Nach der nordischen Mythologie birgt der Rhein einen Schatz: Gold mit magischen Eigenschaften, das seinem Besitzer große Macht verleiht, sofern er der Liebe entsagt. Europa hat dieses Gold wiederentdeckt. Wird es sich dieses Goldes bemächtigen können, wohl wissend um die Konsequenzen des Handelns?
25.02.2025 | 09:07 Uhr
Von Alexis Bienvenu, Fondsmanager bei LFDE
Rüstungsgüter-Index übertrifft „Glorreiche Sieben“ auf 3 Jahre
Das besagte Gold hat zwar in den letzten tausend Jahren seine Erscheinung ein wenig verändert, doch es ist leicht zu erkennen. Es nennt sich heute beispielsweise Rheinmetall. Die Aktie des auf Rüstung und Ausrüstung spezialisierten Unternehmens entwickelt sich glänzend: +44 % seit Jahresbeginn (Stand 21. Februar) und +947 % innerhalb von drei Jahren! Doch zum europäischen Schatz gehören noch weitere, nicht unbedingt deutsche Perlen, wie etwa Leonardo, Thalès oder Airbus. Sie sind in einer Schatzkammer vereint, die die Bezeichnung STOXX® Europe Total Market Aerospace & Defense Index trägt. Dieses Portfolio verzeichnete seit dem 1. Januar ein Plus von fast 15 % (Stand 20. Februar) und übertrifft damit die meisten weltweiten Indizes. Doch es kommt noch besser: Seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine am 24. Februar 2022, also vor genau drei Jahren, ist dieser Index um 136 % (in Euro) in die Höhe geschnellt und übertrifft sogar die berühmten „Glorreichen Sieben“, also die amerikanischen Technologieriesen – trotz deren spektakulärer Wertentwicklung (+131 % in Dollar).
Der explosionsartige Wertzuwachs der Titel aus dem Bereich Verteidigung hat seinen Ursprung natürlich im Ausbruch des Ukraine-Kriegs. Doch im Laufe der Zeit ist ein eher struktureller Faktor hinzugekommen, der diesen Trend unterstützt, nämlich die komplette Umwälzung der europäischen Verteidigungsdoktrin. Europa sieht sich nunmehr gezwungen, die Verteidigung als neue Priorität zu behandeln. Ein erster Auslöser für diese Haltungsänderung war die Drohung Donald Trumps in seiner ersten Amtszeit, dass sich die USA aus der NATO zurückziehen würden, wenn die Europäer ihrer Verpflichtung nicht nachkämen, 2 % ihres Haushalts für die Verteidigung aufzubringen. Anschließend geriet Europa durch den Krieg in der Ukraine unter Zugzwang und nun durch die Erklärungen Trumps, die in Richtung einer Anerkennung der russischen Gebietsansprüche und einer Reduzierung seiner Unterstützung für die Ukraine gehen. Diese Haushaltswende ist von großer Tragweite. Die Militärausgaben, die lange Zeit unter den von der NATO geforderten 2 % lagen, sind in jüngster Zeit gestiegen. Der französische Präsident Macron sprach sogar von einem Ziel von 5 % und griff damit eine Forderung von Trump auf. Wenngleich ein solches Niveau kurzfristig nicht erreichbar zu sein scheint, ist doch erkennbar, in welche Richtung es gehen soll. Ein Ziel von 3,5 % bis 2035 – dicht am derzeitigen Niveau der USA liegt – erscheint durchaus denkbar.
Zusätzliche Militärausgaben als Wachstumstreiber
Wie lässt sich eine solche Anstrengung finanzieren? Wenn diese Ausgaben allein aus den in vielen Fällen bereits ausgeschöpften nationalen Haushalten bestritten werden sollen, wäre das Thema schnell vom Tisch. Europa kann allerdings durchaus erfinderisch sein, wenn es in die Enge getrieben wird. Es ist daher mit der Schaffung neuer supranationaler Instrumente zu rechnen, die befugt sind, Schulden aufzunehmen, um militärische Projekte zu finanzieren. Dabei könnte die Europäische Investitionsbank eine Rolle spielen und sich mit privaten Anlegern verbünden, um die Beträge, um die es geht, um ein Vielfaches zu erhöhen. Aufsichtsrechtliche Neuerungen könnten hinzukommen, wie etwa der Ausschluss neuer Militärausgaben aus der Berechnung der Staatsverschuldung, die von der Kommission überwacht wird.
Die Einrichtung solcher Instrumente wird nicht unmittelbar erfolgen. Über mehrere Jahre betrachtet könnten solche Bemühungen jedoch die Industrie und die Forschung Europas umgestalten – und auch den Arbeitsmarkt. Barclays[1] schätzt das zusätzliche Wachstum in einem mittleren Szenario auf 0,1 % bis 0,3 % pro Jahr, was bis zum Jahr 2035 einen kumulierten Effekt von 1,6 % hätte. Das mag gering erscheinen, aber es wären 1,625 Billionen an zusätzlichen Ausgaben im Vergleich zum aktuellen Trend. Zudem basiert diese Berechnung auf der Annahme von Verteidigungsausgaben in Höhe von 3,5 % des BIP. In einem Szenario mit 5 % würde sich dieser Effekt verdoppeln.
Aus
der Sicht des Marktes sind die Auswirkungen offensichtlich. Die Staatsschulden
werden steigen, allerdings in einem zulässigen Rahmen. Das Wachstum wird,
konzentriert auf bestimmte Sektoren, zunehmen. Außerdem wird das Vermögen von
Waffenherstellern sich vergrößern, die für eine gewisse Zeit das neue
„Rheingold“ darstellen – oder, im Falle von Airbus, das Gold der Garonne.
Doch sich dieses Gold anzueignen, so warnt die Mythologie, setzt den Verzicht
auf die Liebe voraus. Im Grunde geht es um viel Geld, das nicht unbedingt in
Krankenhäuser und Bildung fließen wird. Die mit dem Rheingold eröffnete
Wagnersche Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ erinnert daran, dass es nicht
ohne Folgen bleibt, wenn man der Liebe entsagt. Der letzte Teil der Tetralogie
heißt „Götterdämmerung“.
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[1] Barclays, „Europe plays defence“, 21.02.2025
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