Adipositas (Fettleibigkeit) ist weltweit auf dem Vormarsch und wortwörtlich eine Last nicht nur für Betroffene. Auch die Gesundheits- und Sozialsysteme von Volkswirtschaften belastet diese Erkrankung.
16.08.2022 | 10:13 Uhr
Adipositas (Fettleibigkeit) ist weltweit auf dem Vormarsch und wortwörtlich eine Last nicht nur für Betroffene. Auch die Gesundheits- und Sozialsysteme von Volkswirtschaften belastet diese Erkrankung.
Mehrere vielversprechende neue Medikamente sind aktuell in Studien oder bereits zugelassen und könnten teure Magenverkleinerungen obsolet machen. Unternehmen hinter diesen möglichen Blockbustern von morgen sind einen genaueren Blick wert, ebenso wie Covid-19-Impfstoffhersteller, da das Virus Adipositas-Erkrankte deutlich stärker gefährdet.
Adipositas (Fettleibigkeit) – Ein spannender und wachsender
Health Care-Markt
Aktuell gibt es weltweit über 764 Millionen adipöse Menschen, definiert mit
einem Body-Mass-Index (BMI) über 30. Der BMI errechnet sich aus dem Gewicht
einer Person geteilt durch die Körpergröße in Metern zum Quadrat. Bis 2030
sollen weltweit über eine Milliarde Menschen an Adipositas leiden. Adipositas
führt bei den Betroffenen zu einem erheblichen subjektiven Leidensdruck, ist
aber vor allem auch mit multiplen Folgeerkrankungen verbunden. Dennoch werden
aktuell nur ca. 2% aller Betroffenen weltweit medizinisch behandelt. Demnach
ist der Bereich Adipositas bislang kaum erschlossen und ein ausgesprochener
Wachstumsmarkt.
Wegovy – ein vielversprechendes Medikament
Operative Magenverkleinerungen zur Behandlung von Adipositas sind zwar
erfolgreich und zunehmend etabliert, stellen aber einen invasiven Eingriff dar,
der nicht-reversibel ist und lebenslange Kontrollen nach sich zieht. Aus diesem
Grunde suchte man schon früh nach medikamentösen Behandlungsstrategien, die –
selbst, wenn sie erfolgreich waren – häufig wegen ihrer Nebenwirkungen
abgesetzt oder sogar ganz vom Markt genommen wurden.
Durchgesetzt haben sich bislang allein Medikamente aus der Diabetologie, sog.
GLP-1- Rezeptor-Agonisten. Als Weiterentwicklung des bewährten, aber nur mäßig
effektiven Wirkstoffs Liraglutid gibt es nun hochdosiertes Semaglutid (unter
dem Produktnamen Wegovy) von Novo Nordisk. Semaglutid ist in niedrigerer Dosis
unter dem Produktnamen Ozempic weltweit seit Jahren in der Diabetologie bewährt
und anwendungssicher. Wegovy hat in großen Studien Gewichtsreduktionen von über
15 Prozent nachweisen können und ist bereits in den USA als reines
Abnehmmedikament offiziell zugelassen. Eine europaweite Zulassung erfolgte Anfang
2022. Die Nachfrage nach Wegovy ist so hoch, dass Novo Nordisk mit der
Produktion nicht nachkommt. Infolgedessen wird hier derzeit teilweise das
niedriger dosierte Ozempic (als Off-Label-Use) in der Adipositasbehandlung
angewendet.
Neues vielversprechendes Medikament Mounjaro von Eli Lilly mit
Blockbusterpotenzial
Die Wirksubstanz Tirzepatid des US-Pharmakonzerns Eli Lilly ist als sogenanntes
Twinkretin zunächst einmal eine Weiterentwicklung in der Diabetologie, da sie
zusätzlich zu GLP-1- auch GIP-Rezeptoren adressiert.
Die in Studien gezeigten Effekte auf den Blutzucker übertrafen die der reinen
GLP-1- Rezeptor-Agonisten. Und auch die Gewichtsreduktionen waren
eindrucksvoll: Mit bis zu 22,5 Prozent Gewichtsabnahme übertrifft diese
Substanz nicht nur alle bislang bekannten Medikamente, sondern nähert sich als
Medikament erstmals einer Schallmauer, die bislang nur von der
Magenverkleinerung bekannt war.
In Europa erwartet Eli Lilly bis Jahresende eine Zulassung, ab 2023 könnte die
Spritze mit dem Wirkstoff Tirzepatid unter dem Produktnamen Mounjaro auch
hierzulande gegen Diabetes (Typ 2) auf ärztliche Verordnung verfügbar sein. In
den USA ist das Medikament bereits seit einigen Monaten auf dem Markt.
Tirzepatid gilt daher als eine der vielversprechendsten Neuentwicklungen der
letzten Jahre mit hohem Blockbuster-Potential. Abzuwarten bleiben die
Outcome-Studien in der Diabetologie, die tatsächliche Verträglichkeit und
Wirkung unter „real-life“ Bedingungen. Spannend wird dann sein, ob Tirzepatid
auch allein zur Therapie der Adipositas zugelassen werden wird. Hier wird eine
Entscheidung im Jahr 2023 erwartet.
Eine Win-Win-Situation für Betroffene und Kostenträger
Die globalen negativen wirtschaftlichen Auswirkungen von Fettleibigkeit werden
auf ca. drei Prozent des weltweiten BIPs geschätzt. Verursachte direkte und
indirekte Kosten durch Fettleibigkeit werden somit jährlich auf über 900
Milliarden USD geschätzt.
Umso höher ist der Druck nicht nur auf staatliche Kostenträger, sondern auch
auf die Betroffenen, diese Kosten zu reduzieren. Medikamente sollen erst zum
Einsatz kommen, wenn durch Lebensstiländerungen keine oder eine unzureichende
Gewichtsabnahme erzielt wird. Ultima ratio ist bei erfolgloser Therapie dann
die operative Magenverkleinerung. Hierbei wird das Volumen des Magens
verkleinert und Körpergewichtsreduktionen von rund 25-30 Prozent sind die
Folge. Aber die Kosten hierfür sind hoch: In den Vereinigten Staaten belaufen
sich die Kosten einer Magenverkleinerung auf etwa 25.000 bis 35.000 USD. In
Deutschland kostet eine solche Operation zwischen 8.000 und 15.000 Euro.
Umso spannender sind die neuen möglichen Medikamente. Wegovy von Novo Nordisk
ist in den USA bereits zur Behandlung von Adipositas zugelassen und kostet
leicht mehr als 1.000 USD pro Jahr - wohlgemerkt bei einer möglichen
Gewichtsreduktion von über 15 Prozent. Das neue Medikament von Eli Lilly mit
mehr als 20 Prozent Gewichtsreduktion wird wahrscheinlich ähnlich bepreist
werden, sodass viele staatliche Kostenträger die einfachere und günstigere
Variante einer medikamentösen Behandlung gegenüber der Magenverkleinerung
vorziehen könnten.
Hohe Marktdurchdringung nur mit genügend klinischen Daten
Bei einer medikamentösen Behandlung von nur zehn Prozent der weltweit über 750
Millionen adipösen Menschen mit jährlichen Kosten von 1.000 USD pro Jahr für
Wegovy oder Mounjaro wäre der Markt über 70 Milliarden USD groß: ein Markt mit
genügend Platz für zwei große Pharmaunternehmen. Voraussetzungen sind aber
positive Studienergebnisse, ein Nachweis der Verträglichkeit und vor allem die
Entscheidung der Kostenträger, auch die oben genannten Medikamente in die
Erstattungspflicht bei gegebener Indikation einzubeziehen. Die Notwendigkeit
dafür ist gegeben. Zahlreiche Folgeerkrankungen von Adipositas sind bekannt
(und kostenintensiv), wie z.B. Praediabetes, Diabetes Mell. Typ 2,
Bluthochdruck, kardiovaskuläre Erkrankungen, obstruktive Schlafapnoe,
Leberveränderungen etc. Aus gutem Grunde hat die WHO Adipositas offiziell als
Erkrankung und nicht nur als Beeinträchtigung klassifiziert.
Covid-19 und Adipositas: Höheres Risiko für Hospitalisierung
Aufmerksamkeit gilt auch dem Zusammenhang zwischen Covid-19 und Adipositas,
denn letztere scheint einen schweren Verlauf von Covid-19 zu begünstigen. Laut
der deutschen Adipositas-Gesellschaft und Studien von der Universität Oxford
haben Menschen mit Adipositas ein zweifach erhöhtes Risiko für eine
Hospitalisierung im Falle einer Covid-19-Erkrankung. Rasche Booster-Impfungen
seien auch für Menschen mit schwerem Übergewicht wichtig zum Schutz vor einem
schweren Verlauf und helfen, Todesfälle zu vermeiden. Somit zählt starkes
Übergewicht neben Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes zu den häufigsten
Risikofaktoren für einen schweren Verlauf von Covid-19. Dieses ist besonders in
der aktuellen Zeit der Corona-Sommerwelle relevant und dürfte mit der
möglicherweise anstehenden Herbst-Welle noch stärker an Bedeutung gewinnen.
Umso wichtiger werden die Studiendaten von BioNTech/Pfizer oder Moderna zu den
modifizierten Impfstoffen im Herbst sein, die eine erneute Booster-Impfung
wahrscheinlich sinnvoll erscheinen lassen, um für die mögliche Herbst-Welle
einen besseren Schutz zu bieten. Technologisch führend bleiben auch im Jahr
2023 BioNTech/Pfizer und Moderna.
Weltweit prognostizieren Studien einen Anstieg an Adipositas-Erkrankungen auf
rund 1 Milliarde Menschen. Die Anzahl der Diabetiker (Typ 1 und 2) wird mit
einem Anstieg auf 587 Millionen Menschen im gleichen Zeitraum erwartet.
Pharmaunternehmen mit Schwerpunkt auf Therapien für Diabetes und Adipositas
bleiben somit weiterhin interessant. Besonders das Jahr 2023 wird für die
Unternehmen Novo Nordisk und Eli Lilly spannend. Novo Nordisk sollte bis dahin
die hausinternen Lieferketten-Probleme bei Wegovy in den Griff bekommen haben,
und Eli Lilly könnte mit einem rasanten Volumenwachstum den Markt durchdringen.
Sowohl kurzfristige (Herbst-Welle) als auch langfristige (mRNA-Technologie in
anderen Indikationen) Therapiechancen werden für die mRNA-Technologie-Unternehmen
eine Rolle spielen. Denn (nicht nur) Covid-19 wird uns auch leider im Jahr 2023
weiter begleiten.
(Anbei zwei Grafiken zum Thema im angehängten PDF)
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