Der im Jahr 2009 neu gefasste Artikel 109 Abs. 3 des Grundgesetzes sieht vor, dass die öffentlichen Haushalte in Deutschland prinzipiell ohne staatliche Kreditaufnahme auskommen.
13.09.2021 | 09:36 Uhr
Abhängig vom Auslastungsgrad der Wirtschaft sind für Bund und Länder Abweichungen möglich, die allerdings symmetrisch sein sollen: Überschüsse in guten Zeiten, Defizite in schlechten. Diese „Konjunkturkomponente“ soll eine zyklusverstärkende Wirkung der Finanzpolitik verhindern und insbesondere auch die Funktionsfähigkeit der automatischen Stabilisatoren sicherstellen. In Artikel 115 GG wird dem Bund darüber hinaus ein moderates strukturelles Defizit bis zu einer Höhe von 0,35 Prozent des BIP zugebilligt. Diese „Schuldenbremse“, die den Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt auf nationaler Ebene umsetzt, gilt nach einer Übergangsphase für den Bund seit 2016, für die Länder seit 2020. Sie ist vielleicht nicht der Hauptgrund für die erfolgreiche Rückführung der Staatsschuldenquote in den 2010er Jahren in Deutschland, dafür dürften das günstige Wachstumsumfeld und niedrige Zinskosten entscheidend gewesen sein. Doch die Verschärfung der Fiskalregeln hat mit hoher Wahrscheinlichkeit geholfen, die politischen Begehrlichkeiten in Schach zu halten (siehe Darstellung 1).
Als Reaktion auf die Corona-Krise und den Einbruch der wirtschaftlichen Aktivität im Frühjahr 2020 wurde die Schuldenbremse ausgesetzt, um finanzpolitischen Spielraum für die Begrenzung der Schäden und die Bewältigung der Krise zu erhalten. Die budgetären Folgen sind allerdings enorm: Einnahmeausfälle und Mehrausgaben dürften nach Schätzungen der EU-Kommission dafür sorgen, dass die Verschuldung des deutschen Staates innerhalb von zwei Jahren um rund ein halbe Billion Euro auf fast 2,6 Billionen Euro oder 73 Prozent des Bruttoinlandsprodukts anschwellen wird. Die Masse der zusätzlichen Verschuldung, etwa 400 Mrd. Euro, entfällt auf den Bund, dessen Schuldenstand Ende 2021 gut 1.400 Mrd. Euro erreichen dürfte. Allein für 2021 sieht der Bund ein Haushaltsdefizit von rund 240 Mrd. Euro vor – fast 200 Mrd. Euro höher als die „regelgerechte“ Kreditobergrenze.
Für das Haushaltsjahr 2022 plant die schwarz-rote Bundesregierung eine Nettokreditaufnahme von knapp 100 Mrd. Euro. Die Ausnahmeregelung wurde nochmals verlängert. Doch angesichts der fortschreitenden wirtschaftlichen Erholung dürfte sich die Anwendung der Schuldenbremse nicht noch weiter aufschieben lassen: Ab 2023 schlägt dann die Stunde der Wahrheit, denn mit einer Kreditobergrenze von rund 15 Mrd. Euro (Plan 2023) lassen sich vermutlich keine großen Sprünge machen – und einige Wahlversprechen nur schwer einhalten. Zudem schränkt die Verpflichtung zur Tilgung der Corona-Schulden den Kreditspielraum in den Folgejahren weiter ein - zunächst nur moderat, ab 2026 aber, den Tilgungsplänen zufolge, mit voraussichtlich mehr als 20 Mrd. Euro jährlich.
Wiederaufbauprogramm erleichtert Konsolidierung in den hochverschuldeten EWU-Ländern
Was für Deutschland gilt, gilt in verschärfter Form für viele andere Länder der EWU. Die Regeln des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts bleiben 2022 ausgesetzt, werden aber vermutlich – das ist die derzeitige Planung der EU-Kommission – ab 2023 wieder bindend sein. Angesichts der teils sehr hohen, stark gestiegenen Verschuldung könnte den Staaten des Euroraums damit eine lange Phase der Konsolidierung ins Haus stehen. Nach den überarbeiteten Haushaltsregeln von 2011 müssten die EU- Staaten jährlich ein Zwanzigstel der Verschuldung oberhalb der Verschuldungsgrenze von 60 Prozent abbauen. Für ein Land wie Italien, wo die Schuldenquote an 160 Prozent heranreicht, würde das eine Rückführung der Quote um jährlich 5 Prozentpunkte erforderlich machen (siehe Darstellung 2).
Gemildert werden die Vorgaben allerdings durch den Zufluss von Mitteln aus dem europäischen
Wiederaufbauprogramm („NextGeneration EU“). Aus der Wiederaufbau- und Resilienzfazilität werden den
EU-Staaten über die nächsten Jahre gut 312 Mrd. Euro an Zuschüssen und bis zu 360 Mrd. Euro an
Darlehen zur Verfügung gestellt, die vor allem Strukturreformen und Investitionen (insb. digitale Infrastruktur,
Klimawandel) unterstützen sollen. Zielgerecht und effizient eingesetzt können diese Gelder dafür sorgen,
dass der Konsolidierungszwang nicht zulasten der öffentlichen Investitionen und damit zulasten des künftigen
Wirtschaftswachstums geht.
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