niedrigere Inflationsrate.

Die geringere Teuerung ist günstig für die verfügbaren Haushaltseinkommen. Aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit – im Euroraum erreichte sie im Mai einen Rekordwert von 11,1% – bleibt der Einkommensanstieg schwach. Die Aussichten auf eine Erholung des privaten Verbrauchs in den wichtigen Industrieländern sind nicht besonders gut.

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