Generative KI mag die Investoren in Euphorie versetzt haben, aber sie ist nur ein Teil im Mosaik der Transformation im Technologiesektor.
13.09.2023 | 08:48 Uhr
Hausaufgaben, Social-Media-Posts, Zeitschriftenartikel, Bücher – ChatGPT kann offensichtlich alles. Generative künstliche Intelligenz (KI) beflügelt unsere Fantasie und lockt Investoren wieder in den Technologiesektor. Im Grunde gibt es aber nur einen einzigen – zugegeben sehr hellen – Stern in dem immer grösser werdenden Digitaluniversum. Wenn die Investoren allerdings nur auf generative KI setzen, entgehen ihnen möglicherweise viele andere Chancen.
Seit 1997 verwalten wir technologiefokussierte thematische Aktienportfolios und können Hype von wirklich tragfähigen neuen Technologien, in die es sich zu investieren lohnt, unterscheiden.
Zum einen ist KI nicht neu. Wissenschaftler arbeiten seit 70 Jahren an der Entwicklung eines künstlichen Gehirns. Der erste Meilenstein war ein Programm, das eigenständig Schach spielen konnte. Seitdem hat die Technologie Riesenfortschritte gemacht, aber der Weg ist noch lang – ChatGPT ist nur eine Station auf der Reise.
Im Gegensatz zu einigen anderen technologischen Innovationen sind die Einsatzmöglichkeiten für generative KI real und greifbar. Sie kann zum Beispiel Charaktere und Storylines in Online-Spielen erstellen, Finanzberichte verfassen und immer komplexere Kundenservice-Anfragen bearbeiten. Es sind jedoch noch einige Herausforderungen zu bewältigen, z.B. die Zuverlässigkeit der Ergebnisse, ethische Aspekte der Nutzung der Technologie und – was für uns letztendlich zählt – die wirtschaftliche Tragfähigkeit.
Aus unserer Sicht ist generative KI eine bedeutende Entwicklung, die neben anderen Durchbrüchen eine Schlüsselrolle in der Technologie-Revolution spielen kann. Dabei darf nicht vergessen werden, dass generative KI nur ein Teilbereich des Deep Learning ist und dieses wiederum nur ein Teilbereich von maschinellem Lernen – und selbst das ist nur einer von vielen Aspekten, die die Digitalisierung unserer Welt vorantreiben. Die Landschaft ist komplex. Für Investoren bedeutet dies, dass die Chance viel breiter und greifbarer ist als viele glauben.
Berücksichtigt man dann noch die vielen anderen Anwendungsbereiche von KI – wie natürliche Sprachverarbeitung, maschinelles Lernen und prädiktive Analytik –, wird das grosse Potenzial in dieser Branche deutlich, die globale Wirtschaft durch kräftiges Produktivitätswachstum neu zu gestalten. Diese Technologie kommt bereits in einer Vielzahl von Branchen zum Einsatz,
beispielsweise in Online-Medienunternehmen, um gezielte Werbung und Produktempfehlungen auszuspielen, im E-Commerce, um das Kundenerlebnis zu verbessern, in der Logistik, um das Supply-Chain-Management zu optimieren, und in der Reisebranche, um Hotelpreise festzulegen oder Veranstaltungen nach der wahrscheinlichen Nachfrage zu planen.
Der wirtschaftliche Effekt der Verbreitung von KI könnte enorm sein: Goldman Sachs schätzt, dass KI in den kommenden zehn Jahren einen Beitrag von rund 7 Bio. US-Dollar zur globalen Wirtschaft leisten könnte.
Und das alles ist nur ein Teil der Digital-Story.
Obwohl die Welt sich scheinbar rasant digitalisiert hat, liegt noch ein langer Weg vor uns.
Nehmen wir den E-Commerce. Er macht weniger als ein Fünftel des 26 Bio. US-Dollar schweren globalen Einzelhandelsmarktes aus. Und Cloud-Computing hat einen Anteil von nur 10% an den gesamten IT-Ausgaben. Und gerade mal 6% der Kartentransaktionen werden über digitale Fintech-Zahlungen abgewickelt (z.B. mit dem Smartphone).
Für jeden dieser Bereiche wird eine jährliche Wachstumsrate (CAGR) im zweistelligen Bereich in den nächsten fünf Jahren prognostiziert. In einer wachstumsschwachen Welt eröffnen sich hier attraktive Geschäfts- und Anlageschancen.
Eine digitalere Welt, in der KI und Automatisierung einen festen Platz haben, dürfte auch die Antwort auf das immer akuter werdende Problem der weltweit sinkenden Produktivität sein.
Unsere Multi-Asset-Strategen gehen davon aus, dass die Automatisierung eine hohe Priorität haben wird, weil durch die Alterung der Gesellschaft und die Umstellung auf flexible Arbeitsformen der Arbeitskräftemangel überall auf der Welt verschärft wird. Die Neuausrichtung der Lieferketten und der Druck, die Produktion in kostspieligere Near-/Onshore-Gebiete zu verlagern, werden diesen Trend weiter befeuern.
Quellen: eMarketer, Statista, Gartner, IDC, IMARC Group, PR Newswire, RBR Global Payment Card Data, Pictet Asset Management.
Zugegeben, die diesjährige Rally bei Technologieaktien hat dazu geführt, dass die Bewertungen nicht mehr ganz so attraktiv sind wie noch vor wenigen Monaten. Wir möchten aber betonen, dass ein Teil dieser Rally einfach nur eine Umkehr der Underperformance des Sektors aus 2022 war und nicht durch die übertriebene Reaktion auf ChatGPT ausgelöst wurde.
Wir glauben auch, dass Aufwärtskorrekturen der Unternehmensgewinne im Technologiesektor für Investoren einen höheren Stellenwert haben als die KGVs. Die Korrekturen folgen Preisanstiegen (und somit dem Wachstum der Bewertungskennzahlen) in der Regel mit zeitlicher Verzögerung, da Sell-Side-Analysten Verschiebungen im Zyklus erst nach einiger Zeit erkennen und ihre Prognosen dann aktualisieren. Das gilt insbesondere bei einem Marktaufschwung. In unserem Pictet-Digital Portfolio ist die Performance seit Jahresbeginn hauptsächlich auf Aufwärtskorrekturen der Prognosen für das Wachstum des Gewinns je Aktie (EPS) (+28%) und nicht auf ein Wachstum des KGV (+16%) zurückzuführen. In letzter Zeit haben sich die Bewertungskennzahlen viel schwächer entwickelt und es gab mehr EPS-Korrekturen als bei Unternehmen im MSCI IT Index, was unserer Meinung nach die Bedeutung eines aktiven Managements in der Digitalindustrie unterstreicht.
Wir gehen davon aus, dass die Unternehmen weiterhin die Konsens-Gewinnprognosen übertreffen und die Analysten ihre Prognosen weiter anheben werden. Dafür gibt es mehrere Gründe. Die Unternehmen in unserem Portfolio profitieren von einem erheblichen operativen Leverage bzw. der Fähigkeit, Umsatzsteigerungen in deutliche Verbesserungen des operativen Ergebnisses umzumünzen. Wenn sich das Umsatzwachstum stabilisiert und dann wieder beschleunigt, kommt ihnen das zugute. Darüber hinaus nimmt das operative Leverage zu, wenn Unternehmen ihre Betriebskosten senken, was gerade auf breiter Front geschieht (z.B. bei Meta, Google, Amazon, Microsoft, Splunk usw.). Bereits im zweiten Quartal übertrafen 90 Prozent der Technologieunternehmen die Gewinnerwartungen, und wir gehen davon aus, dass es in den kommenden Quartalen noch mehr sein werden.
Der Technologiesektor hat im aktuellen Umfeld noch andere Vorteile, z.B. eine relativ geringe Fremdverschuldung. Insgesamt weisen die Unternehmen im Pictet-Digital Portfolio einen positiven Netto-Cashflow auf (gegenüber einem Wert von 1,6 beim Verhältnis Nettoverschuldung zu EBITDA beim MSCI ACWI), was in Zeiten steigender Zinsen besonders hilfreich ist.
Innerhalb des Digitaluniversums haben wir vier Bereiche identifiziert, in denen wir die Perspektiven für besonders aussichtsreich halten:
Daher sind ChatGPT und die Technologie, die generativer KI zugrunde liegt, für uns nur neue innovative Ausprägungen, die das langfristige Potenzial des Digitaluniversums unterstreichen. Die Unternehmen, in die wir investieren, sind Innovatoren, die bewiesen haben, dass sie erfolgreich fortschrittliche und zukunftsfähige Technologie unterstützen, entwickeln und nutzen können. Mit zunehmender Reife der generativen KI werden diese Unternehmen gut positioniert sein, um ihr Potenzial zu nutzen und zu monetarisieren – wie sie es auch bei der nächsten spektakulären Innovation tun werden.
Als aktive Assetmanager sind wir immer auf der Suche nach neuen Ideen und neuen Anlagemöglichkeiten. Wir sind jedoch fest davon überzeugt, dass ein breit aufgestelltes Portfolio und ein Fokus auf stabilen Erträgen der beste Weg sind, um langfristig attraktive Renditen zu erzielen.
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