Morgan Stanley IM: 2018 - Augen auf!

"Der für 2017 erwartete Gewinnanstieg um 15 % für Unternehmen aus dem MSCI World Index hat sich tatsächlich eingestellt und erstmals seit fünf Jahren wurden die Annahmen nicht enttäuscht. Zu Beginn des Jahres 2018 bereiten uns die Bewertungen jedoch Sorgen", so William Lock, Head of International Equity Team.

01.03.2018 | 11:48 Uhr

Unsere größte Sorge Anfang 2017 waren allgemein hohe Börsenkurse und eine makroökonomisch und politisch unsichere Lage, die auf das Jahr ihren Schatten warf. So gab es offene Fragen rund um China und auch in den USA und Europa bestanden politische Risiken. Wegen der stark angestiegenen Verschuldung und der allgemeinen Stagnation schien zudem das Finanzsystem anfällig für Schocks. Einige der großen Sorgen erwiesen sich als überzogen. Aber es bestanden generell nur geringe Sicherheitsmargen, während die Abwärtsrisiken aufgrund der Natur einiger potenzieller Risiken hoch waren. Als nach dem Bottom-up-Prinzip handelnde Anleger machten wir nahezu überall nur geringe Sicherheitsmargen aus. Ende 2017 stand bei den meisten wichtigen Länderindizes allerdings ein Plus zwischen 20% und 25% (in US-Dollar)[1]. Somit waren unsere Bedenken allenfalls verfrüht, wenn nicht schlicht unbegründet. Anleger mit dem US-Dollar als Basiswährung, die sich über den Verlauf an den Börsen freuten, haben aber vielleicht eines vergessen: Die Märkte sind 2017 stark gestiegen, andererseits hat der US-Dollar deutlich an Wert verlor.

Zu Beginn des Jahres 2018 bereiten uns die Bewertungen mehr Sorgen als die Makrolage, obwohl hier noch viele Gefahren lauern. Um es kurz zu sagen: Der für 2017 erwartete Gewinnanstieg um 15% für Unternehmen aus dem MSCI World Index hat sich tatsächlich eingestellt und erstmals seit fünf Jahren wurden die Annahmen nicht enttäuscht – was der Markt bereits reflektiert. Zwar mehren sich die Anzeichen für ein BIP-Wachstum in den meisten Ländern, sollte es sich aber nicht einstellen, könnten Anleger die dadurch bedingt niedrigeren Gewinne in ihre Bewertungen einbeziehen, was die Märkte doppelt treffen würden.[2]

Auch wenn Trump oft ungestüm agiert und bereits mehrere liberale Projekte verworfen hat, wurde vom Markt erkannt, was er in den USA bewirken kann – die Steuerreform ist dabei sein bislang größter Erfolg. Von den großen Risiken wie einem Handelskrieg mit China oder gar einem Atomkrieg mit Nordkorea hat sich keines eingestellt. Dem Kongress ist es anzurechnen, dass er nach all dem Hin und Her die Steuerreform verabschiedet hat, welche sich langfristig in der US-Wirtschaft besonders positiv niederschlagen dürfte. Kurzfristig mögen die Auswirkungen nur gering sein – lediglich wenige, rein inländisch tätige amerikanische Konzerne zahlen ihre Steuern ausschließlich in den USA. Die große Frage lautet daher, ob die Kombination aus Steuerreform, kurzfristigen Investitionsausgaben (Capex) und Maßnahmen zur Rückführung von Geldern aus dem Ausland ausreichen wird, um einen Investitionszyklus in Gang zu setzen und die derzeit auf Tiefständen liegende Produktivität langfristig zu steigern. In den vergangenen Jahren haben sich US-Unternehmen eher dafür entschieden, Aktien zurückzukaufen anstatt ihre Investitionsausgaben zu steigern, worunter in vielen Fällen die Produktivität litt. Optimistischen Anlegern zufolge werden Steuerreform und Chancen im Zusammenhang mit dem Internet der Dinge (IdD) und künstlicher Intelligenz (KI) einen langen Investitionszyklus auslösen, in dem viele Sektoren Ineffizienzen reduzieren und mitunter massiv Kosten einsparen werden. Dadurch dürften die Margen nachhaltig neue Höchststände erreichen. Pessimistische Anleger halten dagegen, dass es zwar einige positive Auswirkungen geben könne, US-Unternehmen aber einfach weiterhin Aktien zurückkaufen werden. Auch die Margen könnten sich wieder normalisieren, denn Arbeitnehmer, deren Löhne noch immer auf einem historisch niedrigen Niveau liegen, würden einen hohen Anteil der Unternehmensgewinne für sich beanspruchen – und die Risiken des alternden Konjunkturzyklus in den USA dabei außer Acht lassen.

Wenn man weiterhin bedenkt, dass der Markt einen mit 2017 vergleichbaren Gewinnanstieg im S&P 500 von 12% antizipiert, kann es kaum verwundern, dass er wegen der hohen Kurse nicht allzu besorgt ist. Optimistische Anleger (an denen es nicht mangelt) würden sagen, dass ein KGV von 18,2 für den S&P 500 auf Basis der für die kommenden 12 Monate erwarteten Gewinne nur etwa 14% über dem langfristigen Durchschnitt von 16,0 für den Zeitraum von 1997 bis 2017 liegt. Warum also so viel Aufregung? Pessimistische Anleger (wozu wir uns zählen) würden darauf verweisen, dass – die Qualität der Gewinne einmal beiseitegelassen (wegen des größten „Gewinnmanipulationszyklus“ in den USA aller Zeiten) – die Schulden der Unternehmen nach den immensen Aktienrückkäufen nahezu Rekordhöhen erreicht haben, ebenso wie die Margen. Das bedeutet, dass sich das Verhältnis von Unternehmensgesamtwert zum Umsatz für den S&P 500 mit einem Wert von 2,44 der Spitze aus dem Jahr 2000 von 2,98 nähert, was eine deutliche Warnung ist. Dabei lassen wir sogar die veraltete Vorstellung der Gewinnumkehrung zum Mittelwert oder das Risiko eines Konjunkturabschwungs in den USA außen vor.

Zieht man zur längerfristigen Betrachtung der Kurse das Schiller-KGV heran, so hat sich der US-Markt von „teuren“ 27,9x Anfang 2017 zu „sehr teuren“ 32,4x Ende 2017 entwickelt. Dies ist ebenfalls eine deutliche Warnung, sofern die visionären Tech-Anleger nicht damit Recht behalten werden, dass ein berauschender Cocktail aus KI, IdD, E-Commerce u. a. die Margen auf immer neue Höhe treiben und dadurch zu einem extremen Gewinnwachstum führen wird. Auf jeden Fall sind in den Kursen hohe Erwartungen eingepreist. Wir glauben, eine Hausse findet nie allein aufgrund hoher Kurse ein Ende. Doch was passiert, wenn sich die Märkte wieder auf die Bewertungen fixieren?

Das andere große geopolitische Risiko Anfang 2017 – abgesehen von Trump – war eine politische Zerrüttung in Europa und die mögliche Folge eines Zusammenbruchs der Eurozone. Nach einigen schwierigen Phasen konnte sich der Markt durch die Wahlen in den Niederlanden und insbesondere in Frankreich dieser Sorgen entledigen. Und auch nach dem schwerer verdaulichen Wahlergebnis in Deutschland lag der Fokus weiter auf den sich mehrenden Anzeichen einer wirtschaftlichen Erholung im Euroraum. Bislang hat der Markt richtiggelegen, etwa mit dem völlig überraschenden Ausgang in Frankreich, wo Macron eine große Mehrheit im Parlament erzielte. Als sei ein Wunder geschehen, schreiten auf einmal Reformen voran, insbesondere am Arbeitsmarkt, und eine Fortsetzung zeichnet sich ab. Unsere Befürchtung, der Brexit könnte in Europa einen Dominoeffekt auslösen, erwies sich bisher als falsch. Einzig das britische Königreich „kippte“ nach dieser „dümmsten Sache, die je ein Land getan hat“, wie es Michael Bloomberg prägnant formulierte. Tatsächlich hatten die wackelnden Dominosteine bislang nur einen positiven Effekt: Nachdem sich Großbritannien selbst dem Untergang geweiht hatte, stellte sich nämlich Frankreich geschlossen hinter seinen Präsidenten, um nicht das Schicksal seines geschätzten europäischen Partners zu teilen. Unsere Sorgen in Europa drehten sich jedoch weniger um die Wahlen in Frankreich oder Deutschland. Das Risiko stellt vielmehr Italien dar, wo es gelang, 2017 keine Parlamentswahlen abzuhalten. Italien ist der große Verlierer des Euro. Die Wirtschaft wächst seit 20 Jahren nicht mehr, weil das Land nicht zu Reformen in der Lage ist. Besonders schwer wiegt, dass die Währung nicht wie früher die Lira abgewertet werden kann, um die wettbewerbsfähigen Räder der Wirtschaft am Laufen zu halten. Darüber hinaus gibt es unter den großen europäischen Ländern, die in ihren Wahlzyklus eintreten, in Italien die stärksten euroskeptischen Kräfte. Die Gefahr besteht nun darin, dass Italien im März 2018 eine Regierung wählt, die etwas gegen den Euro unternehmen wird und dann wäre das politische Risiko in Europa wieder voll da.

„Die Gefahr besteht nun darin, dass Italien eine Regierung wählt, die etwas gegen den Euro unternehmen wird und dann wäre das politische Risiko in Europa wieder voll da.“

Mit Blick auf 2018 deutet sich ein synchronisiertes globales Wachstum an. Die Märkte scheinen dieses bereits eingepreist zu haben, wenngleich es unserer Meinung nach nicht so hoch ausfallen wird und davon abgesehen recht viele Risiken bestehen. Unserer Ansicht nach sind nur wenige der großen strukturellen Probleme in der Welt verschwunden (Schulden, das unbekannte Terrain einer Rücknahme der quantitativen Lockerung, politische Unsicherheit, China u. a.). Einfach gesagt, ein „Goldilocks-Szenario“ wurde eingepreist, doch bestehen weiterhin erhöhte Risiken und klare Sicherheitsmargen in den Bewertungen fehlen. Ein solches Wachstum wird wohl kaum zu einer kräftigen Belebung der Inflation führen. Auch wenn die USA jetzt die Steuern senken, ist dies keine Garantie für eine Reflation, zumal der Ausgangspunkt eine der längsten Wirtschaftsexpansionen in der jüngeren Geschichte und bereits rekordhohe Margen sind. Man könnte auch darauf hinweisen, dass eine Fiskalpolitik mit Steuerkürzungen für Unternehmen und Wohlhabende nicht einfach auf eine Reflation hinausläuft. Ob in Europa eine Reflation über die Fiskalpolitik herbeigeführt werden kann, scheint ebenfalls fraglich. Zumal Deutschland zustimmen müsste, was mit einer geschwächten Bundeskanzlerin Merkel, die gerade mit der SPD Gespräche über eine neue große Koalition führt, alles andere als sicher ist. Eine systematische Reflationspolitik in Europa unter deutscher Leitung ist eher unwahrscheinlich, aber wenigstens stellt die Fiskalpolitik in Zukunft keine Belastung mehr dar und könnte leicht expansiv werden.

Japan wiederum sieht sich trotz vieler Probleme (Schulden, demografische Entwicklung, quantitative Lockerung bis zum Gehtnichtmehr) nicht mit dem gleichen politischen Risiko konfrontiert wie der Westen, nachdem Abe gerade mit einer großen Mehrheit wiedergewählt wurde. So segnete das japanische Kabinett im Dezember 2017 einen Gesetzesentwurf ab, um die Körperschaftsteuer von derzeit 30% auf möglicherweise 20% zu senken und den Unternehmen Anreize zu bieten, ihre Löhne und Investitionen zu erhöhen.

Es gibt sogar einige Anzeichen dafür, dass japanische Unternehmen endlich Maßnahmen für eine bessere Corporate Governance ergreifen, wenn auch deren Anzahl gering ist und es als Anleger auf die Einzeltitelauswahl ankommen wird. Japan könnte positiv von einer Konjunkturbelebung überrascht werden, insbesondere da sich ein zunehmender Arbeitskräftemangel abzeichnet, der die Löhne in die Höhe treiben wird. Allerdings besteht wie immer in Japan das Problem, dass im Anlageuniversum nur wenige Unternehmen enthalten sind, die davon profitieren können.

Als Anleger, der nach dem Bottom-up-Ansatz vorgeht, verschärfen die deutlichen Kursanstiege im Jahr 2017 das Problem der letzten Jahre, nicht über ausreichende Sicherheitsmargen zu verfügen, welche die potenziellen Risiken – zyklische, makroökonomische oder durch einen bahnbrechenden Wandel – kompensieren. Für den Markt sind Sicherheitsmargen sicherlich kein Hauptgrund zur Sorge, schließlich bewegt sich der VIX in der Nähe seines Allzeittiefs.[3]

„Hochwertige Unternehmen, die besser in der Lage sind, Umsatz und Gewinn in einem Abschwung zu steigern, scheinen relativ am attraktivsten.“

Im Jahr 2017 war es somit schwierig, für unsere Portfolios neue Titel ausfindig zu machen, und da es keine Sektoren mit deutlichen Fehlbewertungen gab, lag der Fokus auf unternehmensspezifischen Faktoren. Unserer Ansicht nach bestehen mehr Abwärtsrisiken als Aufwärtspotenziale. Wenn sich die verbreitete Hoffnung auf eine Fortsetzung des synchronisierten globalen Aufschwungs nicht erfüllt, sollte angesichts der hohen Bewertungen und der geringen Risikobedenken die Kapitalerhaltung ein zentrales Anliegen sein. Hochwertige Unternehmen, die besser in der Lage sind, Umsatz und Gewinn in einem Abschwung zu steigern, scheinen relativ am attraktivsten, auch wenn sie absolut gesehen wenig spannend sind.

Den vollständigen Beitrag können Sie hier als PDF downloaden.

1 Quelle: FactSet, 31. Dezember 2017.
2 Die Prognosen/Schätzungen beruhen auf den aktuellen Marktbedingungen, unterliegen Veränderungen und müssen nicht notwendigerweise eintreten.
3 Quelle: Chicago Board Options Exchange Market Volatility Index, 31 Dezember 2017.

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