Pictet: Regeneration ist das Ziel - Naturschutz überwachen, verfolgen und stärken

Die Online-Plattform Restor, eine Art Google Maps der Rekultivierung, unterstützt Projekte zum Schutz der biologischen Vielfalt auf der ganzen Welt und trägt dazu bei, die Kapitalströme in eine neue Richtung zu lenken, so der Gründer.

06.06.2024 | 06:30 Uhr

Tom Crowther ist einer der gefragtesten Ökologen der Welt.

Denn der walisische Wissenschaftler, der an der ETH Zürich als Professor für Umweltsystemwissenschaften tätig ist, spielt eine zentrale Rolle bei den weltweiten Bemühungen um den Schutz der Biodiversität, dem aus Umweltperspektive eine ebenso hohe Bedeutung zukommt wie der Bekämpfung des Klimawandels.

Von allen seinen Initiativen zur Wiederherstellung von Ökosystemen ist Restor das Vorzeigeprojekt, das den Schutz der biologischen Vielfalt auf der Welt auf völlig neue Weise erfasst und fördert.

Restor wurde in dem gleichnamigen Crowther Lab an der ETH in Zusammenarbeit mit Google entwickelt und stellt frei zugängliche Informationen über landschaftliche Veränderungen auf der ganzen Welt bereit, die wichtige Erkenntnisse zur Verbesserung der Messung von Veränderungen der biologischen Vielfalt liefern.

Anders als der Klimawandel ist die biologische Vielfalt bekanntermaßen schwer zu quantifizieren, nicht zuletzt, weil viele Arten auf unserem Planeten nur unzureichend bekannt und nicht klassifiziert sind.

Doch technologische Fortschritte wie künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen oder Erdbeobachtungsverfahren machen den Weg für eine genauere und effizientere Analyse frei.

Innerhalb weniger Jahre gelang es Crowther und seinem Team, Restor zu einem globalen Hub auszubauen, das rund 200.000 Nutzern, darunter Unternehmen, Investoren und Privatpersonen, ökologische Einblicke in über 130.000 Standorte in 140 Ländern gibt. Crowthers inspirierender, innovativer Ansatz in der sonst eher steifen Lehre hat ihm den Beinamen „Steve Jobs der Ökologie“ eingebracht.

„Es heißt, Restor sei so etwas wie das Google Maps der Rekultivierung. Aber es ist auch eine Art AirBnB der Rekultivierung“, erklärt er gegenüber mega.

„Es geht mehr um die Gemeinschaft als um eine Karte.“

Regierungen, Unternehmen und Gemeinden können ihre Zusagen zur Wiederherstellung der Natur auf der Plattform veröffentlichen, wodurch sie rückvollziehbar und nachprüfbar werden.1

Hochkarätige Organisationen wie die Group of 20 und Bezos Earth Fund – der 10 Mrd. US-Dollar schwere philanthropische Fonds des Amazon-Gründers Jeff Bezos – loten auf Restor auch Finanzierungsmöglichkeiten aus.

Restor hat jetzt schon Projekte in einer Größenordnung von 6 Mio. US-Dollar finanziert.

Angesichts einer geschätzten Finanzierungslücke von 700 Mrd. US-Dollar pro Jahr im Bereich der biologischen Vielfalt2 mag dies nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein, aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Laut Crowther trägt Restor dazu bei, Kapital von der Finanzierung von Aktivitäten, die natürliche Ressourcen abbauen, in solche zu lenken, die sie regenerieren.

„Eine ungleiche Verteilung des Reichtums führt zu Umweltzerstörung. Wir müssen diesen Trend umkehren“, sagt Crowther.

„Reichtum muss in die lokalen Gemeinschaften fließen, die sich um die Natur und deren Schutz kümmern.“

Regeneration ist das Ziel

Landing Page Restor. Quelle: restor.eco, abgerufen am 21.05.2024


Ein Wald, der verstummt ist

Eine der erfolgreichen Rekultivierungsmaßnahmen, über die auf Restor berichtet wird, ist in Costa Rica zu erleben.

Anhand von Einblicken in Artenvielfalt, CO2, Wasser und Landnutzung, einschließlich Zeitraffer-Satellitenaufnahmen von Hunderten von Schutzgebieten in Costa Rica, dokumentiert Restor die bemerkenswerte Verwandlung Costa Ricas vom weltweit größten Abholzungsland zum globalen Vorreiter bei der Wiederherstellung der Natur.

Noch vor wenigen Jahrzehnten stand dieses kleine mittelamerikanische Land, das zwischen zwei Bioregionen mit reichhaltigen Ökosystemen liegt, am Rande eines ökologischen Kollaps.

Costa Rica holzte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts massenhaft Bäume ab, um Platz für Ackerbau und Viehzucht zu schaffen. Dies führte zu einem Rückgang der Tropenwaldfläche von 75% auf nur noch 25%. Mit den Bäumen verschwand auch die reiche Flora und Fauna.

Davon alarmiert, änderte die Regierung in den 1980er Jahren ihren Kurs und leitete landesweite Rekultivierungsmaßnahmen ein. Das Land legte ein innovatives Programm auf, das Zahlungen für die Bereitstellung von umweltbezogenen Dienstleistungen (Payments of Environmental Services, PES) vorsah. Dadurch wurden Anreize für Landwirte geschaffen, Wasserquellen zu schützen, die biologische Vielfalt zu erhalten und CO2-Emissionen zu reduzieren.

Im Rahmen des Programms wurden in den letzten zwanzig Jahren insgesamt 500 Mio. US-Dollar an Grundbesitzer ausgeschüttet, wodurch mehr als 1 Million Hektar Wald – ein Fünftel der Gesamtfläche des Landes – gerettet und mehr als 7 Millionen Bäume gepflanzt wurden.3 Außerdem löste es einen Boom im Ökotourismus aus, der einen Beitrag von 4 Mrd. US-Dollar zur Wirtschaftsleistung leistete.4

Der enorme Erfolg hat Costa Rica den ersten „Earthshot Prize“ eingebracht, der 2021 von Prinz William ins Leben gerufen wurde, um innovative Lösungen für die ökologischen Herausforderungen unseres Planeten zu finden.

„Wir müssen uns diese Landwirte zum Vorbild nehmen. Diese Menschen sind Helden. Costa Rica ist ein beeindruckendes Beispiel. Die Natur ist Teil ihrer Identität und auch die Wirtschaft hat sich erholt“, sagt Crowther.

Über den Earthshot Prize – Restor gehörte 2021 zu den Finalisten – kooperierte Crowther mit Costa Rica, um die Umsetzung der PES-Programme des Landes sowie die Schaffung neuer Waldflächen zu verfolgen und nationale politische Entscheidungen zur Wiederaufforstung mit wertvollen Erkenntnissen zu flankieren.

Ergänzend zu den Einblicken von Restor hat Crowther auch einen bahnbrechenden Nachweis für die erfolgreichen Rekultivierungsbemühungen des Landes mithilfe einer neuartigen Methode zur Bewertung der biologischen Vielfalt erbracht.

Crowther und seine Forscher analysierten die Melodie des Waldes, die von Vögeln, Affen und Blättern komponiert wird, mit einer neuen Technologie namens Bioakustik-Monitoring, bei der der ökologische Zustand eines Gebiets anhand von Aufnahmen der Lautäußerungen von Tier- und Pflanzenarten bewertet wird.

In einer wissenschaftlichen Studie, die noch in diesem Jahr veröffentlicht werden soll, haben die Forscher zum ersten Mal festgestellt, dass sich die Geräuschkulisse in den Wäldern Costa Ricas zu mehr als die Hälfte wieder in ihrem natürlichen Zustand wie vor der Störung durch den Menschen befindet.

„Das ist der erste Beweis dieser Art, mit dem statistisch belegt werden kann, dass Costa Rica die Wiederherstellung auf nationaler Ebene gelingt“, sagt Crowther.

„Die Klanglandschaft der Natur ist vielfältig. Sie enthält hohe und tiefe Töne und verschiedene Noten. Das ist auch das Klangbild, das die Menschen mögen. In unserer 10.000-jährigen Evolutionsgeschichte war es immer so, dass uns eine vielfältige Geräuschkulisse gefällt, weil wir dann wissen, dass Natur und Nahrung vorhanden sind. Wir mögen keine Musik, die nur aus einem einzigen Ton besteht.“

Wie viel ist die Natur wert


Trendwende für die Artenvielfalt

Crowther wurde mit seiner umstrittenen Studie aus dem Jahr 2019 schlagartig berühmt, die zu dem Schluss kam, dass die Welt Platz für zusätzlich ungefähr eine Billion Bäume hat. Dies löste einen weltweiten Pflanzaktionismus aus, der sogar den Klimaskeptiker Donald Trump überzeugte, sich der Bewegung anzuschliessen.5

Doch die scheinbar einfache Lösung für den Klimawandel stiess auf heftige Kritik in Wissenschaftskreisen und der Öffentlichkeit, weil viele glaubten, dass die Studie für massenhafte Baumpflanzungen plädierte. Wird beispielsweise der falsche Baum am falschen Ort gepflanzt, kann dies die Zerstörung der biologischen Vielfalt beschleunigen.

„Einige Leute haben sich darauf versteift, dass man einfach nur eine Billion Bäume pflanzen müsse. Aber in dieser Studie ging es nie darum, irgendetwas zu pflanzen. Bei der globalen Rekultivierung geht es nicht darum, Land aufzukaufen und Massenpflanzungen vorzunehmen. Vielmehr geht es darum, Millionen von lokalen Gemeinschaften in die Lage zu versetzen, die biologische Vielfalt, von der sie abhängen, zu fördern“, so Crowther.

„Alles, was wir je hatten, stammt aus der Natur. Die grösste Herausforderung ist jedoch unsere utilitaristische Denkweise, bei der wir uns auf einzelne Teile konzentrieren und alles andere vernachlässigen. Wir müssen dringend die Vielfalt ganzer Ökosysteme fördern und dürfen nicht nur einzelne Teile im Fokus haben.“

Vier Jahre später hat Crowther diese Botschaft in einer gemeinsamen Studie mit Hunderten von Wissenschaftlern präzisiert.6 Die Ende 2023 veröffentlichte Studie zeigt, dass die Wiederherstellung natürlicher Wälder das Potenzial hat, ein Drittel der notwendigen CO2-Reduzierung im Kampf gegen den Klimawandel zu decken. Sie zeigt aber auch, dass diese Klimavorteile nicht ohne eine Verringerung der Treibhausgasemissionen erreicht werden können.

Vor dem Wandel kommt immer das Chaos. Ich denke, dass bald positive Wendepunkte kommen werden.

Crowther hat das Gefühl, dass der Naturschutz an Dynamik gewinnt. Auf der letzten UN-Klimakonferenz (COP) stellte er fest, dass sich die Gespräche über die biologische Vielfalt auf den Schutz der Rechte indigener Völker und die Förderung des Wohlergehens lokaler Gemeinschaften konzentrierten – ein deutlicher Gegensatz zu dem Hype um das Pflanzen von Bäumen vor fünf Jahren.

Auch die politischen Entscheidungsträger machen jetzt gemeinsame Sache. Das bahnbrechende Kunming-Montreal-Abkommen über die biologische Vielfalt aus dem Jahr 2022 und die Leitlinien der Taskforce on Nature-related Financial Disclosures für die Berichterstattung der Unternehmen tragen zur Weiterentwicklung des rechtlichen Rahmens bei.

„Es hat sich eine unglaubliche Dynamik entwickelt. Dahinter stehen Unternehmen und Regierungen. Doch wir verlieren immer noch mehr Natur als wir gewinnen“, sagt Crowther.

„Aber vor dem Wandel kommt immer das Chaos. Ich denke, dass bald positive Wendepunkte kommen werden. Das gilt für grüne Energie, für Elektrofahrzeuge und in gewissem Masse sogar für das Ernährungssystem. Als nächstes ist die Natur dran.“




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