Schroders: 60 Sekunden - wirtschaftliche Auswirkungen des Brexit

Wie wird sich die Entscheidung zum Verlassen der EU auf die Aussichten der britischen Wirtschaft auswirken? Ist ein Dominoeffekt für Europa und den Rest der Welt zu erwarten? Die Effekte dürften überschaubar bleiben, doch es gibt nicht zu unterschätzende Herausforderungen, erklärt Chefvolkswirt Keith Wade

20.07.2016 | 10:52 Uhr

Die Brexit-Entscheidung wird nicht folgenlos für die britische Wirtschaft bleiben. So erwarten wir erheblich weniger Wachstum beim Bruttoinlandsprodukt – und haben entsprechend unsere Prognose für das nächste Jahr von 1,6 auf 0,8 % halbiert.

Mit Theresa May hat Großbritannien nun eine neue Premierministerin, was die Unsicherheiten zum Teil dämpfen kann: Wir verfügen so über die Voraussetzung, überhaupt eine Verhandlungsposition zu Handel und (Arbeits-)Migration einzunehmen.

Dennoch wird es seine Zeit brauchen, bis die Verhandlungen zu einem Ende kommen. Mit längeren Gesprächen wird auch die Unsicherheit anhalten – und mit fortschreitender Zeit erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass die Investitionsausgaben in Großbritannien sinken werden.

Unter dem Strich werden Investitionsbereitschaft und Engagement in Großbritannien wesentlich von einem Punkt abhängen: nämlich was man allgemein von einem zukünftigen Handelsabkommen erwartet.

Wahrscheinlich werden nächstes Jahr die Wahlen in Deutschland und Frankreich den Prozess verlangsamen. Von daher dürften wir 2017 eher zähe Ergebnisse sehen und erste wirkliche Fortschritte erst im Jahr 2018.

Ein weiterer Punkt kommt noch hinzu: Beim umfassenden Freihandelsabkommen der EU mit Kanada wurde zuletzt klar, dass die nationalen Parlamente aller 27 Mitgliedsstaaten einzeln zustimmen müssen. Möglicherweise könnte es vier oder fünf Jahre dauern, bis wir in Großbritannien wirklich wissen, wo wir stehen.
Betrachtet man weitere Regionen, so ist die Eurozone am direktesten betroffen. Schwächerer Handel ist die eine Seite, doch auf der anderen Seite liegen die wirklich großen Gefahren in einer möglichen Vielzahl neuer Referenden: So hat Ungarn zuletzt angekündigt, über die Flüchtlingsproblematik abstimmen zu lassen.

Die Frage ist also, ob die Staaten Kerneuropas in der Lage sein werden, die Union zusammenzuhalten – was besonders den Rand Europas betrifft.
In diesem Zusammenhang sehe ich eine ganze Reihe von Bewährungsproben, die erste in Italien. Hier wird man sehen müssen, ob es einen Rettungsschirm geben wird und ob sich so die Bankenkrise lösen lässt. Außerdem steht im Herbst ein Verfassungsreferendum an, über das die Regierung fallen könnte.

Eine weitere Bewährungsprobe wird der Europäische Fiskalpakt sein. Hier zählt vor allem die Frage, wie man mit Defizitverfahren umgehen wird. Spanien und Portugal haben die Grenzen für ihr Haushaltsdefizit überschritten; eigentlich müsste die EU nun ein Defizitverfahren einleiten, was jedoch unter den aktuellen Umständen nicht zu erwarten ist.

In Bezug auf die Weltwirtschaft dürften sich die Folgen eines Brexit in Grenzen halten. 

Man sollte nicht außer Acht lassen, dass Großbritannien lediglich mit 4 % zum weltweiten Bruttoinlandsprodukt beiträgt. Damit wird eine Abkühlung oder gar eine Rezession der britischen Wirtschaft sich nicht wesentlich auf den Rest der Welt auswirken. Außerdem dürfte die Zinspolitik der großen Notenbanken das Wachstum hinreichend stützen.

Die hierin geäußerten Ansichten und Meinungen stammen von Keith Wade, Chefvolkswirt und Stratege, und stellen nicht notwendigerweise die in anderen Mitteilungen, Strategien oder Fonds von Schroders oder anderen Marktteilnehmern ausgedrückten oder aufgeführten Ansichten dar.

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