Edgar Walk, Chefvolkswirt Metzler Asset Management, nimmt in seinem Kapitalmarktausblick auf die nächste Woche das Herdenverhalten der Anleger unter die Lupe. In diesem Zusammenhang geht er der Frage nach, warum die ansonsten so bewährte Lernmethode des Kopierens bei Anlageentscheidungen an ihre Grenzen stößt.
20.12.2019 | 16:00 Uhr
Zudem beschäftigt er sich mit der Dominanz der US-Aktien, die sich in einem historisch hohen Anteil am Index MSCI Welt widerspiegelt, und leitet daraus gestiegene Risiken für Gewinnenttäuschungen der dahinterstehenden US-Unternehmen ab. Last but not least wirft er einen Blick nach Großbritannien – und auf die möglichen Auswirkungen des klaren Wahlsiegs von Boris Johnson auf die britische Wirtschaft.
Das
Herdenverhalten von Anlegern an den Finanzmärkten hängt vermutlich sehr
eng damit zusammen, wie Menschen lernen. Menschen lernen einerseits
mithilfe der Versuchs-und-Irrtums-Methode und anderseits indem sie
erfolgreiches Verhalten der Mitmenschen kopieren. Installiert
beispielsweise der Nachbar eine Solaranlage auf dem Dach und verringert
damit seine Strom- und Heizkosten signifikant, werden die anderen
Nachbarn sich bei ihm erkundigen und unter Umständen auch eine
Solaranlage installieren. Ein ähnliches Phänomen ist auch an den
Finanzmärkten zu beobachten, wo Anleger oft die in jüngster
Vergangenheit und auch derzeit noch erfolgreichen Anlagestrategien
anderer Investoren nachahmen. In der realen Welt funktioniert diese
Lernmethode meistens sehr gut, während sie an den Finanzmärkten oft zu
Herdenverhalten und zu enttäuschenden Ergebnissen führt.
Dabei
dürfte der Preis eine entscheidende Rolle spielen. So bleibt der Preis
einer Solaranlage in der Regel unverändert, auch wenn die Nachbarn mit
einer Installation nachziehen, sodass sich die Erfolgsrechnung des
ersten Nachbarn wiederholen lässt. Sollte jedoch der Preis der
Solaranlage aufgrund einer großen Nachfrage steigen, dürften die meisten
Haushalte in der Lage sein, im Rahmen einer Kosten-Nutzen-Analyse den
maximal akzeptablen Preis auszurechnen, weil sich die Kosten und Erträge
mit hinreichend guter Voraussicht berechnen lassen. Bei Finanzanlagen
spielt der Preis dagegen eine doppelte Rolle – einerseits als
Kostenfaktor einer Neu-investition und andererseits als Basis der
Performance schon bestehender Anlagen. Bei einem Kursanstieg fühlen sich
die investierten Anleger in ihrer Entscheidung bestätigt, während
Neuanleger dann zwischen den gestiegenen Kosten einerseits und der
Teilnahme am offensichtlichen Erfolg der Anlage andererseits abwägen
müssen. Das große Problem dabei ist, dass sich ein maximal akzeptabler
Kurs nicht einfach ausrechnen lässt. Die Erfahrung der vergangenen 20
Jahre zeigt, dass wenn es um die Zukunft geht, der Fantasie keine
Grenzen gesetzt sind und sich mehr oder weniger jeder Kurs mit den
geeigneten Annahmen rechtfertigen lässt.
Je weiter sich eine Anlage(grippe)welle bereits ausgebreitet hat, desto mehr Vorsicht ist geboten
Dabei ist zu beobachten, dass sich das Herdenverhalten oft wie eine Grippewelle ausbreitet. Am Anfang ist nur eine sehr kleine Gruppe in einer Finanzanlage investiert (in Kontakt mit dem Virus). Mit zunehmendem Erfolg der Finanzanlage kommen immer mehr Bevölkerungsgruppen in Kontakt mit der Anlageidee, von der sich ein bestimmter Prozentsatz dann anstecken lässt und auch investiert. Wenn schon fast die gesamte Bevölkerung in Kontakt mit dem Virus gekommen ist, liegt die Infektionsrate am höchsten. Da der Virus dann kaum noch gesunde Personen findet, die er anstecken könnte, ebbt die Grippewelle wieder ab.
Finanzmarktblasen entwickeln sich wie Grippewellen
Schematische Darstellung der „Theorie des größeren Narren“
Quelle: Metzler
Damit
erklärt sich sehr anschaulich, warum es an den Finanzmärkten immer
wieder zu Trends kommt, die oft in einer Übertreibung enden. Und es
lässt sich begründen, warum viele Anleger oft uneinsichtig sind und sich
nicht von Gegenargumenten überzeugen lassen. Schon seit frühester
Kindheit erleben die Menschen die Methode des Kopierens als sehr
erfolgreich und übertragen sie daher automatisch auf alle Lebenslagen.
Wichtig ist es daher, aufmerksam zu bleiben: Wenn alle über eine
bestimmte Finanzanlage sprechen, wie derzeit zum Beispiel über Private
Equity, könnten die Anlage(grippe)welle und die Kurse schon ihren
Hochpunkt erreicht haben. Darüber hinaus ist es wichtig, sich immer
selbst kritisch zu fragen, warum man bestimmte Anlagen derzeit
präferiert und warum andere Anlage unattraktiv erscheinen.
Den vollständigenMetzler Asset Management "Economics"
Kapitalmarktausblick KW 52 können Sie sich hier im PDF-Format herunterladen.
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