Morgan Stanley IM: Nachhaltigkeit als Ziel

William Lock, Leiter der Kernstrategien International Equity, Global Franchise/Brands und Global Quality von Morgan Stanley IM, erörtert das Thema Nachhaltigkeit und den Ansatz seines Anlageteams in Hinblick auf ESG-Faktoren und deren Integration.

02.03.2018 | 12:32 Uhr

Welchen Ansatz verfolgt Ihr Team im Hinblick auf ESG-Faktoren?

William Lock (WL): Wir konzentrieren uns darauf, Unternehmen zu identifizieren, die über gute Aussichten für nachhaltige oder langfristig verbesserte Kapitalrenditen verfügen. ESG-Überlegungen sind ein wichtiger Teil hiervon, denn wesentliche Schwächen in den Bereichen Umwelt, Soziales und Governance stellen für diese Nachhaltigkeit eine potenzielle Bedrohung dar.

Weshalb konzentrieren Sie sich jetzt darauf?

WL: Unser Fokus gilt schon seit über zwei Jahrzehnten der Nachhaltigkeit der von uns erzielten Renditen. Allerdings haben wir unlängst unseren Prozess verbessert und weiter formalisiert. Unser aktuelles Vorgehen stellt eigentlich nur eine Erweiterung unseres bisherigen Ansatzes dar.

Wie wirken sich ESG-Faktoren auf die Analyse von Wertpapieren und auf Entscheidungen rund um das Portfolio aus?

WL: Um zu verstehen, wie sich ESG-Faktoren auf die langfristigen nachhaltigen Renditen auswirken können, muss man unseres Erachtens unternehmensspezifische Analysen anstellen. Dieser Ansatz ist in unserem fundamentalen, unternehmensspezifischen Bottom-up-Anlageprozess integriert. Wir sind uns dessen bewusst, dass Unternehmen innerhalb der verschiedenen Branchen bei der Bewältigung ihrer spezifischen Herausforderungen und Chancen im ESG-Bereich an unterschiedlichen „Ausgangspunkten“ stehen. In jenen Fällen, in denen wir ESG-Faktoren als wesentlich erachten, halten wir jedoch nach Zeichen der zunehmenden Verbesserung Ausschau.

Weshalb rücken Sie die Governance ins Zentrum von ESG? Sie nennen Governance Ihren „Eckpfeiler“.

WL: Governance ist ein entscheidender Faktor, der den Ertrag eines Unternehmens und dessen langfristiges Überleben bestimmt. Eine zentrale Aufgabe des Managements, dessen Mitglieder letztlich für das Kapital des Unternehmens verantwortlich sind, ist der angemessene Einsatz dieses Kapitals, um möglichst hohe Aktionärsrenditen zu erzielen. Eine Unternehmenskultur, in der die effektive Allokation dieses Kapitals nicht gefördert wird, ist eventuell nicht fokussiert genug, um ihre wesentlichen sozialen und ökologischen Faktoren angemessen zu steuern.

Managementteams, die das Kapital zu niedrigen Renditen investieren – entweder durch teure Akquisitionen oder eine Expansion in weniger rentable Geschäftsbereiche – können die Gesamtqualität ihres Unternehmens und somit wiederum dessen Fähigkeit beeinträchtigen, mit der Zeit steigende freie Cashflows zu generieren. Einfach ausgedrückt: Wir sind bestrebt, Unternehmen zu meiden, deren Managementteams langfristig niedrige Renditen zulassen oder die langfristige Gesundheit des Unternehmens opfern, da sie kurzfristigen Renditen den Vorrang einräumen.

Nach welchen Signalen von guter Governance halten Sie Ausschau?

WL: Zum einen analysieren wir, welche Vergütungsanreize für Mitglieder der Geschäftsleitung bestehen. Damit können wir die Motive von Geschäftsleitungen einschätzen, denn derlei Anreize können ihr Verhalten bestimmen und beeinflussen, wie sie das Unternehmen leiten und dessen Kapital einsetzen. Wenn wir ein Anreizsystem als mangelhaft erachten – was recht häufig der Fall ist – arbeiten wir mit dem Unternehmen zusammen, um Änderungen herbeizuführen, damit der Schwerpunkt auf langfristig nachhaltige Renditen gelegt wird. Können wir danach weiterhin Mängel ohne Reformbereitschaft erkennen, stimmen wir gegen die vorgeschlagene Vergütung.

Können Sie ein Beispiel nennen?

WL: Bei einem in Großbritannien ansässigen Unternehmen, welches wir derzeit halten, trafen wir uns mit dem Vorsitzenden, um den Vergütungsplan und unseren seit langem bestehenden Vorschlag von ROI-basierten Anreizen zu erörtern. Außerdem wollten wir sicherstellen, dass Führungskräfte mindestens zwei bis drei Jahre nach ihrem Rückzug aus dem Unternehmen weiterhin wesentliche Anteile daran halten, damit kein Mitglied der Geschäftsleitung vor dem Ruhestand kurzfristig und zum Nachteil des Unternehmens handelt. Unseres Erachtens wirkt sich dies vorteilhaft auf die Governance aus, denn die Geschäftsleitung sollte sicherstellen, dass ihre Nachfolger ebenfalls langfristig denken. Das Unternehmen hat in diesem Fall unsere Vorschläge übernommen.

Wie bewerten Sie soziale Faktoren?

WL: Wir sind der Ansicht, dass Unternehmen, die den Schwerpunkt auf die soziale Verantwortung legen und diese in die Praxis umsetzen, bei ihren Kunden, Mitarbeitern, regulatorischen Instanzen und anderen Stakeholdern eine Reputation aufbauen oder diese stärken können, insbesondere in Anbetracht der Bedeutung sozialer Medien und der rapiden Kommunikation weltweit. Damit lässt sich die Nachhaltigkeit der von uns gewünschten Renditen untermauern.

Schließlich bleiben Kunden Unternehmen treu, denen sie vertrauen, was wiederum die langfristige Rentabilität sicherstellt. Dies ist besonders wichtig für Unternehmen, die gesundheitsförderliche Produkte einführen können, z. B. Lösungen für Probleme wie Adipositas und Mangelernährung, oder Unternehmen, die innovative Produkte entwickeln, um Verbraucher vor Gesundheitsschäden zu bewahren, darunter Zigaretten, die Tabak erwärmen, anstatt zu verbrennen, oder e-Vapour-Produkte. Wir sind der Ansicht, dass Unternehmen, die hierzu in der Lage sind, auf lange Sicht eher profitieren und nachhaltige Renditen erzielen werden.

Schließen Sie bestimmte Unternehmen aufgrund von ESG-Überlegungen aktiv aus?

WL: Wir schliessen Unternehmen oder Branchen nicht nur aus ESG-Gründen, es sei denn, wir können erkennen, dass die langfristigen Renditen in Gefahr sind. Unsere Global Quality ex-Tobacco-Strategie wendet als einzige Strategie einen negativen Filter für die Tabakindustrie an, worauf einige unserer Kunden Wert legen.

Wie sieht es anders herum aus? Werden Unternehmen wegen ihres ESG-Profils aufgenommen?

WL: Wir nehmen Unternehmen aufgrund ihrer Fähigkeit auf, ihre Renditen aufrechtzuerhalten oder zu steigern, und nicht aufgrund ihrer nachweislichen Leistungen im Umwelt- oder Sozialbereich. Einige unserer größten Positionen sind im Hinblick auf den Umweltschutz in ihrer Branche jedoch führend. Ein Unternehmen aus den Niederlanden, in dem wir investiert sind, möchte bis 2020 die Entwaldung aus seiner Lieferkette ausschließen und die nachhaltige Landwirtschaft zur Norm machen. Dieses Unternehmen steht nun das siebte Jahr in Folge an der Spitze der GlobeScan-Umfrage zu führenden nachhaltigen Unternehmen (Sustainability Leaders).

Der Software- und IT-Sektor, der in unseren Qualitätsportfolios stark vertreten ist, hat relativ geringe Umweltauswirkungen. Das hält die Unternehmen jedoch nicht von Verbesserungen ab. Ein Unternehmen, das zu den größten weltweit gehört, wirtschaftet seit 2011 klimaneutral und bezieht seit 2014 seinen Energiebedarf zu 100% aus erneuerbaren Energien.

Wie bewerten Sie das Risiko der Disruption aus der Sicht von ESG?

WL: Wir glauben, dass die Identifizierung des Disruptionsrisikos ein wichtiges Signal für die künftige Nachhaltigkeit ist. So müssen Anleger im Energiesektor unseres Erachtens immer mehr Vorsicht walten lassen. Unternehmen, die Kapital gewöhnlich über einen Zeitraum von 20 bis 30 Jahren binden, stehen nun in zweierlei Hinsicht unter Druck. Erstens ist das Ölangebot aufgrund des technologischen Fortschritts gestiegen, da nun schwer zugängliche Reserven, einschließlich Schieferöl, gefördert werden können. Zweitens zeichnet sich ab, dass der Bedarf nach fossilen Brennstoffen seinen Scheitelpunkt erreicht hat, da erneuerbare Energien und das Dreigestirn aus Elektrofahrzeugen, dem autonomen Fahren und Shared Economy an Zugkraft gewinnen. Das führt bei uns zu erhöhten Bedenken im Hinblick darauf, dass Geschäftsleitungen von Energieunternehmen Kapital auf destruktive Weise einsetzen könnten. Dadurch steigt wiederum das Risiko „verlorener Investitionen“ (Stranded Assets), Abschreibungen und eines auf lange Sicht geringeren freien Cashflows.

Selbst in „alten Volkswirtschaften“ können wir die Auswirkungen von Innovationen erkennen. Die mit dem Tabakkonsum einhergehenden Verbraucherrisiken haben Innovationen zur Folge, die ein Anlageumfeld der „Gewinner“ und „Verlierer“ schaffen. Zwei Unternehmen in dieser stark konzentrierten Branche sind in Sachen Innovation und Vertrieb von weniger gesundheitsschädlichen Produkten der nächsten Generation führend und lassen ihre Wettbewerber hinter sich. Diese müssen hohe Ausgaben tätigen, um aufzuholen oder um ihren Status quo lediglich zu sichern.

Die Verbrauchernachfrage nach mehr Gesundheit und Wohlergehen ist ebenfalls eine Quelle für Veränderungen. Ein typisches Beispiel hierfür ist die Reduzierung des Zuckerverbrauchs. Produzenten von herkömmlichen kohlensäurehaltigen Softdrinks arbeiten hart daran, ihre auf Zucker basierten Rezepturen zu überarbeiten und ihr Produktangebot zu modifizieren, um nicht von regulatorischen oder steuerlichen Risiken – oder beidem – eingeholt zu werden. Die Anlagegelegenheit besteht hier in der Identifizierung von Unternehmen, die den anstehenden Wandel anerkennen und in der Lage sind, entsprechend zu handeln.

Informationen sind ein zentrales Thema des digitalen Zeitalters. Wie bewerten Sie dies in einem sozialen Kontext?

WL: Die digitale Welt ist einem rapiden Wandel unterworfen, vor allem in Anbetracht des Aufstiegs von Cloud Computing. Die Daten der Verbraucher sind von entscheidender Bedeutung und bergen sowohl Chancen als auch Risiken. Im Versicherungssektor sind Daten eine zentrale Voraussetzung, um Risiken zu erkennen, was wiederum Gegenstand des Versicherungsgeschäfts an sich ist. Etwaige Datenschutzverletzungen könnten hier sehr kostspielig sein. Das gilt auch für den potenziellen Datenmissbrauch: Sowohl Profile in den sozialen Medien als auch genetische Marker sind umstritten. Aufgrund der Notwendigkeit eines fairen Umgangs mit den Kunden dürfte der Bereich Kundenbeziehungen das größte Risiko in der Versicherungsbranche bergen. Wird dieser Anforderung nicht Rechnung getragen, könnten hohe Bußgelder vonseiten der Aufsichtsbehörden oder gar Sammelklagen folgen. Aufsichtsbehörden können Vorschriften verschärfen oder rückwirkend anwenden, was kostspielig werden kann. Das Versicherungsgeschäft im Bereich Schadensversicherung kann in der Praxis, wenn nicht gar vorsätzlich, diskriminierend sein – im Hinblick auf Geschlecht, Rasse oder Einkommensspanne. Zudem können Preisstrukturen für jene nachteilig sein, die sich nicht nach besseren Angeboten umsehen.

Wie sieht es mit der Softwarebranche aus?

WL: Datenschutzverletzungen, das Risiko eines Hacker-Angriffs, der Zugriff auf Verbraucherdaten durch Regierungen und deren Monetisierung bergen allesamt Risiken in sozialer Hinsicht. Für sehr große Software-Unternehmen, die weltweit und grenzüberschreitend tätig sind, ergeben sich außerdem politische Risiken. Die Branche hat den Ruf, kreative Steuerstrategien zu verfolgen, was dank Ländern wie Irland oder Luxemburg zu einer niedrigen Versteuerung führt und ebenfalls eingehender auf den Prüfstand geraten könnte. Dasselbe gilt für den Erfolg und die Größe von einigen der weltweiten Großkonzerne. In nur zehn Jahren haben sich die fünf größten Unternehmen der Welt (nach Marktkapitalisierung) – abgesehen von einem Software-Unternehmen – grundlegend verändert. Jetzt handelt es sich dabei ausnahmslos um Technologieunternehmen, die ihr jeweiliges Branchensegment dominieren, ob es nun um Suchmaschinen, soziale Medien oder den Online-Einzelhandel geht. Drei von ihnen sind im klassischen wirtschaftlichen Sinne Unternehmen mit Monopolstellung. Wie lange wird es noch dauern, bis Regierungen und Aufsichtsbehörden ein größeres Interesse zeigen und handeln?

Was geschieht bei negativen Ereignissen?

WL: Es treten immer wieder negative Vorkommnisse auf. Wichtig für uns ist, wie damit umgegangen wird.

Unlängst hat ein von uns gehaltenes Unternehmen Fehlverhalten in der eigenen Führungsriege publik gemacht. Das Thema geriet schnell in die Schlagzeilen. Der Vorstand reagierte unserer Meinung nach verantwortungsbewusst und schnell und zog einen externen Berater hinzu, den er mit voller Handlungsfreiheit ausstattete. Dies hatte das Ausscheiden einiger Schlüsselmitarbeiter zur Folge. Keine Ausnahmen, keine Ausrede. Ein anderes von uns gehaltenes Unternehmen in Südkorea hatte mit Problemen rund um die Produktsicherheit zu tun. Das Unternehmen übernahm sofort die Verantwortung und erstellte für die Betroffenen einen Entschädigungsplan. Es überprüfte und änderte seine Struktur in Bezug auf Produktsicherheit, Qualität und Compliance und eskalierte die Funktion auf Vorstandsebene mit Berichterstattung direkt an den CEO. Das Unternehmen zog seine Lehren aus diesem Ereignis, und der Vergütungsausschuss verweigerte dem CEO aufgrund der Erfahrung in Südkorea die Zahlung des Jahresbonus.

Beide Unternehmen dienen als Beispiel dafür, was wir als begrüßenswert erachten, indem richtig, schnell und entschieden gehandelt wird und die Weichen für Veränderungen gestellt werden.

Nutzen Sie Anbieter von ESG-Research, die Sie bei der Analyse und bei Bewertungen unterstützen?

WL: Wir haben Zugang zu ESG-Research und -Berichten von Dritten, die wir verwenden können, um ESG-Faktoren zu identifizieren und bewerten, welche die Nachhaltigkeit der Renditen eines Unternehmens auf lange Sicht schmälern könnten.

Was die ESG-Bewertungen betrifft, lassen wir Skepsis walten, denn Anbieter von ESG-Research bewerten die Unternehmen auf relativer Basis anhand eines Punktesystems. Für uns als Bottom-up-Anleger mit Schwerpunkt auf den Fundamentaldaten können solche Bewertungssysteme irreführend und eventuell sogar riskant sein. Wir glauben zum Beispiel, dass es kaum Sinn macht, ein sektorspezifisches Argument für die Governance anzuwenden. Denn Governance ist und bleibt Governance. Es gelten stets die gleichen Standards, ganz gleich, wer man ist und wo man tätig ist. Unseres Erachtens könnten Anlageentscheidungen basierend auf einer relativen ESG-Bewertungsmethode zu unbeabsichtigten Risiken in den Bereichen Umwelt, Soziales und Governance führen.

In jedem Falle schneiden unsere Portfolios gegenüber der Benchmark auf Basis unabhängiger ESG-Bewertungen ohnehin gut ab.

Die ESG-Integration ist derzeit ein Modewort. Wie werden angesichts der zunehmenden Beliebtheit von ESG Ihrer Meinung nach die nächsten fünf Jahre aussehen?

WL: ESG ist eine positive Kraft. Unternehmen und Anleger erkennen zunehmend, welches Wertpotenzial hohe Governance- Standards mit sich bringen und welche Auswirkungen der Geschäftsbetrieb, Produkte und Dienstleistungen auf die Umwelt und Gesellschaft haben können. Ich bin aber weiterhin davon überzeugt, dass ein Unternehmen, das seine Governance nicht im Griff hat, wahrscheinlich auch nicht über die Strukturen und die Motivation verfügt, um sich in den Bereichen Umwelt und Soziales weiterzuentwickeln und zu verbessern. Und wenn es daran mangelt, stellt dies auch die Nachhaltigkeit der Renditen eines Unternehmens infrage.

 

Den vollständigen Artikel finden Sie hier.

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