Ein Ende des politischen Extremismus ist in den USA nicht in Sicht. Die Weltwirtschaft sollte sich darauf einstellen.
20.08.2018 | 11:10 Uhr
Das Meinungsforschungsinstitut PEW Research Center analysiert regelmäßig die ideologischen Neigungen von Wählern der Demokraten und der Republikaner. Noch 1994 und 2004 war der durchschnittliche Wähler der Demokraten nur moderat sozialdemokratisch, und der durchschnittliche Wähler der Republikaner nur moderat konservativ. Darüber hinaus gab es eine große ideologische Überschneidung zwischen beiden Wählergruppen mit einer starken Mitte. 2017 zeigte sich ein anderes Bild: Die Extreme waren deutlich stärker ausgeprägt, die Mitte hingegen war ausgedünnt.
USA:
Politisch gespaltene Nation
Quelle: PEW Research Center: Verteilung der Wähler von Demokranten und Republikanern basierend auf zehn Fragen zur politischen Haltung
Gäbe es in den USA ein Verhältniswahlrecht, könnte eine Partei der Mitte entstehen, die dann für eine Regierungsbildung benötigt würde – diese Partei hätte einen mäßigenden Einfluss auf die Regierung. In den USA besteht jedoch das Mehrheitswahlrecht, sodass bei den derzeitigen ideologischen Präferenzen der Wähler entweder ein sehr linker Demokrat oder ein sehr konservativer Republikaner einen Wahlkreis oder die Präsidentschaft gewinnt. Solange sich an den Präferenzen der Wähler nichts ändert, wird mit jeder Wahl die Zahl der Verfechter extremer politischer Haltungen in politischen Ämtern und deren Einfluss steigen. Die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten ist somit „kein Ausrutscher“ – bei den nächsten US-Präsidentschaftswahlen dürfte erneut ein sehr linker oder ein sehr konservativer Kandidat gewinnen. Vielleicht würde ein möglicher künftiger US-Präsident der Demokraten sogar einen noch aggressiveren Handelskrieg führen?
USA:
Fiskalischer Stimulus bis ins erste Halbjahr 2019 eine nennenswerte
Wachstumsstütze Auswirkung der Fiskalpolitik auf das Wachstum des realen BIP,
in Prozent-Punkten
Quelle: Goldman Sachs; US Department of Commerce, Treasury
Auch eine lockere Fiskalpolitik ist oft ein Kennzeichen einer sehr linken oder rechten Politik. Die Steuersenkung von Jahresanfang und die höheren Staatsausgaben werden zweifellos positiv zum Wachstum beitragen. Schätzungen zufolge wird der Wachstumsbeitrag bei etwa 1,0 %-Punkt des BIP im dritten und vierten Quartal 2018 liegen, im ersten Halbjahr 2019 noch bei etwas über 0,5 %-Punkten. Erst ab dem zweiten Halbjahr 2019 dürfte der Wachstumsbeitrag merklich abnehmen und 2020 sogar moderat negativ werden. Eine Rezession in den USA ist somit bis Ende 2019 sehr unwahrscheinlich. Dementsprechend dürften die Konjunkturdaten wie die Einkaufsmanagerindizes (Donnerstag) und die Auftragseingänge (Freitag) ein anhaltend dynamisches Wachstum signalisieren. Die Verfassung des Wohnimmobilienmarktes ist dabei ein wichtiger Frühindikator für die Zeit nach dem fiskalischen Stimulus: Verkäufe bestehender Wohnimmobilien (Mittwoch) und Neubauverkäufe (Donnerstag). Sollten bis 2020 die Immobilienpreise und die Immobiliennachfrage anhaltend zulegen, könnte die US-Wirtschaft auch moderat wachsen, wenn der fiskalische Stimulus wegfiele, ohne in eine Rezession abzugleiten.
Eine steigende Verschuldung und ein hohes Leistungsbilanzdefizit sind über viele Jahre hinweg in einer Volkswirtschaft möglich, ohne eine Krise auszulösen. Der entscheidende Faktor ist die Finanzierungsbereitschaft ausländischer Investoren, die sehr eng mit der Geldpolitik der US-Notenbank verbunden ist. Der US-Dollar ist die Weltreservewährung, und der weitaus größte Teil der Verschuldung in Fremdwährung lautet in US-Dollar.
In Phasen einer lockeren US-Geldpolitik suchen Anleger oft Renditechancen außerhalb der USA und sind oft zu einer großzügigen Finanzierung bereit. In Phasen steigender US-Zinsen fließen weniger US-Dollars ins Ausland, und Schuldner mit einem hohen Finanzierungsbedarf kommen oft in Schwierigkeiten. Bei einem Leistungsbilanzdefizit von mehr als 7 % des BIP braucht die Türkei einen jährlich Zufluss an ausländischem Kapital von etwa 60 Mrd. USD. Ein Auslöser wie der eskalierende Streit mit den USA genügt – und plötzlich fließt weniger Kapital ins Land. Die Folge ist eine Währungskrise, da sich die Türkei plötzlich weniger Importe leisten kann als zuvor.
Wenn die Türkei keine neuen ausländischen
Investoren findet, die bereit sind, jährlich mehrere Milliarden US-Dollar in
das Land zu investieren, muss die Türkei nunmehr ihre Abhängigkeit von Importen
und einer Finanzierung aus dem Ausland reduzieren. Die inländische Nachfrage
lässt sich jedoch nur mithilfe aggressiver Leitzinserhöhungen und staatlicher
Sparmaßnahmen reduzieren, was eine Rezession verursachen dürfte. Je länger die
Türkei mit den schmerzhaften Anpassungen wartet, desto größer das Risiko einer
stark steigenden Inflation.
Natürlich könnte die Türkei auch
Kapitalverkehrskontrollen mit dem Ziel einführen, die Auslandsschulden einfach
nicht mehr zu bedienen. In diesem Fall würde allerdings das
Leistungsbilanzdefizit von 7 % des BIP sofort auf 0 % des BIP fallen und damit
das türkische BIP um 7 % reduzieren.
Insgesamt wird die voraussichtliche Rezession
in der Türkei auch das Wachstum in der Eurozone belasten. Wir haben daher
unsere Wachstumsprognose für 2018
und 2019 jeweils um 0,1 %-Punkte reduziert.
Dementsprechend droht auch ein weiterer Rückgang der Einkaufsmanagerindizes
(Donnerstag) im August. Das Verbrauchervertrauen (Donnerstag) dürfte dagegen
nicht davon betroffen sein und anhaltend auf hohem Niveau bleiben.
Im Juni beschleunigte sich das Wachstum der Löhne auf 3,6 % – den höchsten Wert seit Januar 1997. Höhere Löhne könnten zunehmend zu einem Abstieg der Inflationsraten (Freitag) beitragen und für Inflationsüberraschungen in Japan sorgen. Die Unternehmen werden jedoch nur vorsichtig die Preise anheben, sodass es noch einige Zeit dauern könnte, bis die steigenden Lohnkosten in den Inflationsdaten sichtbar werden.
Der langfristige Wachstumstrend einer Volkswirtschaft wird von zwei Faktoren bestimmt: Bevölkerungs- und Produktivitätswachstum. Seit 1991 wuchs die deutsche Wirtschaft beispielsweise um durchschnittlich 1,4 % pro Jahr, wobei das Bevölkerungswachstum durchschnittlich mit 0,1 % pro Jahr zum Wirtschaftswachstum beitrug, das Produktivitätswachstum mit 1,3 %.
In den kommenden Jahren wird der Beitrag des Bevölkerungswachstums aufgrund der Alterung der Gesellschaft zunehmend negativ werden und damit zu einem langfristig niedrigen Wachstumstrend der deutschen Wirtschaft beitragen. Die internationale Arbeitsagentur prognostiziert einen Rückgang der Erwerbsbevölkerung von durchschnittlich etwa 0,4 % pro Jahr in den kommenden zehn Jahren. Bei einem gleichbleibenden Produktivitätswachstum von 1,3 % pro Jahr würde somit der Wachstumstrend der deutschen Volkswirtschaft auf nur noch 0,9 % sinken.
Es gibt Überlegungen, dass infolge einer Alterung der Gesellschaft auch das Produktivitätswachstum sinken könne, da eine ältere Bevölkerung die Risiken neuer Technologien höher gewichte als deren Chancen. Glücklicherweise zeigen die Daten ein anderes Bild. In den Ländern, in denen die ältere Bevölkerung in Relation zur jüngeren zunimmt, wurde eine Beschleunigung des Produktivitätswachstums zwischen 1990 und 2015 festgestellt.
Eine Zunahme der älteren Bevölkerung geht mit einem höheren Produktivitätswachstum einher Zeitraum von 1990 bis 2015
Quelle: Daron Acemoglu und Pascual Restrepo (2017): SECULAR STAGNATION? THE EFFECT OF AGING ON ECONOMIC GROWTH IN THE AGE OF AUTOMATION. http://www.nber.org/papers/w23077
Eine plausible Erklärung dafür ist, dass sich die Unternehmen dazu gezwungen sahen, die ausbleibenden jungen Arbeitskräfte durch Roboter und andere Technologien zu ersetzen. So zeigt die folgende Grafik, dass in Ländern mit einer stark alternden Bevölkerung der Einsatz von Robotern deutlich gestiegen ist.
Alternde Gesellschaften investieren verstärkt in neue Technologien wie den Einsatz von Robotern
Quelle: Daron Acemoglu und Pascual Restrepo (2017): SECULAR STAGNATION? THE EFFECT OF AGING ON ECONOMIC GROWTH IN THE AGE OF AUTOMATION, http://www.nber.org/papers/w23077
Somit bestehen gute Chancen für Deutschland, dass das Produktivitätswachstum in den kommenden zehn Jahren sogar steigt und das Wachstum möglicherweise nur geringfügig sinkt.
Maßgeblich dafür ist jedoch ein positives Investitionsklima. Die neue digitale Welt stellt nämlich hohe Anforderungen an die Finanzierung und an staatliche Unterstützung. Viele Investitionen in neue Technologien sind so unternehmensspezifisch, dass sie nicht als Sicherheit für Kredite hinterlegt werden können. Die Eigenkapitalfinanzierung muss daher eine deutlich größere Rolle spielen als bisher – vielleicht auch mit staatlicher Unterstützung. Darüber hinaus sind eine moderne Infrastruktur und gut ausgebildete Arbeitskräfte eine notwendige Voraussetzung für hohes Produktivitätswachstum. Auch zeigen Studien, dass ein hohes Niveau an staatlich finanzierter Grundlagenforschung ein entscheidender Wettbewerbsvorteil sein kann.
Eine gute und erfolgreiche Woche wünscht
Edgar Walk
Chefvolkswirt Metzler Asset Management
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