ODDO BHF CIO View: „Infrastrukturplan auf der Zielgeraden“

ODDO BHF CIO View: „Infrastrukturplan auf der Zielgeraden“
Marktkommentar

Die US-Regierung unter Präsident Biden steuert auf einen großen politischen Erfolg zu. Am Dienstag stimmte der US-Senat mit der Unterstützung von 19 republikanischen Abgeordneten dem Infrastructure Investment and Jobs Act zu, einem umfassenden Infrastrukturpaket.

16.08.2021 | 09:14 Uhr

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Die politische Leistung der Biden-Administration besteht darin, trotz der Blockadepolitik der republikanischen Führung im Senat und der Drohungen von Altpräsident Donald Trump gegen kooperierende Republikaner eine solide Senats-Mehrheit von 69 Stimmen für das Maßnahmenpaket gewonnen zu haben. Das Paket wird gelegentlich auf 1 oder sogar 1,2 Billionen US-Dollar beziffert, doch die frischen Mittel machen „nur“ gut 550 Mrd. US-Dollar aus. Es umfasst wichtige Teile des von Präsident Biden im März als „American Jobs Plan“ präsentierten Pakets, insbesondere klassische Infrastrukturvorhaben.

Nach einer vorläufigen Analyse kommt das Committee for a Responsible Budget (CRFB), ein Washingtoner „Think Tank“, auf ein Gesamtvolumen der über einen 10 Jahres-Zeitraum autorisierten Ausgaben in Höhe von rund 570 Mrd. US-Dollar, wobei die effektive Ausgabenwirkung mit rund 520 Mrd. US-Dollar anzusetzen sein soll. Die Mittel fließen in Transportinfrastruktur, beispielsweise Straßen und Brücken, Personen- und Güterverkehr auf der Schiene, Häfen, Wasserwege und Flughäfen, aber auch in den Ausbau der E-Mobilität. Mindestens 240 Mrd. US- Dollar werden nach Angaben des Weißen Hauses für den Ausbau oder die Modernisierung des Stromnetzes, des Breitbandnetzes und der Wasserversorgung sowie für Schutzmaßnahmen wie Deichbau, Wasserbevorratung und gegen Waldbrände bereitgestellt. Darüber hinaus werden die Ermächtigungen für die Auftragsvergabe des Highway Trust Funds und einiger anderer Organisationen deutlich erhöht, was nach CRFB-Schätzungen zu Mehrausgaben von 55 Mrd. US-Dollar führen dürfte. Rechnet man dann die Finanzierungsmaßnahmen in Höhe von circa 170 Mrd. US-Dollar dagegen, ergeben sich nach Schätzungen des CRFB Netto-Kosten in Höhe von rund 400 Mrd. US-Dollar.

Insgesamt sieht das Gesetz, das noch das Repräsentantenhaus passieren muss, deutlich niedrigere Ausgaben vor als der American Jobs Plan (2,3 Billionen US-Dollar). Das liegt vor allem daran, dass die kontroversen steuer- und sozialpolitische Elemente aus dem Paket herausgelöst wurden. Vieles davon wurde in den 3,5 Billionen US-Dollar schweren Haushaltsentwurf („Armutsbekämpfungs- und Klimaplan“) überführt. Den hat der Senat nun mit hauchdünner Mehrheit an die Fachausschüsse weitergeleitet, die den Entwurf nun bis Mitte September in Gesetzesform überführen sollen. Der wäre dann mit dem Repräsentantenhaus im Rahmen des Schlichtungsprozesses (Reconciliation) abzustimmen und – nach Möglichkeit – final von beiden Kammern zu verabschieden.

Unsicherheiten bleiben allerdings: Derzeit spielt die überwiegend „progressive“ demokratische Fraktion im Repräsentantenhaus mit dem Gedanken, die Zustimmung zum Infrastrukturpaket an die Verabschiedung des „Armutsbekämpfungs- und Klimaplans“ durch den Senat zu knüpfen. Auf der anderen Seite drohen die konservativeren demokratischen Senatoren bei einigen steuer- und sozialpolitischen Überlegungen „von der Fahne zu gehen“, so dass die ohnehin dünne Senatsmehrheit (50+US-Vizepräsidentin) gefährdet wäre. Insgesamt jedoch ist die Biden-Administration bei der Umsetzung ihrer Pläne ein ganzes Stück vorangekommen, und hat dabei viel Verhandlungsgeschick bewiesen.

Obwohl das jährliche Volumen des Infrastrukturpakets überschaubar und die finale Fassung des Budgets unsicher ist, dürfte die Finanzpolitik in den USA eine Stütze des Wirtschaftswachstums bleiben. Die Wachstumsraten haben ihren Höhepunkt vermutlich überschritten, wir rechnen aber aufgrund der fiskalischen Hilfen, der hohen Ersparnisse und der sehr günstigen Finanzierungsbedingungen mit einer auch perspektivisch robusten US-Konjunktur. Für das dritte Quartal zeigt die aktuelle Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters ein reales BIP-Wachstum von gut 7 Prozent (gegen Vorquartal, auf Jahresrate hochgerechnet), für das vierte Quartal etwa 5 Prozent.

Die hohe wirtschaftliche Dynamik verändert die Orientierungspunkte für die Geldpolitik. Die Erholung des Arbeitsmarktes hat zuletzt deutlich an Tempo gewonnen: Allein im Juni und Juli ist die Beschäftigung zusammen um fast 1,9 Millionen Stellen (etwa 40 Prozent davon im Bereich Freizeit und Gastronomie) gestiegen. Parallel dazu fiel die Arbeitslosenquote auf 5,4 Prozent. Es ist also nicht unplausibel, dass die „Beschäftigungslücke“ von rund 5 Millionen Stellen (im Sinne der Minderbeschäftigung im Vergleich mit dem Vor-Corona-Niveau) im Laufe des nächsten Jahres geschlossen werden kann.

Zugleich deutet sich an, dass die Beschleunigung der US-Inflation möglicherweise zäher sein könnte als von der Notenbank erhofft. Zwar sollten die Spitzenwerte der vergangenen Monate (im Juni und Juli jeweils 5,4 Prozent) nicht von Dauer sein, da sich der Wiederanstieg der Energiepreise oder die massive Verteuerung der Gebrauchtwagen in den nächsten 12 Monaten kaum wiederholen dürften. Doch das Grundtempo der Preisentwicklung könnte, beispielsweise aufgrund anhaltender Knappheiten von Halbleitern oder steigender Kosten für Wohnraum, erhöht bleiben. Genau diese Einschätzung findet sich in den Inflationserwartungen wieder: Die Märkte haben die Inflationserwartungen für die mittlere Frist (in ein bis zwei Jahren) etwas nach oben angepasst, von durchschnittlich knapp 2,5 Prozent im Juli auf aktuell 2,6 bis 2,7 Prozent.

Damit dürfte sich der Zeithorizont für den Einstieg in die Straffung der Geldpolitik verkürzen. Als relativ sicher gilt, dass die Fed entweder im Rahmen der Notenbanker-Konferenz in Jackson Hole Ende August oder der Sitzung des Offenmarktausschusses im September zu den Plänen für eine Reduzierung der Anleihekäufe äußern wird. Doch auch das Thema Zinserhöhungen rückt näher: Fed-Vize Richard Clarida hatte jüngst von „Anfang 2023“ gesprochen, während die Falken im Offenmarktausschuss auf einen früheren Einstieg drängen. Entsprechend wenig passt nach unserer Überzeugung das deutlich gesunkene Renditeniveau in den USA in das wirtschaftliche Umfeld.

Den vollständigen ODDO BHF CIO View: „Infrastrukturplan auf der Zielgeraden“ vom 13. August 2021 finden Sie hier als PDF.


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