Aktuell kommt man an dem Wort Rezession nicht vorbei: Wahlweise ist eine Rezession unausweichlich, sehr wahrscheinlich oder sogar bereits da. Bei vielen Anlegerinnen und Anlegern sorgt das unweigerlich für ein ungutes Gefühl. Hier wesentliche Fragen und Antworten im Überblick:
14.07.2022 | 06:10 Uhr
Orientiert man sich an der aktuellen Berichterstattung, so entsteht leicht der
Eindruck, dass eine Rezession die Tiefphase eines Konjunkturzyklus darstellt.
Tatsächlich handelt es sich bei der Rezession um die Phase des Abschwungs, die
sich durch eine abnehmende Wirtschaftsleistung äußert. Experten sprechen dann
von einer Rezession, wenn das Brutto-Inlandsprodukt (BIP) einer Volkswirtschaft
in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen im Vorjahresvergleich rückläufig ist.
Dabei ist egal, wie klein oder groß die Diskrepanz zwischen den
Vergleichswerten ist.
BIP: Das Bruttoinlandsprodukt ist eine offizielle Messgröße für die
Wirtschaftsleistung einer Volkswirtschaft. Es misst die Gesamtproduktion aller
Waren und Dienstleistungen im Inland nach Abzug aller Vorleistungen.
Neben dem rückläufigen BIP gibt es noch weitere Kennzeichen, unter anderem:
• fallende Börsenkurse
• sinkende Produktion
• abnehmendes Lohnniveau
• zunehmende Arbeitslosigkeit
• Rückgang der Nachfrage und des Konsums
• pessimistische Marktprognosen
• überhohe Lagerbestände
• sinkende Preise
Generell gilt: Nicht jede Rezession ist gleich, weswegen die Merkmale im
Einzelfall abweichen können.
Eine Volkswirtschaft, die sich abkühlt und an Fahrt verliert, kennt viele
Verlierer. Dazu gehören vor allem die Beschäftigten im Niedriglohnsektor sowie
Haushalte mit geringerem Einkommen. Viele Unternehmen werden zum Sparen
gezwungen und versuchen, ihre fundamentalen Daten durch Personalabbau zu
verbessern. Die Sozialsysteme werden durch eine steigende Arbeitslosigkeit
belastet – abnehmender Konsum wiederum verringert staatliche Steuereinnahmen
und die Umsätze der Unternehmen. Und: Nicht jedes Unternehmen überlebt einen
solchen wirtschaftlichen Abschwung.
Bei allen Schwierigkeiten, die eine Rezession mit sich bringt – sie kann auch Positives bewirken. Unternehmen, deren Geschäftsmodelle langfristig nicht tragfähig sind, etwa weil sie nur auf Pump ausgelegt sind, werden bisweilen ausgesiebt. So findet eine gewisse Form der Bereinigung statt. Die Nachfrage lässt nach, und damit sinkt in der Regel auch die Inflationsrate. Die Überhitzung, die in der Phase der Hochkonjunktur eingesetzt hat, kühlt allmählich ab. Und bereits die Überhitzung ist gekennzeichnet von teils negativen Merkmalen wie:
• geringes oder stagnierendes Wachstum
• Übertreibungen und zu starker Optimismus führen zu Fehlinvestitionen
• Preise steigen
• fragmentierte Märkte erfahren stärkere Konzentration
Insofern ist die derzeit weit verbreitete Furcht vor einer Rezession nur die
halbe Wahrheit. Eine Rezession ist eine vielschichtige Konjunkturphase, die
eine Volkswirtschaft durchaus wieder auf einen langfristig stabileren Weg
führen kann.
So dramatisch, wie derzeit über eine drohende Rezession berichtet wird, könnte
der Eindruck entstehen, dass dieses Phänomen nur sehr selten auftritt und die
letzte Rezession Jahrzehnte zurückliegt. Falsch – zurück in das Corona-Jahr
2020: Laut den Daten des Bureau of Economic Analysis (1) wiesen exemplarisch in
den USA die ersten beiden Quartale eine negative BIP-Entwicklung im
Vorjahresvergleich auf. Durch mehr monetäre und fiskalpolitische Anstrengung
konnte die Rezession jedoch schnell gestoppt werden.
Ein solcher Eingriff erscheint vor dem Hintergrund des aktuellen
Inflationsgeschehens allerdings noch unwahrscheinlich. Erst ein Rückgang der
Teuerungsraten könnte den Notenbanken wieder mehr Manövrierfähigkeit geben.
Insofern taugt die Corona-Rezession von 2020 nur bedingt als Vergleich.
Gehen wir etwas weiter zurück. Anfang der 1990er rutschte die US-Wirtschaft in
eine Rezession. Sie wurde ausgelöst von der restriktiven Geldpolitik der
US-Notenbank Federal Reserve, um die steigende Inflation zu bekämpfen.
Steigende Ölpreise trugen maßgeblich zum Anziehen der Inflation bei.
Wichtigster Preistreiber: der irakische Überfall auf Kuwait. Der so genannte Ölpreis-Schock
hielt rund neun Monate an, bis eine internationale Koalition unter Führung der
USA Saddam Husseins Truppen zurückdrängen und die Ängste um die Ölversorgung
auflösen konnte.
Insgesamt gilt die 1990er-Rezession der US-Konjunktur als vergleichsweise
milde, sie dauerte nur acht Monate. Dennoch wurde sie von einem Bärenmarkt für
Aktien flankiert, in dessen Spitze der S&P 500 in nur 68 Tagen 20 Prozent
verlor. Auch global kühlte das Wirtschaftsklima ab, sodass die europäischen
Aktien ebenfalls in einen Bärenmarkt gerieten. Dieser dauerte 131 Tage und der
Index verlor bis zu 24 Prozent. Besonders lehrreich ist allerdings nicht der
Blick auf die maximalen Verluste der Bärenmärkte, sondern vielmehr auf die
Erholung der Aktienmärkte nach diesen Rückschlägen.
Nur drei Monate nach dem Tiefpunkt des Bärenmarkts sah die Welt der
Aktienmärkte bereits ganz anders aus. Der S&P 500 lag bereits wieder bei
einem Plus von 23 Prozent, der MSCI Europe notierte bei +25 Prozent. Ein
Einzelfall, den die Märkte dem milden Rezessionsverlauf zu verdanken hatten?
Nicht ganz. Die Statistik zeigt, dass der S&P 500 bei Bärenmärkten im
Schnitt sechs Monate nach dem Tiefpunkt bei +25 Prozent, zwölf Monate danach
sogar bei +36 Prozent steht. Demgegenüber steht ein durchschnittlicher Drawdown
(der maximale Wertverlust bis zum Wiedererreichen des Ursprungswertes) von 34
Prozent. Ein ähnliches Bild zeigt sich in den anderen Indizes. Der MSCI Europe
liegt ein Jahr nach Bärenmarkt-Tiefpunkten bei einem Plus von 34 Prozent,
während der Drawdown 32 Prozent beträgt. Und auch im Weltindex MSCI All Country
World steht zwölf Monate nach einem Bärenmarkt eine Erholung von 32 Prozent
einem Drawdown von 25 Prozent gegenüber.
Sogar lang anhaltende Bärenmärkte, etwa während der Rezessionen Anfang der
2000er (New Economy-Blase) und während der großen Finanzkrise ab 2007, konnten
sich mit etwas Distanz wieder erholen. Bei ersterer verlor der S&P bis zu
49 Prozent und konnte bis zwölf Monate nach dem Tiefpunkt immerhin 33 Prozent
wieder gutmachen. Bei zweiterer ging es sogar 57 Prozent nach unten, dafür
folgte eine Erholung von 68 Prozent ein Jahr später.
(siehe Grafik im Anhang)
Rezessionen sind herausfordernd für eine Volkswirtschaft, sie können ihr
perspektivisch aber auch helfen. Aktienmärkte und Rezessionen vertragen sich
nicht besonders gut, aber dennoch haben die Märkte sich, historisch betrachtet,
bisher immer wieder erholt. Für Anlegerinnen und Anleger bedeutet das vor allem
eines: Ruhe bewahren. Breite Abschwünge in der Wirtschaft und an der Börse sind
schmerzhaft, rote Zahlen sieht niemand gern im Portfolio. Aber: Nicht jede Aktie
und nicht jedes Unternehmen leidet in einem solchen Negativszenario
gleichermaßen. Schon auf Sektor-Ebene werden Unterschiede deutlich. Die
Automobil-Industrie etwa muss mit durchschnittlich -61 Prozent maximalem
Drawdown in Marktkrisen vergleichsweise hohe Verluste verkraften. Auch der
Immobiliensektor wird mit -59 Prozent durchschnittlichem maximalen Drawdown in
Krisenzeiten stark gebeutelt.
Als krisenresistenter erweisen sich Wirtschaftszweige, auf die Verbraucher auch
in schweren Zeiten nicht verzichten können. Basiskonsumgüter wie Haushaltswaren
und Lebensmittel führen das Feld mit einem maximalen durchschnittlichen
Drawdown von 23 Prozent an. Auch der Gesundheits-Sektor steht in Krisenzeiten
mit einem Drawdown-Durchschnittswert von 31 Prozent, zumindest relativ gesehen,
besser da als viele andere Bereiche.
In der aktuellen Marktphase beweisen diese Bereiche, zumindest bislang, erneut
ihre Resilienz. Aber auch der Telekommunikationssektor, Versorger und
Versicherungsunternehmen stehen relativ gut da, weil sie über einen festen
Kundenstamm mit meist lang laufenden Verträgen verfügen. Generell setzen wir
bei Unternehmen weiterhin auf Kriterien wie Preissetzungsmacht und eine starke
Marktposition bzw. die Fähigkeit, die Margen zu halten. Einzelne Anlagechancen
sehen wir auch bei festverzinslichen Wertpapieren mit derzeit hohen
Renditeniveaus. Wer das Risiko im Portfolio generell möglichst reduzieren
möchte, für den eignen sich defensive Aktien, eine höhere Cashquote,
gegebenenfalls eine höhere Anleihenquote oder eine Goldbeimischung. Vollständig
auszusteigen kann im schlimmsten Fall sehr teuer werden. Denn: Die Börse
klingelt weder zum Ausstieg noch zum Wiedereinstieg.
Kommt eine Rezession? Diese Gleichung hat einige Unbekannte, zu denen
maßgeblich das zukünftige Verhalten der US-Notenbank gehört. Sie steht
innenpolitisch angesichts der hohen Inflation unter Druck. Sollte die
amerikanische Notenbank ihre aktuelle Zinspolitik fortsetzen, ist die
Wahrscheinlichkeit für eine Rezession also hoch, denn die geplanten weiteren
Zinserhöhungen könnten die Wirtschaft abrupt ausbremsen.
Diese zinspolitische Bremse kombiniert mit hoher Inflation und den derzeitigen
geopolitischen Risiken macht es Anlegerinnen und Anlegern nicht gerade leicht.
Bei Aktien und Unternehmensanleihen kommt es auf gut geprüfte Auswahl an:
Beispielsweise bieten Unternehmen aus den USA aktuell mehr Chancen als der
europäische Markt, der auch stärker unter dem Krieg in der Ukraine leidet. Den
Markt und die entsprechenden Wirtschaftsindikatoren genau im Blick halten und
sich flexibel anpassen – daran führt jedenfalls kein Weg vorbei.
(1) (Gross Domestic Product, Second Quarter 2021 (Advance Estimate) and Annual
Update | U.S. Bureau of Economic Analysis (BEA))
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