Die Neubauverkäufe in den USA sind stark zurückgegangen – ein typisches Indiz für den Beginn einer Rezession. Andere Indikatoren lassen jedoch keinerlei Überhitzungstendenzen der Wirtschaft erkennen, so Edgar Walk, Chefvolkswirt Metzler AM.
03.12.2018 | 13:40 Uhr
Es ist sicherlich unbestritten, dass sich das Wirtschaftswachstum in den USA 2019 abschwächen wird – aus dem einfachen Grund, dass die stimulierenden Effekte der Steuersenkung und der staatlichen Mehrausgaben langsam nachlassen werden. Darüber hinaus zeigen die Leitzinserhöhungen der US-Notenbank schon erste Bremseffekte. Die Auswirkungen von Leitzinserhöhungen werden idealtypisch zuerst an der Nachfrage nach den sehr zinssensitiven Wohnimmobilien sichtbar und damit an den Neubauverkäufen. Seit November 2017 sind die Neubauverkäufe um mehr als 20 % gesunken und damit merklich schwächer geworden. Ein Vergleich der derzeitigen Entwicklung mit der durchschnittlichen Entwicklung von Rezessionen zeigt, dass ein Rückgang an Neubauverkäufen in dieser Größenordnung etwa 18 Monate vor einer Rezession zu beobachten ist.
Schwäche
der US-Neubauverkäufe könnte den Beginn einer Rezession in etwa 18 Monaten
bedeuten – das ist jedoch kein Automatismus
Monate
vor und nach Beginn einer Rezession;
0 = Rezessionsbeginn
Quellen: Thomson Reuters Datastream, Metzler; Stand: 31.10.2018
Die Leitzinserhöhungen der US-Notenbank belasten also schon jetzt das Wachstum. Daraus lässt sich jedoch nicht automatisch ableiten, dass die US-Wirt-schaft per Autopilot auf eine Rezession zusteuert. Sollte die US-Notenbank den Leitzinserhöhungszyklus bald beenden, besteht durchaus die Chance, dass sich das Wachstum im Jahresverlauf 2019 auf einem Niveau von etwa 1,5 % einpendeln könnte.
Eine andere Perspektive auf die Rezessionsrisiken in den USA bietet ein Vergleich der Entwicklung verschiedener makroökonomischer Größen mit einer Benchmark aus den sechs längsten historischen Aufschwüngen in verschiedenen Ländern seit 1980 Spanien von 1993 bis 2008, Holland von 1981 bis 2008, Schweden von 1993 bis 2008, Großbritannien von 1992 bis 2008, Italien von 1983 bis 1992 und die USA von 1991 bis 2008.
Arbeitsmarkt und Produktionslücke signalisieren ein baldiges Ende des US-Aufschwungs
Quellen: Thomson Reuters Datastream, Metzler; Stand: Q2 2018
Durchschnittlich fällt in einem mehr als zehnjährigen Aufschwung die Arbeitslosenquote um etwa 4,5 %-Punkte (graue Linie in der Grafik links). In den USA ist die Arbeitslosenquote seit Beginn des Aufschwungs bereits um etwa 5 %-Punkte gefallen. Die hellblaue Linie, die ein Ende des Aufschwungs unterstellt (= 100 %), liegt daher nahezu auf der Benchmark. Die blaue Linie, die unterstellt, dass erst die Hälfte des Aufschwungs erreicht ist (= 50 %), weicht dagegen erheblich von der Benchmark ab. Ein Blick auf die Produktionslücke (Output-Gap) zeigt ein ähnliches Bild. Die beiden traditionellen Indikatoren einer Überhitzung der Wirtschaft signalisieren also schon jetzt, dass sich erheblicher Inflationsdruck gebildet haben müsste.
Aber die
Inflation fehlt
Quellen: Thomson Reuters Datastream, Metzler; Stand: Q2 2018
Tatsächlich ist jedoch die Entwicklung der Lohnstückkosten und der Kerninflation in diesem Zyklus ungewöhnlich schwach ausgeprägt. Sowohl die blaue als auch die hellblaue Linie befinden sich in beiden Grafiken signifikant unterhalb der grauen Benchmark-Linie. Ist eine Überhitzung der Wirtschaft ohne Inflation überhaupt möglich?
Auch Anzeichen für eine Überhitzung der Konjunktur fehlen
Quellen: Thomson Reuters Datastream, Metzler; Stand: Q2 2018
Neben der
Arbeitslosenquote und der Produktionslücke zeigten in der Vergangenheit oft
auch die Verschuldung des privaten Sektors (private Haushalte plus Unternehmen)
sowie die Leistungsbilanz frühzeitig Überhitzungstendenzen an. Derzeit senden
beide Indikatoren keine Warnsignale. Die Schulden im Unternehmenssektor sind
zwar gestiegen, die der privaten Haushalte jedoch gesunken, sodass per saldo
die Verschuldung bisher stabil geblieben ist. Durchschnittlich steigt
normalerweise die Verschuldung im privaten Sektor innerhalb eines langen
Aufschwungs um 70 %-Punkte des BIP. Auch verschlechtert sich die
Leistungsbilanz normalerweise gegen Ende eines langen Aufschwungs, da die
inländische Produktion die Nachfrage nicht mehr bedienen kann und der
Nachfrageüberschuss zunehmend über Importe gedeckt werden muss. In den USA ist
das Leistungsbilanzdefizit jedoch schon seit einigen Quartalen stabil und
schwankt in engen Bandbreiten um einen Wert von etwa 2,2 % des BIP.
Zusammenfassend interpretieren wir die Datenlage wie folgt:
Vor dem
Hintergrund der beschriebenen Unsicherheiten und Konjunkturrisiken ist es
sicherlich keine Überraschung, dass die US-Notenbank in dieser Woche
kommunizierte, nicht mehr automatisch jedes Quartal den Leitzins anheben zu
wollen, sondern die Zinsentscheidung viel stärker von der Datenlage abhängig zu
machen. In der kommenden Woche könnten somit ein überraschender Rückgang des
ISM-Index (Montag), des ISM-Index des Dienstleistungssektors (Mittwoch) sowie
ein schwaches Beschäftigungswachstum (Freitag) die Fantasie eines baldigen
Endes der US-Leitzinserhöhun-gen weiter beflügeln. Die Lohndynamik (Freitag)
beschleunigte sich in den vergangenen Monaten zwar moderat, gleichzeitig
erholte sich aber auch das Produktivitätswachstum (Mittwoch), sodass die
Lohnstückkosten (Mittwoch) seit 2013 stabil mit etwa 1,0 % gewachsen sein
dürften.
Die Staats- und Regierungschefs der G20-Länder kommen am 30. November und 1. Dezember in Buenos Aires zusammen. Abgesehen von einem Treffen zwischen Putin und Mohammed bin Salman, die über den Ölpreis sprechen werden, wird der Fokus insbesondere auf dem Dinner zwischen Xi Jingping und Donald Trump liegen. Drei Szenarien erscheinen dabei möglich:
Die spannende Frage dabei ist, wo der kritische Punkt für die Weltwirtschaft ist – wo also zusätzliche Zollmaßnahmen eine globale Rezession verursachen würden. Die schon umgesetzten Strafzölle haben sicherlich Wachstum gekostet, aber die Weltwirtschaft nicht aus der Bahn geworfen. Das Wachstum in China und Europa hat sich jedoch zuletzt merklich abgeschwächt, sodass beide Regionen schon jetzt sehr anfällig bei weiteren US-Strafzöllen sein könnten. Die Einkaufsmanagerindizes in China (Montag und Mittwoch) sollten vor diesem Hintergrund nochmals gefallen sein. Insbesondere die Exportaufträge dürften maßgeblich zur Schwäche beigetragen haben.
Effekte
der bislang implementierten Importzölle auf die Wirtschaft dürften sich in
Grenzen halten – doch wurde eine Drohkulisse aufgebaut
Zusätzlich
von den USA angedrohte Zollbeschränkungen
in Mrd. USD
Quellen: Peterson Institute for International Economics, Metzler; Stand: Oktober 2018
Die Einkaufsmanagerindizes (Montag und Mittwoch) dürften entsprechend der ersten Schätzung im November merklich gefallen sein. Das Niveau steht aber immer noch im Einklang mit einem Wirtschaftswachstum von etwa 1,5 %. Die Abwärtsdynamik ist jedoch etwas besorgniserregend, da es derzeit schwierig abzuschätzen ist, auf welchem Niveau sich die Einkaufsmanagerindizes stabilisieren werden.
Die Unternehmensinvestitionen (Montag) sanken zwischen 2010 und 2013 um durchschnittlich 1,3 % pro Jahr. Seit 2014 beschleunigte sich die Wachstumsrate jedoch wieder auf 5,0 % pro Jahr, im zweiten Quartal 2018 sogar auf 12,8 %. In Japan ist also ein struktureller Investitionszyklus in Gang gekommen, da die Unternehmen zunehmend mit Robotern und künstlicher Intelligenz die schrumpfende Zahl an Arbeitskräften ausgleichen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Wirtschaftsdaten in Japan eine merkliche Produktivitätssteigerung ausweisen werden. Japan steht damit kurz davor, den Pokal des Produktivitätsweltmeisters wieder zu übernehmen. Mit einem höheren Produktivitätswachstum können auch höhere Löhne (Freitag) bezahlt werden.
Eine gute und erfolgreiche Woche wünscht
Edgar Walk
Chefvolkswirt Metzler Asset Management
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