Lupinen sind reich an Proteinen und Ballaststoffen – und eine noch unterschätzte, aber vielversprechende Hülsenfrucht, die der Sojabohne auf dem schnell wachsenden globalen Markt für pflanzenbasierte Nahrungsmittel Konkurrenz machen kann.
28.11.2023 | 06:45 Uhr
Cata Gorgulho ist in Lissabon aufgewachsen und hat sich früher keine Gedanken über die unscheinbare Lupinenbohne gemacht, die oft zu einem Glas Bier oder Wein gereicht wird. Man nannte sie sogar „Meeresfrüchte für die Armen“.
Jahre später jedoch, als sie bereits auf eine vegane Ernährung umgestiegen war, entdeckte sie ihre Leidenschaft für die allgegenwärtige gelbe Bohne.
Von Linsen und Kichererbsen, die sie mittlerweile gegen Fleisch getauscht hatte, fühlte sie sich ständig aufgebläht. Im Internet sah Gorgulho dann, dass Lupinen als pflanzlicher Eiweisslieferant mit wenig Lektinen, das heisst kohlenhydratbindenden Proteinen, die bekanntermassen Blähungen und Verdauungsstörungen verursachen, angepriesen wurden. Sie probierte es aus, und auf einmal ging es ihr besser.
So machte sie sich daran, sich wieder mehr mit der Hülsenfrucht zu beschäftigen.
„In Portugal sind Lupinen als Snack tief in unserer Kultur verwurzelt. Als ich klein war, dachte ich immer, sie seien ungesund, was hauptsächlich daran liegt, dass ich sie mit Bier in Verbindung bringe“, erzählt sie uns.
„Aber die Lupine ist eine unglaubliche regenerative Pflanze. Sie ist reich an Proteinen und Ballaststoffen und bietet ein Nährwertprofil, das dem von Soja in nichts nachsteht.“
Sie war von dem Potenzial der Bohne als nachhaltige Nahrungsquelle so angetan, dass sie beschloss, ihr eigenes Unternehmen zu gründen. Sie nannte ihr Start-up „Tarwi“ – eine diskrete Referenz auf ihre Geschäftstätigkeit, denn das Wort bedeutet „Lupinen“ auf Quechua, einer der indigenen Sprachen Südamerikas.
Das in London ansässige Unternehmen stellt Dips, Snacks und Proteinpulver auf Lupinenbasis in grossen Mengen her, um auf dem schnell wachsenden globalen Markt für pflanzliche Proteine mithalten zu können, der in den nächsten fünf Jahren auf 40 Mrd. US-Dollar anwachsen soll.1
Lupinen haben das Potenzial, der Sojabohne den Rang als weltweit am meisten konsumiertes pflanzliches Protein streitig zu machen.
Gorgulho verweist auf die hohe Nährstoffdichte der nussigen Bohnen, auf deren Proteinanteil mindestens 40 Prozent des Brennwerts (Kalorien) entfallen – damit machen sie Soja Konkurrenz. Der Ballaststoffanteil ist mit 30 Prozent doppelt so hoch wie bei Soja. Ausserdem liefern Lupinen alle zehn für unsere Ernährung wichtigen Aminosäuren, die der Mensch nicht selbst produzieren kann.
Lupinen lassen sich auch leichter anbauen, erklärt Gorgulho. Sojabohnen bevorzugen ein warmes Klima und benötigen für ihr Wachstum viel Stickstoff. Lupinen gedeihen dagegen in kalten, feuchten Umgebungen, und einige Sorten können sogar Frost vertragen. Lupinen haben die Fähigkeit, Stickstoff zu „fixieren“, eine natürliche Ökosystem-Funktion, die den Boden anreichert. Eine Studie hat gezeigt, dass der Anbau von Lupinen als Leguminose zwischen zwei Fruchtfolgen die Bodenfruchtbarkeit erhöht, den Wasserzugang verbessert und Wurzelkrankheiten in den Folgekulturen verhindert.2
„Dadurch wird eine positive Dynamik in Gang gesetzt. Landwirte müssen keine Düngemittel einsetzen und erzielen bei den nachfolgenden Ernten höhere Erträge. Ausserdem ist das für sie eine zusätzliche Einnahmequelle“, sagt Gorgulho.
„Lupinen sind die Helden der regenerativen Landwirtschaft.“
Trotz dieser Vorteile steht die Lupine noch nicht standardmässig auf dem veganen Speiseplan. Viele Sorten enthalten bittere und häufig toxische Alkaloide, die vor dem Verzehr mühsam entfernt werden müssen. Dank der Fortschritte in der Lebensmitteltechnologie könnte dieser Nachteil jedoch bald der Vergangenheit angehören.
Wissenschaftler haben ein Gen identifiziert, das für die Produktion der Bitterstoffe verantwortlich ist. Durch genetische Mutation können aus bitteren Lupinen süsse werden.3
Gorgulho arbeitet mit einem Saatgutunternehmen zusammen, das Süsslupinensorten entwickelt hat, die eine Entbitterung überflüssig machen.
Ein weiterer limitierender Faktor ist die geringe Lupinenproduktion in Europa, sodass keine zuverlässige Versorgung der Lebensmittelindustrie in grossem Massstab möglich ist.
Tarwi zum Beispiel bezieht Lupinen aus Australien, da ein kleiner portugiesischer Landwirt, mit dem das Unternehmen zunächst zusammengearbeitet hat, schon nach einer Woche an seine Kapazitätsgrenze gestossen war.
Um diese Herausforderung zu meistern, fördert Tarwi aktiv die lokale Produktion – mit dem Ziel, seine Lupinen in Zukunft zu 100 Prozent lokal zu beschaffen.
In der Vergangenheit haben der niedrige Preis für Lupinenkerne und die europäische Politik, die den Import von Sojabohnen favorisiert, den lokalen Lupinenanbau gebremst. Steigende Sojapreise, die Sorge über die Abholzung der Wälder im Zusammenhang mit der Intensivierung der Sojaproduktion und Fragen der Ernährungssicherheit haben jedoch das Interesse am Lupinenanbau in Europa neu geweckt.
Infolgedessen ist der Anteil Europas an der weltweiten Lupinenproduktion von 17% im Jahr 2011 auf 28% im Jahr 2021 gestiegen.4 Sojabohnen werden derzeit zu einem Preis von rund 500–600 US-Dollar pro Tonne gehandelt, während Lupinen in der Regel etwa 70% weniger kosten.
Traditionell werden Lupinen als eingelegter Snack verzehrt und häufig in mit Salzlake gefüllten Behältnissen verkauft. Tarwi verzichtet auf chemische Zusätze und setzt auf die Hochdruckpasteurisierung – ein nicht-thermisches Verfahren zur Konservierung von Lebensmitteln, das lebensmittelverderbende Mikroorganismen wirksam abtötet und eine längere Haltbarkeit gewährleistet.
Tarwi verkauft Hummus auf Lupinenbasis (den sogenannten „Lummus“) in Whole Foods Market Filialen in London und anderen einschlägigen Lebensmittel-Fachgeschäften – immerhin sind die Briten mit einem Umsatzanteil von 40 Prozent die grössten Hummus-Konsumenten in Europa.5
„Wie kann es sein, dass ich mit Lupinen grossgeworden bin und ihnen so lange keine Beachtung geschenkt habe? Die Leute denken nicht viel über die Lupine nach, weil es keine moderne Marke gibt, die für sie wirbt“, sagt Gorgulho.
„Ich möchte eine moderne Marke schaffen, die die Konsumenten von heute anspricht.“
Von Mayssa Al Midani, Senior Investment Manager, Themenaktien, Pictet Asset Management
Unser globales Nahrungsmittelversorgungssystem ist einer der grössten Hebel, die wir haben, um die grossen ökologischen und gesellschaftlichen Herausforderungen zu bewältigen. Verschiedene politische Ziele zur Überwindung von Umwelt- und Gesundheitskrisen – wie das Ziel der EU, die Nahrungsmittelverschwendung pro Kopf bis 2030 zu halbieren – führen dazu, dass Staaten verstärkt in neue Technologien und Lösungen investieren.
Investiert wird in neue Lösungen, die der Stärkung der Lieferketten, der Anhebung der Produktionsstandards und der Reduzierung von Lebensmittelabfällen dienen. Beispiele hierfür sind Technologien zur Verlängerung der Haltbarkeitsdauer und zur Verhinderung des Verderbs von Nahrungsmitteln oder innovative Verpackungen.
Auch verändern sich der Geschmack und das Verhalten der Konsumenten. Die Nachfrage nach pflanzlichen Alternativen wächst, da Konsumenten wie die Millennials und die Generation Z ein viel stärkeres Gesundheits- und Umweltbewusstsein haben. Der viel beachtete Nahrungsmittelbericht der Eat-Lancet Commission empfiehlt eine pflanzenbasierte Ernährung, bei der Vollkornprodukte, Obst, Gemüse, Nüsse und Hülsenfrüchte einen grösseren Anteil an der Ernährung ausmachen als Fleisch und Milchprodukte, um die Gesundheit der Menschen und des Planeten zu verbessern.
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