Die Notenbanken haben ihr Pulver verschossen, so Didier Saint-Georges. Das bringt zwei neue Spieler auf den Plan: den Wirtschaftszyklus und die Politik - nicht ohne Risiko für die Anleger.
19.07.2018 | 09:42 Uhr
Nachdem die Zentralbanken zehn Jahre lang das wirtschaftliche Geschick der Industrieländer gelenkt haben, ist ihre Aufgabe mehr oder weniger erledigt. Der Rückgang der monetären Stützung bedeutet eine Schwächung der Märkte und ist für die Anleger von erheblicher Bedeutung. Dadurch treten jedoch zwei andere Kräfte hervor: der Wirtschaftszyklus und die Politik.
Was den Zyklus betrifft, so haben sich die Märkte momentan beruhigt und erfreuen sich besserer Konjunkturdaten. Dies ist auch in den Vereinigten Staaten dank der expansionistischen Haushaltspolitik von Präsident Trump der Fall. Der Zyklus zeigt die ersten Anzeichen einer Abschwächung.
Auf politischer Ebene führte die globalisierte liberale Wirtschaft in den letzten Jahren zum Entstehen einer Art Rebellion gegen die etablierte Wirtschaftsordnung.
Die Kollision zwischen dem monetären-, wirtschaftlichen- und politischen Zyklus stellt das vorrangige Risiko für die Märkte dar.
Die Attacke der Vereinigten Staaten auf China,
zusammen mit dem Versiegen der weltweiten Dollarquelle, hat schon die ersten
Opfer gefordert. Die chinesische Börse hat seit Anfang des Jahres 15 Prozent an
Wert verloren. Die Volkswirtschaften, die stark von einer externen Finanzierung
in Dollar abhängig sind, an vorderster Stelle Argentinien, sind ebenfalls davon
betroffen.
Möchten die Vereinigten Staaten verhindern, dass China seinen strategischen Plan „Made in China 2025“ umsetzt? Wenn ja, wird die Konfrontation lange andauern und viele Opfer fordern. Der chinesische Präsident ist sicherlich nicht geneigt, sein ehrgeiziges Ziel aufzugeben, wonach Chinas Aufstieg in der weltweiten industriellen Wertschöpfungskette weiter vorangehen soll. Es ist jedoch nicht sicher, ob in Donald Trump ein homerischer Held zu sehen ist, den das Schicksal in einen verhängnisvollen Krieg drängt, der am Ende einen der Protagonisten auslöscht.
Das Gegenteil ist plausibel: Amerikas Ziel ist pragmatisch, politisch und sehr viel kurzfristiger. Sich vor den Zwischenwahlen einer Verständigung mit China und möglichst auch mit der Europäischen Union rühmen zu können, würde in der Öffentlichkeit die größte Wirkung erzielen. Eine Anlagestrategie darf daher nicht ausschließen, dass es zu gegebener Zeit zu einem rationalen Ausgang kommt.
Kurzfristig mahnt die Sorge um Kapitalerhalt in allen Szenarien zur Vorsicht, jedoch mit der gebotenen Flexibilität und Reaktivität. Es muss ja nicht zum Schlimmsten kommen.
Die Panikbewegungen, die die immer mal wieder aufflackernden Pläne eines Eurozonenaustritts begleiten, lassen einen wesentlichen Aspekt außer Acht: Der öffentlichen Meinung ist längst bewusst, dass ein Austritt unfinanzierbar ist. Sei es zu Recht oder zu Unrecht, der Euro ist heute unumkehrbar, wie Mario Draghi vor kurzem äußerte. Die gesamte Europäische Union bedarf jedoch dringend Reformen. Ansonsten bringen wiederholte Erschütterungen das gesamte Gebäude zum Einsturz.
Auf wirtschaftlicher Ebene könnte beispielsweise eine Steuerreform in Deutschland eine glaubhafte Antwort auf das Risiko einer Konjunkturabschwächung sein. Durch diese Geste der politischen Führung würde das Land die Rolle als europäische Wachstumslokomotive übernehmen, statt weiterhin hauptsächlich als Wächter über die Maastricht-Kriterien zu aufzutreten. Einer der häufigsten Fehler der angelsächsischen Beobachter ist es wohl, dass sie das politische Bestreben unterschätzt haben, gemeinsam für das Überleben der Eurozone einzutreten. Das eigentliche Risiko ist unserer Auffassung nach kurzfristig das Risiko des Zyklus. Die Unterstützung durch die Geldpolitik läuft aus und die haushaltspolitische Stabilisierung ist mangels Reformen unzureichend.
Die Bedrohung durch Protektionismus schürt natürlich bei den meisten Wirtschaftsakteuren Ängste. Dies gilt jedoch auch für die Vereinigten Staaten, wo die Geschäftswelt der amerikanischen Regierung die Risiken einer solchen Politik aufzuzeigen beginnt. Paradoxerweise verstärkt die Tatsache, dass sich diese Politik direkt oder indirekt nur in geringem Maße auf das amerikanische Wirtschaftswachstum auswirkt, das Risiko, dass diese rigide politische Haltung in unmittelbarer Zukunft beibehalten wird. So wird die Lage der Märkte heute im Wesentlichen politisch beeinflusst. Dies führt zu einer geringeren Vorhersehbarkeit und gemahnt zur Vorsicht. Die ausgleichenden Kräfte, oder anders gesagt der gesunde Menschenverstand, dürften bzw. dürfte sich durchsetzen und zu guten Kompromissen führen.
Es sei daran erinnert, dass das eigentliche Risiko für die Märkte komplexer, also kurzfristig weniger gefürchtet wird: Es liegt in einer möglichen Kollision zwischen diesen destabilisierenden Wirtschaftspolitiken, einem anfällig gewordenen Wirtschaftszyklus und der Tatsache, dass die Zentralbanken ihre Munition verschossen haben.
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