Vor sechzig Jahren nahm der weltweit erste Industrieroboter im
US-Bundesstaat New Jersey in einer Autofabrik seine Arbeit auf. Er hatte
die Form eines riesigen Hebearms und holte Metallteile aus einer
Druckgusspresse. Heute werden Roboter längst nicht mehr nur in Fabriken
eingesetzt, sondern sind Teil unseres Alltags.
Rund 3,5 Millionen ihrer Art gibt es weltweit.1 Sie können
nicht nur Autos zusammenbauen, sondern auch das Haus putzen, Einkäufe
abliefern und sogar mit älteren Menschen Bingo spielen. Alles spricht
dafür, dass die Robotikindustrie in eine neue, noch dynamischere Phase
ihrer Evolution eingetreten ist.
Fortschritte in der Technologie, ob künstliche Intelligenz (KI) oder
immer kleinere und leistungsstärkere Halbleiter, machen den Weg für die
Entwicklung – und Verbreitung – einer neuen Spezies hochentwickelter
Maschinen frei. Gleichzeitig befeuern der Arbeitskräftemangel, die
Alterung der Bevölkerung und die sinkende Produktivität die Nachfrage nach Automatisierung.
Investoren eröffnen sich dadurch äusserst attraktive Chancen, die von
starken langfristigen Wachstumstrends flankiert sind und über die reine
Robotik hinausgeht. Wir sehen fünf Schlüsselthemen, die die Branche in
den kommenden Jahren vorantreiben werden.
1. Re-Shoring und Near-Shoring
Lieferengpässe während der Covid-Pandemie machten deutlich, wie
risikoreich es ist, in weit entfernten Ländern zu produzieren. Die
geopolitischen Spannungen zwischen den USA und China und der Krieg in
der Ukraine haben die globalen Lieferketten zusätzlich unter Druck
gesetzt. Daher versuchen Regierungen und Unternehmen zunehmend, die
Produktion wieder zurück in die Heimat oder zumindest in die Nähe zu
holen – das sogenannte „Re-Shoring“ bzw. „Near-Shoring“. Das dürfte die
Nachfrage nach Industrierobotern für diese neuen Werke sowie nach
sonstigen Automatisierungs- und Softwarelösungen ankurbeln. Laut einer
aktuellen Umfrage von ABB Robotics wollen rund 41 Prozent der
US-Hersteller die Automatisierung steigern.2
Die Halbleiterindustrie ist einer der Schlüsselsektoren, auf die der
Re-Shoring-Trend abzielt, da Halbleiter und andere verwandte
Technologien immer erfolgskritischer werden und Fragen der nationalen
Sicherheit stärker in den Fokus rücken. Der Bau von Halbleiterfabriken
ist ein wichtiger Schwerpunkt des 55 Mrd. US-Dollar schweren
Infrastrukturausgabenpakets, das Washington geschnürt hat. Ähnliche
Impulse wurden auch in anderen Ländern und Wirtschaftsunionen gesetzt.
Industrie 4.0
Abb. 1 – Weltweite jährliche Lieferung von Industrierobotern, in Tsd. Stück
Quelle: World Robotics 2023. Daten beziehen sich auf den Zeitraum 01.01.2016–31.12.2022; Prognosen für 2023–2026.
2. Mensch plus Maschine: Industrie-Cobots
Montageroboter sind in der Industrie schon lange gang und gäbe, aber
Roboter, die autonom und doch eng mit Menschen zusammenarbeiten, sind
eine noch sehr junge Entwicklung.
Der globale Cobot-Markt dürfte bis 2029 auf 6,8 Mrd. US-Dollar
ansteigen, gegenüber 1,2 Mrd. US-Dollar im Jahr 2022 – das entspricht
einer jährlichen Wachstumsrate (CAGR) von rund 34%.3 Der
Arbeitskräftemangel, die Lohninflation sowie bessere und günstigere
Technologie kurbeln die Nachfrage nach dieser Art von Robotiktechnologie
an. Cobots sind besonders beliebt bei kleinen und mittelgrossen
Unternehmen (KMU) und Elektrofahrzeugherstellern, die selbst ein grosser
Wachstumsbereich sind, da traditionelle Autos vor dem Aus stehen, weil
die Länder ihre Netto-Null-Ziele erreichen wollen.
Die Cobots kommen
Abb. 2 – Anteil der Cobots an den Gesamtinstallationen von Industrierobotern, in %
Quelle: World Robotics 2023. Daten beziehen sich auf den Zeitraum 01.01.2017–31.12.2022.
3. Effizienz-Software
Für die zunehmende Automatisierung – ob zu Hause oder in der Industrie –
ist Software erforderlich. In der Vergangenheit funktionierte Industriesoftware
für den Betrieb von Maschinen so, dass sie gekauft, installiert und
durchgehend genutzt wurde. Heute greifen Unternehmen zunehmend auf ein
Software-as-a-Service-Modell (SaaS) zurück, bei dem sie eine Abogebühr
für die Nutzung der Software zahlen. Die Software selbst ist in der
Cloud oder in einer hybriden Umgebung gespeichert. Der Markt für
Industriesoftware könnte sich bis 2027 auf über 250 Mrd. US-Dollar
verdoppeln, das entspricht einer CAGR von 15%.4 Dies dürfte
zu Effizienzsteigerungen im gesamten Prozess führen, vom Produktdesign
und der Simulation über die Weiterleitung des Konzepts an das Werk oder
den Fertigungspartner bis hin zur Optimierung der Lieferkette.
Cloudbasierte Lösungen tragen dazu bei, die Kosten und die Komplexität
der Verwaltung der Software selbst zu reduzieren, und ermöglichen
ausserdem die Zentralisierung von Daten. Darüber hinaus wächst der
Bereich der Datenanalytik stark, da immer mehr Daten generiert werden.5 Auch die Automatisierung von Geschäftsprozessen
erfreut sich zunehmender Beliebtheit – dabei setzen Unternehmen
Softwarelösungen ein, um die Produktivität der Büroangestellten zu
steigern. Darüber hinaus können Unternehmen dank der Fortschritte in der
KI grosse Datenmengen nutzen, um die betriebliche Effizienz zu
verbessern.
4. KI und Computing
Maschinen werden immer komplexer, daher benötigen sie auch mehr
Rechenleistung, um Daten zu berechnen und zu verarbeiten. KI ist
besonders ressourcenintensiv und erfordert enorme Datenmengen und
Rechenleistung, um neue Inhalte zu generieren. Das bedeutet auch, dass
immer mehr und immer komplexere Halbleiter benötigt werden. Hersteller
von Rechenprozessoren scheinen die logischen Profiteure der Verbreitung
von KI zu sein, aber auch grosse Sprachmodelle (LLMs) erfordern
spezielle Chips, z. B. solche, die die Speicherkapazität und Bandbreite
erhöhen. Memory-, Rechen- und Speicherhalbleiter machen den Grossteil
des Halbleiterumsatzes aus. Memory-Chips („DRAM“) und Speicherchips
(„NAND Flash") werden hauptsächlich für die Speicherung von Daten und
Anweisungen verwendet, während Verarbeitungschips (wie die Core-CPU in
einem Computer oder ein GPU-Beschleunigerchip) für Berechnungen und die
Verarbeitung von Daten in Echtzeit genutzt werden. Ebenfalls wichtig in
der Halbleiterkette sind Electronic Design Automation (EDA)-Unternehmen
wie Synopsys, die Softwarelösungen für die Chipdesigner entwickeln. Dank
des hohen Innovationsgrades und der Integration von KI in die Software
können die Chipdesigner die Designphase beschleunigen und die Leistung
und Recheneffizienz verbessern. Darüber hinaus geben Fortschritte in der
KI Halbleiterausrüstern einen enormen Schub. Sie liefern die Werkzeuge
für die Chipherstellung, mit denen sich immer kleinere,
leistungsfähigere und energieeffizientere Mikrochips noch schneller und
günstiger herstellen lassen. Halbleiterfertigungswerke (sogenannte
„Fabs“) gehören zu den am stärksten automatisierten Fabriken der Welt,
was wiederum den Bedarf an KI-Prozessen für die Verbesserung der
Produktionsleistung erhöht.
5. Autonomes Fahren
Früher haben Roboter nur Autos gebaut, heute fahren sie sie. Es wird
allerdings noch einige Jahre dauern, bis es komplett fahrerlose PKWs,
LKWs und Busse für den Massenmarkt gibt. Getestet wird das autonome
Fahren aber bereits überall auf der Welt, z. B. in San Francisco,
Peking, Shanghai und Phoenix. Das zu Alphabet gehörende Unternehmen
Waymo hat beispielsweise Millionen von Kilometern auf öffentlichen
Strassen zurückgelegt (und Milliarden mehr in der Simulation) und bietet
seit über einem Jahr fahrerlose Fahrten für die Bürgerinnen und Bürger
von San Francisco an. Zudem sind autonome Fahrzeuge zum Teil bereits
Realität, denken wir nur an die Fahrerassistenzsysteme bei den Autos der
neuen Generation. Da diese immer mehr zum Standard und komplexer
werden, dürfte die Nachfrage nach Halbleitern steigen. 2031 dürften in
jedem Auto Halbleiter im Wert von schätzungsweise 1.550 US-Dollar
verbaut sein, während es 2021 gerade mal 665 US-Dollar waren, so eine
Studie von Gartner.
KI löst eine neue Welle der Innovation aus und revolutioniert
Robotik- und Automatisierungstechnologien. Da Robotik und
Automatisierung in der Lage sind, die Produktivität zu steigern, Kosten
zu senken und Lösungen für die Herausforderungen zu finden, die sich aus
dem globalen Arbeitskräftemangel ergeben, dürfte dieser Sektor nach
unserer Einschätzung schneller als die Gesamtwirtschaft wachsen. Das
eröffnet äusserst attraktive thematische Anlagechancen – sowohl bei
Unternehmen, die Roboter herstellen, als auch bei solchen, die die
Komponenten dafür liefern, von Halbleitern bis hin zu Software.
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