Die Türkei nimmt am automatischen Informationsaustausch in Steuersachen teil. Der deutsche Fiskus erhält aber vorerst keine Daten. Was Berater wissen sollten.
20.01.2021 | 07:00 Uhr von «Stefan Rullkötter»
Demokratie und Reformen", verspricht der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan. Nach der Wahl von Joe Biden zum US-Präsidenten möchte der Trump-Freund sich Europa wieder annähern. Ein Zeichen guten Willens könnte er beim automatischen Informationsaustausch zur Bekämpfung grenzüberschreitender Steuerverkürzung (AIA) setzen, an dem die Türkei neben 110 Staaten erstmalig teilnimmt. Am 31. Dezember 2020 hätte die dortige Finanzverwaltung Daten von Personen, die in Deutschland ansässig sind und über Konten und Depots in der Türkei verfügen, melden sollen.
Doch beim Bundeszentralamt für Steuern in Bonn kamen offensichtlich zu dem Stichtag keine Informationen an. "Derzeit finden Gespräche zwischen der Türkei und allen EU-Mitgliedsstaaten zur Aktivierung des AIA statt", teilt das Bundesfinanzministerium auf Anfrage von Medien mit.
Die meldepflichtigen Daten sind umfangreich: Neben Name, Anschrift, Geburtsdatum, Steueridentifikations- und Kontonummern ausländischer Bankkunden müssen Jahresendsalden von Konten, Zins- und Dividendeneinnahmen sowie Erlöse aus Veräußerungsgeschäften mit Aktien, Anleihen und Fonds weitergeleitet werden.
Ob die Türkei diese Informationen aus politischen Gründen nicht wie vereinbart geliefert hat, ist unklar. "Ich gehe davon aus, dass die Türkei kurz- bis mittelfristig die Daten nach Deutschland melden wird", sagt Christopher Arendt, Fachanwalt für Steuerrecht bei der Sozietät Acconsis in München. "Andernfalls müsste das Land aus diesem internationalen Abkommen wieder austreten".
Das tangiert mittelbar 2,8 Millionen Bundesbürger türkischer Abstammung, von denen viele noch Bankverbindungen in die alte Heimat unterhalten: Haben sie in der Türkei erzielte Einkünfte in der deutschen Steuererklärung nicht angegeben, drohen Steuerstrafverfahren. Die bisher von der Türkei nicht übermittelten AIA-Daten betreffen zwar nur das Steuerjahr 2019. In der Regel werden diese aber Rückschlüsse auf Kontenbestände und Erträge aus der Vergangenheit zulassen. Im Zweifel könnten deutsche Finanzämter die Einkünfte aus früheren Jahren sogar schätzen. Um einer Strafe zu entgehen, sind dann, je nach Einzelfall, Kapitalerträge rückwirkend bis 2008 vollständig offenzulegen.
"Wer nur für 2018 und 2019 nachträglich Angaben beim Finanzamt macht, gibt keine wirksame Selbstanzeige ab", warnt die Münchner Rechtsanwältin Alexandra Kindshofer, die auf Steuerstrafrecht spezialisiert ist. Eine neue Selbstanzeigen-Welle ist aber nicht zu erwarten. Eile ist dennoch geboten: Sind nur technische Probleme Grund für die Verzögerung, könnte Erdogan bei der Datenlieferung aufs Tempo drücken - als kleines Versöhnungangebot.
Dieser Artikel erschien zuerst am 18.01.2021 auf boerse-online.de
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