Geodaten haben einst dazu beigetragen, die Ursache der Cholera herauszufinden. Heute werden sie überall eingesetzt, von der Verbesserung der Ernteerträge bis zur Überwachung der Auswirkungen des Klimawandels.
19.03.2024 | 08:00 Uhr
Im Jahr 1854, während eines Choleraausbruchs in London, erstellte der Arzt John Snow eine Karte, auf der die Orte der Todesfälle verzeichnet waren, und brachte so den Ausbruch mit einer kontaminierten Wasserpumpe in Soho in Verbindung. Dadurch wurde die vorherrschende Annahme widerlegt, dass die Krankheit durch Miasma, also krankheitsverursachende Materie, in der Luft verbreitet wurde. Seine detaillierte Analyse revolutionierte die Visualisierung von Daten.
Heute werden Geodaten für verschiedenste Zwecke verwendet, von der Erstellung von Plänen für die öffentliche Sicherheit über die Suche nach den effizientesten Werbeträgern bis hin zur Verbesserung der Ernteerträge in der Landwirtschaft. Ein wichtiger Wachstumsbereich ist die Umwelt. Hier geht es zum Beispiel darum herauszufinden, wo am besten Kapazitäten für erneuerbare Energie installiert werden, wie Waldbrände verhindert werden können, wie Infrastruktur vor klimabedingten Schäden geschützt werden kann oder wie sichergestellt werden kann, dass die Lieferketten nachhaltig sind.
Öffentlich zugängliche und kostenlose Geo-Kartierungssoftware wie Google Maps und Open-Source-Plattformen wie OpenStreetMap haben die Nutzung, den Austausch und das Verständnis von Geodaten für ein breiteres Publikum erleichtert. „Diese Branche gibt es schon seit mehr als 40 Jahren, aber in der Vergangenheit war sie eher eine Nische. Man musste ja geradezu Geografie studiert haben, um mit Geodatenanalysen, räumlichen Analysen oder GIS etwas anfangen zu können“, sagt Javier de la Torre, Gründer und Chief Strategy Officer von CARTO, einem Geodaten-Startup, das 2021 61 Millionen US-Dollar von Geldgebern wie Accel und Salesforce Ventures einsammelte. „Ein Trend, den wir gerade beobachten, ist die Verschmelzung von Geodaten mit allgemeiner digitaler Analytik“, erklärt er. „Geo ist sozusagen eine neue Spalte in unseren Datenbanken.“
Zum einen gibt es mehr Daten. „Die explosionsartige Zunahme von Sozial- und Personaldaten aus Quellen wie Mobiltelefonen liefert granulare räumliche und zeitliche Informationen zum Verständnis von Aktivitäten“, sagt Jing Gao, Assistenzprofessorin für Geodatenwissenschaft an der Universität Delaware.
Die Informationen kommen nicht mehr nur von Smartphones und vernetzten Geräten, sondern zunehmend von Satelliten – und werden über diese ausgetauscht. „Als ich anfing, wurden die meisten Satelliten von Behörden und Behördenverbünden betrieben. Heute haben wir moderne kommerzielle Satelliten, die Daten mit sehr hoher räumlicher Auflösung sammeln, die täglich aktualisiert werden und eine globale Abdeckung gewährleisten“, sagt Jing Gao.
Die heutigen Satelliten bieten viel umfassendere Einblicke, zum Beispiel indem die Geodaten um thermische Werte ergänzt werden. Ausserdem lassen sich präzise die Methanemissionen messen und bis zum einzelnen Standort zurückverfolgen, so Seidel. „Früher waren für die Methanerkennung teure Drohnen oder Flugzeuge erforderlich, die den Standort überfliegen mussten. Jetzt ermöglichen Satelliten eine globale Überwachung. Diese neuen Funktionen ermöglichen ein Tracking von Emissionen, wie es früher nicht möglich war.“
Fortschrittliche Technologie bedeutet nicht nur, dass mehr Daten zur Verfügung stehen, sondern auch, dass wir diese Daten zweckmässiger, effizienter und kostengünstiger analysieren können. „In der Vergangenheit war mit der Geodatenanalyse ein hoher manueller Analyse- und Interpretationsaufwand verbunden, der viel Geld kostete. Jetzt senkt KI die Arbeitskosten“, sagt Daniel Seidel, Gründer von LiveEO, einem Startup für satellitengestütztes Infrastruktur-Monitoring.
Die genaue Überwachung von Umweltveränderungen ist heute der wichtigste Anwendungsfall für fortschrittliche Geodatentechnologie. Und das gilt nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch für kommerzielle Unternehmen, die auf diese Weise Risiken steuern und die Einhaltung der immer strengeren Vorschriften sicherstellen.
LiveEO wird schwerpunktmässig für die Überwachung von Infrastruktur eingesetzt, nachdem schwere Unwetter im Jahr 2017 in Deutschland Schäden an Bahngleisen, Stromleitungen usw. verursacht hatten. Die Unwetter haben uns vor Augen geführt, dass sich kritische Infrastrukturen über weite Gebiete erstrecken und es bei den herkömmlichen Kontrollprozessen viele blinde Flecken gibt, sagt Seidel. „In Zukunft wird es mehr Unwetter geben, und die Infrastruktur in vielen Ländern wird immer älter. Diese beiden Entwicklungen bedeuten, dass wir stärker datengestützte Entscheidungen treffen müssen.“
Kleinste Details zum Standort können eine grosse Wirkung haben. Die Waldbrände auf Maui, die derzeit noch untersucht werden, scheinen dort ausgebrochen zu sein, wo Stromleitungen von der Vegetation überwuchert wurden, sagt Seidel. Standortdaten könnten solche Risiken aufzeigen, bevor sie sich zu einer Katastrophe entwickeln. Eigentümer von Infrastruktur müssen aufkommende Risiken erkennen, damit sie nicht zu Bedrohungen werden. Dürreperioden etwa führen dazu, dass die Böden rissig werden und zum Beispiel Brücken und Rohrleitungen absinken.
Die Gesetzgebung wird Impulse setzen, damit Unternehmen verstärkt in Geodatentechnologie investieren. Die Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, CSDDD) verpflichtet Unternehmen zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards in ihren Lieferketten. „Neue EU-Vorschriften verlangen den Nachweis, dass Rohstoffe wie Palmöl, Kaffee und Holz keine Abholzung in anderen Ländern verursacht haben, sonst drohen den Unternehmen Geldstrafen“, so Seidel. LiveEO nutzt Satellitendaten, die den Akteuren der Lieferkette helfen, den Abholzungsstatus nachzuweisen. „Da Satellitendaten einen Nachweis über den Abholzungsstatus liefern können, gibt es jetzt einen wirtschaftlichen Anreiz für Unternehmen, Überwachungstechnologien einzusetzen.“
Geodaten können auch helfen, passgenaue Entscheidungen über den Klimaschutz zu treffen. CARTO arbeitet mit städtischen Behörden zusammen, um Anpassungsmassnahmen zu entwickeln. „Eine Stadt wollte Gebiete vorrangig für die Anpflanzung von Bäumen ausweisen, um der Hitze in der Stadt entgegenzuwirken. Wir haben mit einem Scoring-Modell gearbeitet, in das viele Datenebenen eingeflossen sind. Dieses Modell fasst sieben oder acht Informationsebenen zu einem Gesamtscore zusammen“, erklärt de la Torre. „KI generiert Erklärungen in natürlicher Sprache für den Score der einzelnen Gebiete und erläutert, wie Faktoren wie die Entfernung zu Parks, historische Temperaturen und sozioökonomischer Status bei der Bewertung berücksichtigt wurden.
Generative KI und Cloudplattformen wie BigQuery, Snowflake und Databricks könnten dazu beitragen, die Geodatenkapazitäten unternehmens- und funktionsübergreifend noch weiter auszubauen.
Das Telekommunikationsunternehmen BT beispielsweise hat ein neues KI-gestütztes „Conversational GIS“-System für ein auf Plakat- und Aussenwerbung spezialisiertes Unternehmen entwickelt, das es Werbetreibenden ermöglicht, über eine dialogorientierte Benutzeroberfläche Werbekampagnen zu entwerfen und Plakatflächen zu finden; sie müssen dann nicht mehr mit den komplexen herkömmlichen Tools arbeiten. Die Nutzer können ihre Kampagnenziele dialogbasiert formulieren und die KI schlägt relevante Parameter und Filter vor, um die Suche zu verfeinern. Die britische Supermarktkette Asda nutzt die Plattform, um Standorte für Lebensmittel-Abholstationen zu planen. Das britische Eisenbahnunternehmen Network Rail setzt die Lösung ein, um das Amortisationspotenzial der Installation von Solaranlagen an Bahnhöfen und Bahnstrecken zu analysieren.
Längerfristig werden Geodaten von entscheidender Bedeutung sein, wenn es darum geht, dass sich die Menschheit an die Unwägbarkeiten der Klimakrise anpassen muss. „Wir verfügen heute über genügend Daten und Rechenleistung, um die langfristigen und weitreichenden Folgen unseres Handelns zu verstehen“, sagt Jing Gao. „Es gibt Rechenmodelle für verschiedene Prozesse wie Klimawandel, Bevölkerungsentwicklung und Urbanisierung, und wir können sie in einer simulierten Welt zusammenbringen und für einen Zeitraum von 50 bis 100 Jahren interagieren lassen.“
Einblicke für Investoren
Nach Angaben des Marktforschungsunternehmens Markets And Markets
dürfte der Markt für Geo-Analytik von 78,5 Mrd. US-Dollar im Jahr 2022
auf 142 Mrd. US-Dollar im Jahr 2028 ansteigen, was einer
durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 12,6% entspricht.
Es handelt sich dabei um einen Bereich, der in vielen Branchen Anwendung findet und somit ein breites Spektrum an Chancen für Investoren bietet. Grosse Technologieunternehmen wie Google sind führend in der Entwicklung der entsprechenden Software und deren Einsatz in ihren Produkten. In der Landwirtschaft zum Beispiel können Detailaufnahmen dazu beitragen, die Effizienz zu verbessern und die Ernteerträge zu steigern. Geodaten werden auch verwendet, um die wachsende Zahl autonomer Traktoren und anderer Landmaschinen zu verfolgen. Weitere Einsatzbereiche sind Stadtplanung und die Gestaltung von intelligenten Städten, Sicherheit und Verkehr.
Geodaten spielen auch eine Schlüsselrolle bei der Messung der Auswirkungen des Klimawandels. Diese Daten können wiederum dazu beitragen, Investitionen dorthin zu lenken, wo Begrenzungs- und Anpassungsmassnahmen am nötigsten sind.
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