Carmginac: Der Moment der Wahrheit

Man sollte nicht aus den Augen verlieren, dass eine erneute Konjunkturschwäche und ein Wiederaufleben des Deflationsdrucks nicht mit einer nach wie vor überschuldeten Welt vereinbar wären“, warnt Didier Saint-Georges Mitglied des Investmentkomitees bei Carmignac.

07.09.2015 | 11:29 Uhr

Nachdem wir seit Jahresbeginn mehrfach auf die zunehmende Instabilität der Finanzmärkte hingewiesen haben (siehe Carmignac‘s Note vom April „Eine zerbrechliche Welt“ und vom Juli „Der große Übergang hat begonnen“), musste letztendlich ein Funke dieses äußerst leicht entflammbaren Gemischs aus Märkten, die seit fünf Jahren von immer wehrloseren Zentralbanken getragen werden, und einem nicht in Fahrt kommenden weltweiten Wachstum, entzünden. Dieser Funke war die Entscheidung der chinesischen Zentralbank, die Parität des Renminbi am 11. August um einige Prozent zu senken. Diese Entscheidung ist jedoch nur ein Katalysator: Denn obwohl sich das chinesische Wachstum stark abgeschwächt hat, was keine Sensationsmeldung ist, deuten keine verlässlichen Daten darauf hin, dass es in jüngster Zeit eingebrochen wäre, was das banale Einleiten einer wettbewerbsorientierten Abwertung rechtfertigen würde. Der Kern der Geschichte ist komplexer, aber auch explosiver. Es geht dabei um die Kollision zwischen dem allgemeinen Übergang, den die USA weg von den Ende 2009 ergriffenen Rettungsmaßnahmen vollzieht und dem Kurs Chinas: Dieser steuert mit voller Kraft auf eine tiefgreifende Restrukturierung der Wirtschaft des Landes sowie auf die Öffnung seiner Kapitalmärkte. Die enormen Liquiditätsspritzen für das weltweite Finanzsystem seit sechs Jahren, die einen Höhenflug von Finanzanlagen (+200% für den Index S&P500 seit seinem Tiefpunkt von 2009), das Aufblähen der chinesischen Währungsreserven und ein nie dagewesenes Schrumpfen der Zinssätze ermöglicht haben, stoßen an ihre Grenzen. Das Ende des Quantitative Easing der Fed seit Oktober 2014 und die unausweichliche Inangriffnahme der Kreditblase in China beginnen im Finanzsystem allmählich Wirkung zu zeigen. Dies erfolgt zu einem Zeitpunkt, in welchem die Weltwirtschaft nach wie vor instabil ist und die chinesische Konjunktur sich abschwächt. Die Anspannung dieser weltweiten Liquiditätsbedingungen, insbesondere bei einem weiteren Kapitalabfluss aus China und den Schwellenländern, erhöht die Gefahr eines Deflationsdrucks auf die Industrienationen, den sie kaum gebrauchen können. In Vorausschau auf diese Problematik sind die Märkte nun in eine instabile Übergangsphase eingetreten. Diese nunmehr sehr konkrete Situation zwingt uns dazu, eine sehr vorsichtige Anlagestrategie umzusetzen, auf die wir uns seit Jahresbeginn vorbereitet haben.

Das Risiko für die Industrienationen ist weniger eine Zuspitzung der Konjunkturschwäche Chinas, sondern vielmehr eine massive Verschlechterung der Zahlungsbilanz des Landes. Die Konjunkturschwäche Chinas ist bekannt, und die im August veröffentlichten Wirtschaftsdaten (Industrieproduktion, Exporte, Investitionen) haben diesen Trend nur noch bestätigt. Weniger bekannt ist hingegen die Geschwindigkeit der Neugewichtung, durch die der Beitrag von Dienstleistungen zum BIP den der Industrie um 15% übersteigt. Diese wirtschaftliche Umstrukturierung ist besonders schmerzhaft für die Handelspartner Chinas und lässt sie zu Recht ein Wachstum, das wir heute auf etwa 5% pro Jahr schätzen (Konsumausgaben allein verzeichnen ein Wachstum von 10% und der e-Commerce wächst um 38% pro Jahr), als eine „harte Landung“ empfinden.

Das Hauptproblem liegt woanders: Das Ende des Quantitative Easings und die Aussicht auf eine Anhebung der Leitzinsen durch die Fed haben einen massiven Rückfluss von Kapital ausgelöst, das seit 2009 in China investiert war. In Wirklichkeit gehen die Anfänge dieses Phänomens sogar auf 2003 zurück. Der daraus resultierende Abwärtsdruck auf den Renminbi hat sich verschärft, seit die chinesischen Behörden am 11. August das effektive Ende der systematischen Kopplung an den US-Dollar bekanntgaben. Und dieser Druck zwingt sie nun dazu, ihre Währungsreserven zu verwenden, um einen unkontrollierten Fall der Währung zu verhindern. China verfügt natürlich über ein beträchtliches Polster an Währungsreserven und dürfte bestens gerüstet sein. Doch die Verwendung seiner Währungsreserven zur Unterstützung seiner Landeswährung ist eine bedeutende Wende des Trends der vergangenen sechs Jahre. Dies steht in Einklang mit dem Ehrgeiz Chinas, dem Renminbi den Status einer starken und stabilen Währung zu verleihen und ihn schnell zur Reservewährung zu machen. Doch dieser Trend läuft heute einer stark schwächelnden chinesischen Wirtschaft und einer immer noch an weitere Geldschöpfung gewöhnte Weltwirtschaft zuwider.

Einigen Studien zufolge könnten in den kommenden zwölf Monaten über 600 Milliarden Dollar aus China abfließen, indem die berüchtigten Carry-Trades aufgelöst werden, diese Gespenster der amerikanischen Geldschöpfung der vergangenen Jahre. Dieser Druck könnte die chinesischen Behörden irgendwann dazu veranlassen, ihre Währung noch weiter einbrechen zu lassen, statt weiter aus ihren Währungsreserven zu schöpfen. Eine solche Kapitulation unter dem Druck der Märkte wäre für die Handelspartner Chinas wahrscheinlich ein Heilmittel, das schlimmer als die Krankheit ist. Denn für China würde dies bedeuten, dass es letztendlich über die Abwertung der Währung seinen eigenen Deflationsdruck an seine Handelspartner „exportiert“. Ein weiteres Element dieses besorgniserregenden Bildes ist das sehr stark gesunkene Vertrauen in die Beherrschung der Lage seitens der chinesischen Behörden. Denn sie haben jüngst viel an Glaubwürdigkeit verloren, als sie äußerst ungeschickt zu Jahresbeginn eine Bewertungsblase an den heimischen Aktienmärkten erzeugten, indem sie Privatanleger zu spekulativen Käufen ermunterten, und dann das Platzen dieser Blase sehr schlecht managten. Bis heute sind hunderte chinesischer Titel noch vom Handel ausgesetzt.

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