Die Weltwirtschaft erholt sich von den Folgen der Corona-Pandemie, viele Aktienmärkte haben sich im ersten Halbjahr 2021 gut entwickelt. Doch wie geht es weiter?
25.06.2021 | 09:29 Uhr
Dr. Jens Ehrhardt analysiert Notenbank-Vorgaben, Markt-Sentiments und Branchenpotenziale für die kommenden Monate – anhand aktueller Fragen von DJE-Social-Media-Followern.
Herr Dr. Ehrhardt, zunächst
ein Blick zurück: Sie haben bei Ausbruch der Covid-Pandemie einen
DAX-Stand von 16.000 Punkten für das Frühjahr 2021 vorhergesagt. Hatten
Sie einfach eine gute Glaskugel?
Nein – und ich bin eigentlich kein Freund von festen Kurszielen. Aber in
diesem Fall hatten wir eine so außergewöhnliche geld- und
fiskalpolitische Situation, dass ich der Meinung war, man muss einmal
ein Zeichen setzen. Denn ich habe nie zuvor erlebt, dass besonders von
der monetären Seite her die Konjunktur so stark angekurbelt wird. Wenn
schlagartig viel Geld gedruckt wird, hat das unmittelbare Auswirkungen,
vor allem auf die Aktienmärkte. Deshalb habe ich dieses damals sehr
optmistische Ziel mutig ins Auge gefasst.
Jetzt haben wir dieses Ziel fast erreicht. Logische Folgefrage: Wo stehen wir in den nächsten Monaten?
Ich erwarte keine Baisse, auch wenn wir die beste Zeit des Jahres wohl
hinter uns haben. Viele Anleger sind bereits investiert, die
Cashbestände der Fondsmanager betragen laut jüngster Umfrage nur noch
3,9 Prozent. Eine kurzfristige Korrektur ist also möglich. Mittelfristig
dürften wir uns dennoch in einem, wenn auch flacheren, Aufwärtstrend
bewegen – wobei die Fiskalpolitik für weiteren Rückenwind sorgt. Ich
hoffe, dass in Europa weiterhin der Fokus auf fiskalischem Stimulus
bleibt und speziell in Deutschland nicht wieder die „schwarze Null“
hervorgeholt wird. Denn zu große fiskalische Zurückhaltung hat sich in
der Vergangenheit nicht bewährt.
Wie groß ist die Gefahr, dass wir eine stärkere Korrektur am Aktienmarkt bekommen?
Das wäre möglich, wenn die Notenbanken stark zu bremsen beginnen. Nach
den jüngsten Erörterungen der US-Notenbank Fed denke ich aber, man hat
verstanden, dass eine 180-Grad-Wende in der Geldpolitik Wirtschaft und
Börse schädigen kann – und wird deshalb sehr vorsichtig sein. Natürlich,
Investoren sind bereits stark investiert, der Optimismus ist nicht
zuletzt auch am Optionsmarkt groß, trotzdem fehlt meiner Meinung nach
der klare Hintergrund für eine richtige Baisse.
An der Börse Geld zu verdienen erscheint nicht mehr so einfach wie im vorigen Jahr. Ist dies die Zeit der aktiven Manager?
Auch wenn es nach einem Argument pro domo klingt: Seit einiger Zeit
zeichnet sich ab, dass die aktiven Fondsmanager besser abschneiden als
indexbasierte Lösungen, etwa Exchange Traded Funds (ETFs). So haben
aktive Manager im Mai zu 70 Prozent den Index geschlagen. Woran liegt
das? Im vergangenen Jahr haben wir gesehen, dass zunächst eine sehr
kleine Zahl großer Tech-Aktien aus den USA den Index nach oben gezogen
hat. Aktive Manager dürfen meist nur einen begrenzten Teil des
Fondsvermögens in einzelne Titel investieren. Deshalb konnten sie da
nicht mithalten. Spätestens ab November erfolgte der Aufschwung aber auf
breiter Front. So ergaben sich zahlreiche Gelegenheiten für aktives
Management, etwa unter technischen oder Bewertungsaspekten, während
passive Anleger vor allem in wenigen Indexschwergewichten investiert
waren. Ich denke, dass die Stockpicker auch im weiteren Jahresverlauf
ihre Möglichkeiten nutzen und etwas Rendite herausholen können.
Die Fed geht aktuell mehrheitlich von ersten Zinsschritten im Jahr 2023 aus. Wird es so kommen?
Der Markt hat zuletzt so reagiert, als sei die Zinserhöhung 2023
beschlossene Sache. Wenn man allerdings genau hinhört, hat Fed-Chef
Jerome Powell zuletzt immer die Flexibilität der Geldpolitik betont. An
erster Stelle stehen die Arbeitsplätze, das sagt er immer wieder – und
die Inflation kommt im zweiten Satz. Die US-Regierung ist
arbeitnehmerfreundlicher als früher, und die Verantwortlichen werden
sich hüten, zu schnell zu viel zu machen. Ob die Zinsschritte wie
erwartet kommen, ist für mich noch nicht entschieden.
Die Renditen der US-Staatsanleihen sinken seit April, während zugleich
der Anstieg der Verbraucher- und Produzentenpreise regelmäßig über den
Erwartungen liegt. Wie erklären Sie das?
Wenn der Rentenmarkt trotz stark steigender Inflation freundlich
tendiert, zeigt dies, dass die Anleger dort die Konjunkturaussichten
offenbar skeptischer beurteilen als viele Aktienanleger. Es gibt aber
auch Sonderfaktoren. Zum Beispiel hat das US-Finanzministerium eine
quantitative Lockerung von historischem Ausmaß betrieben, über hunderte
Milliarden US-Dollar – und dieses Geld muss angelegt werden. Es liegt
bei den Banken, die kaufen vor allem Anleihen. Sobald das Geld
ausgegeben ist, könnte der Rentenmarkt wieder schwächer tendieren.
Insgesamt reichen mir die Signale vom Rentenmarkt nicht aus, um daraus
bereits auf eine schwächere US-Konjunktur zu schließen.
Glauben Sie, dass die Inflation dauerhaft steigt?
Kurzfristig sind noch einige negative Überraschungen bei der Inflation
möglich. Auf Sicht von ein bis zwei Jahren könnte sich die Lage aber
deutlich verbessern. Wir haben aktuell vor allem eine Güterinflation
durch zahlreiche Engpässe. Die Marktwirtschaft ist aber so flexibel,
dass bei steigenden Preisen auch die Produktion rasch steigen kann und
die Güterpreise wieder nach unten gehen. Auf Dauer müsste man womöglich
eher die Serviceinflation beobachten. Aber auch hier gibt es zum
Beispiel in den USA ein riesiges ungenutztes Arbeitskräftepotenzial, was
auch die Serviceinflation in Grenzen halten könnte.
Wie geht es bei der Anlageklasse Gold weiter?
Ich bin eigentlich ein großer Gold-Fan. Denn: Das Gelddrucken ist ein
weltweiter Langfristtrend, und davon müsste Gold profitieren – zumal bei
niedrigem Realzins. Aktuell bin ich dennoch eher vorsichtig, denn die
Produktionszahlen bei Gold steigen, und es kommt auch mehr Altgold auf
den Markt. Außerdem haben im vergangenen Jahr verunsicherte Anleger viel
Gold gekauft, vor allem in Form von ETFs, während sich traditionelle
Käufer, etwa aus Indien und China, zurückgehalten haben. Die ETF-Käufer
könnten angesichts steigender Aktienkurse eher wieder verkaufen, was den
Goldpreis drücken würde. Auch die Charttechnik spricht bei Gold für
eine eher vorsichtige Haltung.
In welche Richtung läuft der US-Dollar?
Eine klare Aussage ist schwierig, denn es gibt gegensätzliche Einflüsse.
Von der Kaufkraft her ist der US-Dollar überbewertet, dazu sprechen
auch die sehr hohen Handelsbilanz- und Staatsdefizite in den USA für
einen schwachen US-Dollar. Andererseits gibt es am Markt derzeit viele
Dollar-Pessimisten – der US-Dollar ist stark geshortet, was ihn
markttechnisch unterstützen sollte. Außerdem fließen Gelder meistens in
das Land, in dem die Konjunktur am besten läuft, und da die Amerikaner
weiterhin geld- und fiskalpolitisch stark stimulieren, wird der
US-Dollar dadurch Rückenwind bekommen. Insgesamt erwarte ich, dass
kurzfristig die Auftriebskräfte vorherrschen könnten, während der
US-Dollar langfristig gegenüber stabilen Währungen wie dem Yen nachgibt.
Welche Region weltweit bevorzugen Sie?
Aktuell erscheint Europa interessant. In Europa ist fiskalpolitisch sehr
viel passiert. Staaten wie Italien oder Frankreich geben mehr Geld aus,
das ergibt in Krisenzeiten Sinn und verschafft der Region Rückenwind.
Und da europäische Aktien oft deutlich billiger sind als vergleichbare
US-Werte, sollten Gelder vermehrt in die Region fließen. Die USA sehe
ich ebenfalls positiv, auch wenn hier markttechnische Übertreibungen zu
Rücksetzern führen könnten. Asien würde ich am wenigsten stark
übergewichten. Die chinesische Geldmenge steigt seit einiger Zeit
relativ wenig, die Überschussliquidität ist praktisch gleich null.
Heißt: Da fließt kein zusätzliches Geld an die Börse. Das färbt auch
stark auf das Umfeld ab, wie Südkorea und Taiwan, und letzten Endes auch
auf Japan, für das China inzwischen der wichtigste Exportmarkt ist.
Wie sieht es bei den Sektoren aus – Value, Technologie oder beides?
Es gibt heute noch einige gute Tech-Werte, die nicht nur ordentliches
Wachstum zeigen, sondern auch ganz vernünftig bewertet sind.
Andererseits haben wir im Value-Bereich Aktien mit vernünftigen
Bewertungen, die „underowned“ sind, in die also noch nicht massiv
investiert wurde. Man sieht in keinem Bereich eine totale Überhitzung,
Value und Tech können beide interessant sein – am Ende muss man sich die
Einzeltitel anschauen, also Stockpicking betreiben, um erfolgreich zu
sein.
Was bedeutet die aktuelle Marktlage für Ihre Dividendenstrategie?
Ich glaube, dass Dividenden tendenziell unterschätzt werden. Gerade in
Zeiten, in denen Festverzinsliche fast keine Zinsen bringen, sind
Dividendentitel eine sehr gute Alternative zu Unternehmens- und
Staatsanleihen. Ich sehe den Bereich auch besser gegen unerwartete geld-
oder geopolitische Negativereignisse gewappnet. Defensive
Dividendenaktien können dem Aktionär einen relativ sicheren Zuwachs mit
weniger Volatilität bieten und bleiben deshalb auch als Depotschwerpunkt
interessant.
Über die Dr. Jens Ehrhardt Gruppe
Die DJE Kapital AG ist seit 45 Jahren als unabhängige
Vermögensverwaltung am Kapitalmarkt aktiv. Das Unternehmen aus Pullach
bei München verwaltet mit über 160 Mitarbeitern (davon rund 25
Fondsmanager und Analysten) aktuell über 15,9 Milliarden Euro (Stand:
31.05.2021) in den Bereichen individuelle Vermögensverwaltung,
institutionelles Asset Management sowie Publikumsfonds. Zudem bietet die
DJE Kapital AG seit 2017 mit Solidvest eine einzeltitelbasierte
Online-Vermögensverwaltung an – als digitale Lösung im Rahmen aktiv
gemanagter Depots. Das Online-Konzept basiert auf den breiten
Kompetenzen in Vermögensverwaltung und Anlagestrategie der DJE Kapital
AG – und ermöglicht ein diversifiziertes Portfolio nach individuellem
Rendite-Risiko-Profil mit persönlichen Themenschwerpunkten im
Aktienbereich. Vorstandsvorsitzender ist Dr. Jens Ehrhardt, sein
Stellvertreter Dr. Jan Ehrhardt. Kern des Anlageprozesses und aller
Investmententscheidungen ist die FMM-Methode (fundamental, monetär,
markttechnisch), welche auf dem hauseigenen, unabhängigen Research
basiert. Der Anspruch der DJE Kapital AG ist, ihren Kunden weitsichtige
Kapitalmarktexpertise in allen Marktphasen zu bieten.
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