Die weltweiten Wirtschaftsaussichten haben sich in den letzten Wochen deutlich eingetrübt. Auch wenn sich das Coronavirus in China mittlerweile anscheinend langsamer ausbreitet, ist die wirtschaftliche Aktivität dort noch stärker eingebrochen als erwartet (Einkaufsmanagerindex bei 35,7).
16.03.2020 | 11:12 Uhr
Zudem ist das Virus nun auch außerhalb Chinas auf dem Vormarsch. Dies gilt insbesondere für Teile Asiens sowie für Europa und hier vor allem für Norditalien. Auch die USA bleiben nicht verschont. Zwar waren bei den Konjunkturindikatoren zuletzt Zeichen für eine Erholung zu erkennen. Allerdings war die Lage angesichts der Unsicherheit bezüglich der Handelsbeziehungen und des schwächelnden verarbeitenden Sektors nur schwer einzuschätzen. Vor diesem Hintergrund dürften Störungen in den Lieferketten unweigerlich die Wachstumsaussichten beeinträchtigen.
Welches Szenario ist denkbar?
Zunächst einmal machen exakte Vorhersagen über die ökonomischen Auswirkungen angesichts eines Schocks dieser
Dimension keinen Sinn. Die weitere Entwicklung der
Gesundheitskrise und die politische Reaktion darauf sind
zwei Parameter, die die Wertentwicklung risikoreicher
Anlagen beeinflussen können. Durch Liquiditätszufuhr
werden die Zentralbanken eine wichtige Rolle bei der Vermeidung von Konkursen, insbesondere im mittelständischen
Sektor, spielen. Zwar tragen Zinssenkungen oder Liquiditätsspritzen (wie von der US-Notenbank gerade beschlossen) dazu bei, die Verschlechterung der Finanzierungsbedingungen zu begrenzen und das Vertrauen wiederherzustellen. Sie lösen aber nicht das Problem auf der
Angebotsseite, mit dem wir konfrontiert sind. Die
Regierungen haben aufgrund ihrer Verschuldung sehr wenig
Spielraum, um mit umfangreichen Konjunkturmaßnahmen
gegenzusteuern. Daher müssen wir uns in unseren Szenarios jetzt darauf einstellen, dass das reale BIP im ersten
Quartal weltweit sinkt. Sollte die Kombination aus Angebots-
und Nachfrageschock anhalten, könnte die globale Konjunktur möglicherweise auf Gesamtjahressicht aus dem Tritt
kommen.
Welche Indikatoren gilt es in den kommenden Monaten im Blick zu halten?
Kreditspreads (ein Indikator für steigende Ausfallraten)
Umsatz- und Gewinnwarnungen der Unternehmen
Makroökonomische Daten
Verbrauchervertrauen
Von Zentralbanken und Regierungen angekündigte Maßnahmen
Infektionsraten
Zum Abschluss noch ein kleines Zahlenspiel, das verdeutlicht, dass der Tiefpunkt sicher noch nicht erreicht ist. Vor
der Korrektur betrug die Bewertung des US-Aktienmarktes
das 19-fache der erwarteten Gewinne (geschätztes
Gewinnwachstum für 2020: +9%). Nun ist sie auf 16,50 oder
17 gefallen. Was geschieht aber im Falle einer Korrektur des Gewinnwachstums auf Null? Damit läge das KGV wieder bei
18 oder 19. Folglich könnte es zunächst zu weiteren Verlusten kommen, wie sie letzte Woche zu beobachten waren,
bevor sich wieder Einstiegspunkte finden, die diesem Risiko
besser Rechnung tragen. Vielleicht ist es das, was wir gerade
beobachten: Eine breite Neubewertung des Risikos verbunden mit höherer Volatilität und sich daraus ergebenden
künftigen Anlagemöglichkeiten. In der Zwischenzeit raten wir
– wie schon im Vormonat – weiterhin zur Vorsicht. Es ist
Geduld gefragt: Ein exogener Schock wie dieser lässt sich
nicht in wenigen Tagen verdauen. Allmählich steigende Temperaturen – so steht zu hoffen – sollten das Gesundheitsisiko und letztlich die Gesamtmortalität des Virus
eindämmen.
Längerfristig drängen sich schon heute Überlegungen über
eine Anpassung und Zentralisierung von Wertschöpfungs-
ketten auf. Mit welchen Kosten wäre das verbunden? Was
wären die mittel- und langfristigen Vorteile? Just-in-Time
Prozesse in der Produktion werfen auch Fragen wie Sicherheitsvorräte und die Auswirkungen auf der Angebotsseite im
Falle von Versorgungsengpässen auf. Wie werden Unter-
nehmen reagieren, um sich auf dieses neue Umfeld
einzustellen? Einen kleinen Vorgeschmack hiervon haben
wir schon im Zuge des Handelskonflikts erhalten. Im
Ergebnis wird es zu massiven Umschichtungen in Portfolios
kommen und sich zweifellos neue Chancen für Wertpotenzial
eröffnen. Es ist an uns, diese neuen Trends zu erkennen und
zu nutzen.
"Es ist Geduld gefragt: Ein exogener Schock wie dieser lässt sich nicht in wenigen Tagen verdauen"
Laurent Denize
Global Co-CIO
ODDO BHF Asset Management
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